Effektives und effizientes Wissensmanagement für die Sozialämter

    11. Januar 2005 von Prof. Dr. Dr. Peter Reusch, Ingo Schmitmann

    Dieser Artikel ist der erste Teil einer Ausarbeitung zum Thema "Effektives und effizientes Wissensmanagement für die Sozialämter" und bietet einen Einblick in die tägliche, praktische Arbeit in einer öffentlichen Verwaltung. Er beschreibt anschaulich die Vorgehensweise und der damit verbundenen Heranziehung von Informationsquellen bei der Fall-/Sachbearbeitung, sowie die damit verbundenen Probleme.

    Zusammenfassung und Problemdarstellung

    Mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland erhalten Sozialhilfe [1]. Die Beantragung, die Prüfung, die Gewährung und die Auszahlungen der Sozialhilfe ist schon alleine bezogen auf die monatlichen Grundbeträge eine enorme administrative Anforderung. Sozialhilfeempfänger erhalten aber oft nicht nur ihre monatliche Sozialhilfe, sondern auch zusätzliche Unterstützung in zahlreichen Fällen, die individuell geprüft und entschieden werden müssen, das reicht von Ausbildungszuschüssen, über Zuschüsse bei Klassenfahrten der Kinder, über Bekleidungshilfe bis zu Zuschüssen zur Renovierung - fast alle Lebensbereiche sind davon betroffen. Diese Fälle können auch selbst noch beliebig komplexer werden, wenn z.B. eine Umbau- oder Renovierungsmaßnahme für einen Behinderten ansteht.

    In einer Großstadt wie Köln sind mehr als 1200 Beamte und Angestellte mit der Bearbeitung der Sozialhilfe beschäftigt - bundesweit dürften es rund 50000 sein. Damit ist nicht nur die ausgezahlte Sozialhilfe ein gewaltiger Kostenfaktor für die Kommunen und das ganze Land (ca. 25 Milliarden € pro Jahr in Deutschland), sondern auch die administrative Bewältigung der Aufgabe, Sozialhilfe zu gewährten, kosten Milliarden.

    In dieser Situation wäre es dringend geboten, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Arbeit, Sozialhilfe zu gewähren, so effizient wie möglich zu erledigen.

    Bei einem Blick in die Praxis zeigt sich, dass die Sozialämter in den Kommunen relativ schlecht ausgerüstet sind, um ihre Arbeit effizient zu erledigen. Selbst wenn heute vielfach Personalcomputer in den Sozialämtern anzutreffen sind, sind diese in der Regel nicht so ausgestattet, wie es für die Bearbeitung der Sozialhilfe notwendig wäre. Es gibt da oft Hilfsprogramme zur Unterstützung von Berechnung und zur Erfassung der einzelnen Leistungen. Vor allem aber fehlt hier ein Zugriff auf die Regeln, unter welchen Bedingungen welche Antragsteller welche Hilfe erhalten. Diese Regeln sind in den Sozialämter meist nur in papierenen Dokumenten verfügbar, aber meist nicht an allen Arbeitsplätzen und oft auch unvollständig. Gesetzestexte, Gerichtsschlüsse, Kommentare, Artikel und Arbeitspapiere enthalten die Regeln. Die Mitarbeiter in den Sozialämtern müssten alle darauf zugreifen können, am besten über ihren Personalcomputer und am besten über eine Suchfunktion, die nach ihren Anforderungen alle relevanten Arten von Dokumenten schnellstmöglich analysiert und die Kerninformation bereitstellt.

    In der Praxis ist die Suche nach den Regeln, die anzuwenden sind, mit einem Marsch entlang der Aktenschränke, vielleicht sogar in andere Büros verbunden. Ist die Suche erfolglos, fragt man vielleicht einen Kollegen. Das Ergebnis der Suche ist unbestimmt. In dem einen Büro wird in einem Fall die Regel X dann angewandt, in dem anderen Büro wird im gleichen Fall die Regel Y angewandt. Die Bearbeitung eines Sozialhilfeantrages wird zu einer offenen Approximationsausgabe. Noch ärgerlicher als das unbestimmte Ergebnis ist der Zeitaufwand für dieses fragwürdige Resultat. Gebraucht wird ein Anwendungssystem, das in Sekunden ein Ergebnis liefert, und zwar in der Regel ein besseres als bei dem skizzierten Approximationsvorgang.

