Schritte zur Einführung des Wissensmanagements: Definition und Bewertung von Wissenszielen - Teil B -

    21. Februar 2001 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Dieses Papier (bestehend aus den Teilen A und B) ist der erste Beitrag einer Reihe von Abhandlungen, in denen die einzelnen Schritte der Einführung des Wissensmanagements im Unternehmen behandelt werden. In Teil B wird beschrieben, wie - ausgehend von den Kernkompetenzen und den daran ausgerichteten Unternehmenszielen - eine Wissensstrategie festgelegt wird, Wissensziele definiert werden und wie deren Umsetzung erfolgen kann.

    Wissensziele

    Wissensziele legen fest, auf welchen Ebenen und Gebieten Fähigkeiten aufgebaut werden müssen, sie geben den Aktivitäten des Wissensmanagements eine Richtung. Ohne die Abgleichung mit der Unternehmensstrategie auf Basis einer SWOT-Analyse o.ä. (siehe dazu Abschnitt 3 in Teil A dieses Papiers), läuft das Unternehmen Gefahr, dass die Wissensziele nicht wirklich in der Unternehmensplanung verankert sind. Umgekehrt können sich Wissensziele z.B. über zu verteidigende und auszubauende Kernkompetenzen im Unternehmen auch als künftige Konstanten der Unternehmensstrategie erweisen. Die Definition und Einführung von Wissenszielen ist also durchaus als eine Ergänzung herkömmlicher Planungsaktivitäten zu behandeln.

    Bisher ist weder auf normativer, strategischen oder operativen Ebene der Unternehmensplanung Wissensmanagement in ausreichendem Umfang berücksichtigt worden. Daher sind drei Ebenen von Wissenszielen unterschieden:

    • Normative Wissensziele schaffen eine wissensfreundliche Unternehmenskultur. Durch eine Politik des Vertrauens, der Toleranz und der Offenheit soll der Innovationsgeist der Mitarbeiter gezielt gefördert werden. Normative Wissensziele schlagen sich in wissensstimulierenden Arbeits- und Entscheidungsstrukturen nieder. Denn der Austausch und die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten ist Voraussetzung für effektives Wissensmanagement.
    • Strategische Wissensziele definieren das notwendige Kernwissen und den künftigen Kompetenzbedarf des Unternehmens auf Basis der Unternehmensstrategie. Sie beschreiben die Wissenslücken, konkretisieren die strategischen Zielvorgaben und ergänzen somit die herkömmlichen Planungsaktivitäten. Strategische Wissensziele sind - wie die Unternehmensstrategie - langfristig anzulegen.
    • Operative Wissensziele sorgen für die konkrete Umsetzung der normativen und strategischen Zielvorgaben. Diese Konkretisierung (z.B. Aufbau einer Lessons-learnt-Datenbank) soll den Prozess des Wissensmanagements vor der Verkümmerung auf Leitungsebene bewahren und ihn am Leben erhalten. Operative Wissensziele sichern also das Wissensmanagement im Tagesgeschäft, sie übersetzen die normativen und strategischen Wissensziele in konkrete Aktionen und stellen die notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung.

    Die Lernfähigkeit einer Organisation ergibt sich nicht nur aus der Lernbereitschaft der Mitarbeiter voneinander, sondern betrifft auch den Aspekt, wie sich das Unternehmen mit systemexternen Impulsen produktiv umgibt. Normative Wissensziele müssen daher auch den Blick für markt- und produktrelevante Informationen schärfen. Im Fokus liegen dabei die konkurrierenden Unternehmen, die Kunden und Lieferanten sowie mögliche Bedrohungen durch neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen.

    Bei der Definition von Wissenszielen sind die operativen und die strategische Ziele abzugleichen. Dies geschieht in drei Phasen. Zunächst werden dabei den strategischen Wissenszielen Arbeitsgruppen mit Zeitvorgaben zugeordnet, die diese operativ umzusetzen haben, damit die Ziele quantifizierbar sind. In der nächsten Phase müssen die operativen Wissensziele mit den anderen unternehmerischen Zielvorgaben wie etwa dem Budget oder der Personalplanung abgeglichen werden, während schließlich in der letzten Phase die operativen Wissensziele jeweils für jeden einzelnen Mitarbeiter, Teams und die gesamte Organisation - also dezentral - formuliert werden.

    Wissensbewertung / Wissenscontrolling

    Wie in Abschnitt 2 des Teils A angedeutet, sind Wissensziele einem permanenten Feedbackprozess - einer Wissensbewertung, das eine Ergänzung des konventionellen finanzorientierten Controllings darstellt - zu unterziehen. Hier werden die Resultate der operativen Umsetzungen beobachtet und bewertet. Dieser Controllingprozess ist Voraussetzung für Kurskorrekturen bei der Umsetzung von langfristig ausgelegten Wissenszielen und spätestens hier zeigt sich, welche Qualität diese zuvor formulierten Ziele hatten.