    Das Anwendungssystem sollte das gesamte Anwendungswissen der Sozialhilfe auswerten können - alle Fakten und Regeln in Gesetzen, Gerichtsschlüssen, Kommentaren, Artikeln und Arbeitspapieren. Das Anwendungssystem sollte optimal in ein Intranet oder ins Internet passen und möglichst über einen Browser angewandt werden können.

    Das Anwendungssystem sollte effektiv sein, d.h. es sollte das richtige tun. Es sollte das Anwendungswissen in der Sozialhilfe einheitlich für alle Mitarbeiter in den Sozialämtern auswerten können.

    Das Anwendungssystem sollte effizient sein, d.h. es sollte das Anwendungswissen schnell und korrekt auswerten können.

    In dieser Arbeit werden Lösungsansätze dafür aufgezeigt.

    Um das Anwendungswissen maschinell auswerten zu können, sollte es weitestgehend maschinell lesbar sein. Hier wird heute mehr und mehr in Dateien zur Verfügung gestellt (z.B. die FEVS ab 2000), vor allem ältere Daten (z.B. die FEVS vor 2000) gibt es aber z.Z. nur als papierene Dokumente. Beide Welten kann man sich erschließen, wenn man die Inhaltsverzeichnisse der Gesamtwerke erfasst und die erfassten Stichworte mal mit einem Verweis auf das papierene Dokument versieht mal mit einem Hyperlink auf die verfügbare Datei.

    Die Stichworte aus allen relevanten Quellen können in eine Datei mit den erforderlichen Verweisen und Links aufgenommen werden. Die Datei kann schon eine einfache Grundlage für die Recherche nach Anwendungswissen aus dem Bereich der Sozialhilfe sein

    Über ein Stichwortverzeichnis kann ich nur etwas finden, wenn ich mich in dem Anwendungsbereich relativ gut auskenne und auch Beziehungen zwischen Sachverhalten selbst herstellen kann. Wenn man aber aus dem Stichwortverzeichnis einen Thesaurus macht, dann kann die Auswertung auch über synonyme und verwandte Begriffsbezeichnungen durchgeführt werden und das Anwendungswissen besser erschließen. Eine solcher Thesaurus ist im Rahmen der Diplomarbeit von Ingo Schmitmann [2] aufgebaut worden. Dieser Thesaurus [3] wird im folgenden beschrieben. Die Diplomarbeit von Ursula Ferdy [4] hat eine Informationsanalyse dazu geliefert.

    Um den Thesaurus und alle verfügbaren Dokumente mit den Verweisen und Hyperlinks effizient anwenden zu können, wird eine Technologie eingesetzt, bei der der Thesaurus mit seinen Relationen und Verweisen in einem Web-Browser ausgewertet werden kann. Die einfachste Weg dafür ist z.Z. die Transformation des Thesaurus in eine Topic Map und die Auswertung dieser Topic Map mit Hilfe einer Topic Map-Engine in einem Standard-Web-Browser. Im folgenden wird exemplarisch gezeigt, wie mit Hilfe des Omnigator als Topic Map-Engine der erstellte Thesaurus für die Sozialhilfe angewandt werden kann. Dieser Ansatz ist in jede Intranet-/Internet-Umgebung leicht zu integrieren. Topic Maps sind ein ISO-Standard innerhalb der XML-Gruppe - und damit weltweit anerkannt. Es gibt schon zahlreiche Topic Map-Engines, die die unmittelbare Auswertung von Topic Maps ermöglichen. Daher ist der gesamte Ansatz nicht nur extrem kostengünstig, sondern auch noch weitgehend unabhängig von Softwareherstellern.

    1. Die praktische Arbeit

    In öffentlichen Verwaltungen kommt es täglich vor, dass Sachbearbeiter und deren Vorgesetzte zur Entscheidungsfindung Texte aus Gesetzen, Kommentaren, Verordnungen, rechtskräftigen Urteilen u.ä. suchen bzw. in ihnen nachlesen müssen.

    Die Informationsquellen sind weit gestreut, so dass das Suchen und Finden einen erheblichen Zeitaufwand verursacht.

    Der Arbeitgeber stellt zwar den Ämtern die entsprechende Fachliteratur zur Verfügung, aber Synopsen, also die sinnvolle Zusammenfassung der unterschiedlichen Quellen und die Erstellung von Übersichten, sind fast immer den Sachbearbeitern überlassen. Diese erstellen sich solche für den eigenen täglichen Dienstgebrauch in Form von "Privatsammlungen", ohne dass unbedingt eine Abteilung oder ein ganzes Amt von dieser persönlichen Fleißarbeit profitiert. Erschwerend kommt hinzu, dass die einschlägigen Texte auf dem neuesten Stand gehalten werden müssen - eine Arbeit, der der Einzelne aufgrund der immer größer und differenzierter werdenden Anzahl von Quellen kaum nachkommen kann.

    Mit den Möglichkeiten einer praktischen Lösung dieser Problematik befasst sich diese Ausarbeitung, und zwar bezogen auf die Sozialverwaltung einer deutschen Großstadt.

    In der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln arbeitet Frau Ferdy als Widerspruchssachbearbeiterin und Prozessvertreterin in Sozialhilfesachen der Stadt Köln.

    Die Diplomarbeit von Frau Ferdy "Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln" diente als Grundlage für die Überlegungen zu dem hier dargestellten Lösungsansatz

    Sie beschreibt ihre Arbeit und die sich daraus ergebende Problematik folgendermaßen:

    "Die Rechtsstelle (Widerspruchsstelle) des Sozialamtes der Stadt Köln besteht aus zehn Sachbearbeitern und deren Gruppenleiterin. Ihre Aufgabe ist die Bearbeitung von Widersprüchen gegen Entscheidungen, die andere Stellen des Sozialamtes (z.B. die Bezirkssozialämter in den neun Stadtbezirken, das JobCenter, die JobBörse, Hilfe zur Arbeit u.A.), aber auch das Amt für Wohnungswesen in allen Bereichen der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) getroffen haben. Darüber hinaus vertreten die Sachbearbeiter der Rechtsstelle die Stadt Köln in Prozessen vor der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit, soweit diese die Sozialhilfe oder Asylbewerberleistungen zum Streitgegenstand haben. Die Rechtsstelle wird aber auch beratend tätig, nämlich durch Teilnahme an Fachgruppenbesprechungen, durch einzelfallbezogene Unterstützung derjenigen Dienststellen, die die unmittelbaren Entscheidungen dem Hilfe Suchenden gegenüber treffen und durch Schulungen besagter Dienststellen zu speziellen, meist gerade aktuellen Thematiken. Sie erstellt auch Bescheidmuster sowie Prüfraster, die sie den übrigen Dienststellen des Sozialamtes zur Vereinfachung der Entscheidungsfindung zur Verfügung stellt. Es werden Anfragen an sie gerichtet, die schnell, zuverlässig und rechtlich fundiert beantwortet werden müssen.

    Die Arbeit der Rechtsstelle zeichnet sich durch sehr konkretes, besonders tiefgehendes Fachwissen aus, welches durch Literaturrecherchen erlangt wird. Dabei sind die zu Rate gezogenen Quellen divers." [5]

    Die bei der Recherche zu Rate gezogenen Quellen sind [6]:

    • Urteilssammlung FEVS (Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs und Sozialgerichte) in Papierform
    • Eine CD mit demselben Inhalt gibt es seit 2000, allerdings immer erst am Jahresende
    • Urteilsammlung EuG (Kostenerstattungsrechtliche Entscheidungen der Schieds- und Verwaltungsgerichte) in Papierform
    • Kommentierungen zu verschiedenen Gesetzen, z.B. Lehr- und Praxiskommentar (LPK), Papierform
    • Aufsätze in verschiedenen Fachzeitschriften
    • Sozialamtsinterne Richtlinien
    • Ausarbeitungen einzelner Sachbearbeiter zu bestimmten Themen, die über ein gemeinsames Computer-Laufwerk allen anderen Sachbearbeitern des Amtes zugänglich gemacht werden
    • Sacharbeiterspezifische Materialsammlungen, z.B. eigene Fundstellendateien, eigene Textbausteine, eigene Kopien von Urteilen und Aufsätzen, ein Austausch der Informationen erfolgt, wenn überhaupt, nur von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter

    Wie schon beschrieben, liegen die wenigsten dieser Quellen bereits in digitaler Form vor und sind über den PC des Sachbearbeiters zugänglich, die meisten sind ausschließlich in Papierform verfügbar.