    Bislang ist ein entscheidender Durchbruch bei der Wissensbewertung noch nicht erzielt worden, denn Wissensmanager können im Gegensatz zu Finanzmanagern auf erprobte Methoden und Werkzeuge nicht zurückgreifen, sondern müssen neue Wege gehen. Daher hat sich ein führungsorientiertes Controlling als sinnvoller und effizienter als andere dem Rechnungswesen nahestehende Formen des Controlling erwiesen, die hier zugunsten von Information, Koordination und Integration in den Hintergrund treten. Es ist jedoch zu beachten, dass traditionelle Kennzahlen wie etwa Rüstzeiten, Losgrössen oder Time to Market indirekt auch über den Wissensstand des Unternehmens Auskunft geben, denn aus diesen Werten lässt sich die Beherrschung der Produktionsprozesse ablesen, der über einen Konkurrenzvergleich bewertet werden kann. Ein solcher Vergleich macht jedoch nur Sinn im operativen Einsatz und lässt sich auf die Bewertung normativer, strategischer oder operativer Wissensziele nicht anwenden.

    Entsprechend der Definitionen von Wissenszielen werden Methoden zur Messung von normativen, strategischen und operativen Wissenszielen notwendig. Folgende Bewertungsmethoden bieten sich für die verschiedenen Wissensziele an:

    Normative Bewertungsmethoden:

    • Analysen der Unternehmenskultur und gemeinsamer Verhaltensnormen
    • lfd. Beobachtung des Topmanagements
    • Vergleich zwischen Ideal und Istzustand

    Strategische Bewertungsmethoden:

    • Analyse des Portfolios der Kernkompetenzen
    • Finanzcontrolling interner Wissensprojekte

    Operative Bewertungsmethoden:

    • Weiterbildungscontrolling der Mitarbeiter
    • Erstellung individueller Know-how-Profile
    • Messung wissensintensiver Ressourcen oder einer gemeinsamen Wissensbasis
    • Messung der sog. Integrationseffizienz d.h. in welchem Ausmaß individuelles Wissen von anderen Mitarbeitern genutzt wird

    Diese noch kaum bewährten Methoden weisen den Weg in die richtige Richtung. Nur wenn die Messung zentraler Größen des Wissensmanagements in Zukunft vereinfacht werden kann und allgemein akzeptiert wird, kann von echtem Wissensmanagement gesprochen werden.

    Definition und Umsetzung von Wissenszielen

    Zu Beginn des Prozesses der Definition von Wissenszielen geht es darum, ein realistisches Bild von der Bedeutung und des Umgangs mit Wissen im Unternehmen zu erhalten. Daher ist es zweckmäßig, zur Analyse folgende (Auswahl von) Fragen zu betrachten:

    • Welche Art von Wissens (explizit, implizit) dominiert im Unternehmen?
    • Wie entsteht neues Wissen? Gibt es bereits gezielte Initiativen, den Lernprozess zu unterstützen?
    • Gibt es eine "Wissensvision", d.h. würde ein Investor für firmeninternes Wissen zahlen?
    • Gibt es bereits eine "Wissensführerschaft", was bedeutet, ob die Durchsetzung von Wissenszielen vom Management (enthusiastisch) getragen wird?
    • Wie hoch ist der Grad der Personenabhängigkeit in Nutzung und Weitergabe von Wissen?
    • Ist die Organisation "wissensfreundlich"? Sind die Grenzen zwischen den Abteilungen durchlässig?
    • Welche organisatorischen oder firmenspezifische Merkmale fördern bzw. behindern den Umgang mit Wissen

    Bei der Definition von Wissenszielen besteht die Gefahr, unterschiedliche und häufig auch widersprüchliche Veränderungserwartungen zu formulieren. Gerne werden dann Einzelmaßnahmen beschlossen, ohne dass sich das Unternehmen in aller Transparenz über einen gesamten Erwartungshintergrund verständigt hat. Deshalb ist es notwendig, dass sich die Entscheidungsträger bereits im Vorfeld eines solchen Prozesses darüber verständigen, welche zentralen Problemstellungen überhaupt bearbeitet werden sollen, ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die mit viel Elan gestarteten Initiativen verpuffen.

    Um der Gefahr entgegenzutreten, dass die Definition von Wissenszielen losgelöst von der strategischen Planung geschieht - wobei dieser Prozess ja als bewußte Ergänzung der herkömmlichen Planungsaktivitäten zu verstehen ist - und um die Nähe und gegenseitige Abhängigkeit der beiden Bereiche zu unterstreichen, ist es angebracht, sowohl die strategische Planung als auch die Definition zumindest der normativen und strategischen Wissensziele organisatorisch im selben Führungsbereich zu verankern, während für die Umsetzung der operativen Wissensziele und deren Überwachung eher einzelne Prozessverantwortliche in nachgeordneten Abteilungen sinnvoll sind.