    1.1. Schwierigkeiten bei der täglichen Arbeit (Stadt Köln)

    Die Problematik, die sich aus dieser Vielzahl von Informationsquellen ergibt wird durch Ursula Ferdy folgendermaßen beschrieben:

    "Wird an die Rechtsstelle eine sozialhilferechtliche Fragestellung herangetragen, die nicht unmittelbar mit dem Wissen und der Erfahrung des einzelnen Sachbearbeiters beantwortet werden kann, genügt es selten, dem Problem in nur einer Informationsquelle nachzugehen. Vielmehr durchsucht der Einzelne alle oder zumindest die meisten der vorhandenen Werke - was äußerst zeitintensiv ist, da die Stichwortregister in jeder einzelnen Quelle durchforstet werden müssen, denn es gibt keinen gemeinsamen Index - und befragt anschließend womöglich noch Kollegen danach, ob sie sich in der Vergangenheit schon mit der Thematik auseinandergesetzt haben und Hinweise geben können."[7]

    Dass dieses Vorgehen aufgrund der ständig wachsenden Zahl an Informationsmöglichkeiten längst nicht mehr zeitgemäß ist , liegt auf der Hand

    1.2. Ziel/Vision

    Es muss ein Lösungsansatz zur Vereinfachung und Beschleunigung von Entscheidungsvorgängen bei strittigen Bescheiden aus dem Bereich des Sozialamtes erarbeitet werden.

    Da das derzeitige Vorgehen in der Regel sehr zeitintensiv ist, soll die Arbeit der Rechtsstelle unter Zuhilfenahme eines Wissensmanagementsystems effektiver gestaltet werden. Dazu soll ein alle Quellen umfassender "Informationspool" mit Angabe der Fundstelle geschaffen werden. Eine Verlinkung ist möglich, wenn Dokumente in digitaler Form vorliegen und in das sozialamtsinterne Netzwerk gestellt wurden.

    Der Suchaufwand soll durch den Zugriff auf diesen Informationspool reduziert und die Weiterverarbeitung der Informationen beschleunigt werden, da dann jeder Mitarbeiter Zugang zu dem Wissen der gesamten Gruppe hat. Individuelle Ordnungssysteme, wie die privaten Sammlungen der einzelnen Mitarbeiter, müssen allerdings zugunsten einer kollektiven Systematik aufgegeben werden.

    Die gefundenen Texte können, wenn sie digitalisiert sind, unmittelbar weiterverarbeitet werden und sind dann auch allen anderen Bediensteten des Amtes, die Zugriff auf das Netzwerk haben, jederzeit zugänglich.

    Der Aufwand, der zur Pflege von z.B. elf unterschiedlichen, privaten Sammlungen zur Zeit noch betrieben wird, wird reduziert, da nur noch eine gemeinsame Sammlung gepflegt, d.h. auf dem neuesten Stand gehalten werden muss.[8]

    Ein Thesaurus kann das Grundgerüst dieses benötigten Wissensmanagementsystems bilden. Die Erstellung und der Nutzen eines solchen Thesaurus zum Thema "Sozialverwaltung" wird im weiteren Verlauf beschrieben. Die technische Umsetzung und Darstellung erfolgt dann mittels Topic-Maps

    Quellenangaben

    [1] www.destatis.de/allg/d/veroe/sozi_stadt.htm
    [2] Ingo Schmitmann: Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Stadt Köln, Diplomarbeit, Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Wirtschaft, Dortmund 2003
    [3] Der Thesaurus umfasst z.Z. ca. 12000 Begriffsbenennungen
    [4] Ursula Ferdy: Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln, Diplomarbeit, Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Wirtschaft, Dortmund 2003.
    [5] Ferdy, Ursula: Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln, Diplomarbeit, Fachhochschule Dortmund, WS 2002/03
    [6] Vgl. Ferdy, Ursula, Rechtsstelle des Sozialamtes Köln, Derzeitige Informationsquellen, internes Dokument, 12/2002
    [7] Ferdy, Ursula: Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln, Diplomarbeit, Fachhochschule Dortmund, WS 2002/03
    [8] Vgl. Ferdy, Ursula: Wissensmanagement für die Sozialämter in den Kommunen am Beispiel der Rechtsstelle des Sozialamtes der Stadt Köln, Diplomarbeit, Fachhochschule Dortmund, WS 2002/03

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