    Folgende Phasen bei der Definition, Einführung und Umsetzung von Wissenszielen lassen sich definieren:

    (1) Diagnose der Ausgangssituation:

    • Definition der Kernkompetenzen
    • Festlegen der Unternehmensziele

    (2) Definition der Wissensziele:

    • normativ, strategisch, operativ
    • Identifikation möglicher Abwehrkräfte innerhalb betroffener Bereiche

    (3) Gestaltung der Wissensbausteine auf Basis der in (2) definierten Wissensziele:

    • Wissenstransparenz
    • Wissens erwerben und weiterentwickeln
    • Wissen im Unternehmen verteilen
    • Wissen nutzen und bewahren

    (4) Umsetzung der Wissensziele:

    • Technologische Hilfsmittel
    • Organisatorische Anpassungen
    • Schaffen von Anreizsystemen etc.

    Hierbei sind die Phasen (2) bis (4) durch einen fortwährenden Controllingprozess zu begleiten.

    Eine unmittelbar auftretende Schwierigkeit nicht nur bei der Definition von Wissenszielen sondern im ganzen Bereich des Wissensmanagements ist die fehlende gemeinsame Sprache, die eine Voraussetzung für die Kommunikation zwischen Spezialisten ist. Während andere Managementdisziplinen über ein detailliertes Vokabular verfügen, sind hier bisher nur wenige allgemein bekannte Begriffe geläufig. Daher ist ein möglichst standardisiertes Vokabular (controlled vocabulary) zu verwenden, das im Vorfeld zu definieren ist. Neben diesem Vokabular - einem Thesaurus nicht unähnlich - sind Ordnungs- und Klassifizierungsbegriffe festzulegen. Zu einem solchen controlled vocabulary gehören auch gemeinsame Verhaltensnormen sowie eine wissensfördernde Unternehmenskultur.

    Probleme bei der Umsetzung

    Es ist ein sich deutlich abzeichnender Trend nicht nur bei den bekannten Herstellern von Groupware und ähnlichen Produkten sondern auch bei den betroffenen Unternehmen selbst, Wissen und Information in einen Topf zu werfen und damit Wissensmanagement mit Informationsmanagement gleichzusetzen. Das heisst nicht, dass eine gute IT-Infrastruktur, die Einführung von Groupware und gutes Informations- oder Dokumentenmanagement den Prozess des Wissensmanagements erfolgreich unterstützen können. Vielmehr ist die Konkretisierung von Wissenszielen zunächst keine technologische Herausforderung sondern ein steter und gezielter Beeinflussungsversuch des Intelligenzniveaus des Unternehmens und erfordert eine heikle Gratwanderung zwischen Wissenden und Nichtwissenden. Da diese Bemühungen die Differenz explizit machen stellen sie ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die Betroffenen dar.

    Ein weiteres Problem schon bei der Formulierung von Wissenszielen ist der des Machtaspektes. Wissensziele berühren stets das Verhältnis der Mitarbeiter untereinander als auch das zum Unternehmen, denn Unternehmensinteressen sind nicht immer mit den Individualinteressen in Einklang zu bringen. Daher ist mit Gegenreaktionen und der Mobilisierung von Abwehrkräften zu rechnen. Um ihnen die Spitze zu nehmen, muss versucht werden, sie in den Gesamtprozess einzubinden.

    Schließlich stellt der Mangel an geeigneten Werkzeugen ein ähnliches Problem dar wie die gemeinsame Sprache. Dieser Mangel wird mit zunehmender Konkretisierung der Zielformulierung immer deutlicher. Wobei es auf normativer und strategischer Ebene noch gelingt relativ globale Wissensziele zu formulieren, bereitet deren Umsetzung auf operativer Ebene zunehmend Schwierigkeiten.

    Noch läßt sich nur unzureichend quantifizieren, was ein Investment in Wissensmanagement innerhalb von ein oder zwei Jahren bringt, obwohl die Kosten einigermaßen überschaubar sein mögen. Und solange der return of investment so unklar ist, sträuben sich die Controller in den Unternehmen naturgemäß gegen derart "unsichere" Investitionen. Hier ist also viel Überredungskunst und ein langer Atem notwendig.

    Links

    www.hernstein.at/herns/archiv/3-99/thema/nage.htm
    v.hbi-stuttgart.de/iim/wissensmanagement/weinhold/
    www.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/Bausteine/
    www.cba.neu.edu/~mzack/articles/kstrat/kstrat.htm

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