Auf der Spur des Wissens - Wissensvernetzung konkret bei der Siemens AG - Teil A -

    25. Februar 2001 von Felix Klostermeier, Uwe Trillitzsch

    Seit mehreren Jahren wird bei Siemens Information and Communication Networks im Vertrieb Deutschland (ICN VD) aktiv Wissensmanagement betrieben. Ein kleines Team kümmert sich um die verschiedenen Angebote, mit denen die mehr als 9.200 Berater, Vertriebsmitarbeiter, Servicetechniker und Spezialisten ihr Wissen miteinander vernetzen können. Denn die "Siemensianer" wissen: Niemand allein ist so schlau wie wir alle zusammen.

    Der ganz normale Vertriebsalltag

    Sales Manager Boris M. kommt vom Kundenbesuch zurück. Ein großer Auftrag lockt und nur noch ein Konkurrent ist mit im Rennen. Doch der Kunde hat heute Boris M. damit konfrontiert, das Angebot des Wettbewerbers wäre bei gleichen Leistungsmerkmalen günstiger. Boris M. ist skeptisch: Er muss einen Kollegen finden, der ihm weiterhelfen kann: Was sind die Stärken und Schwächen dieses Konkurrenzangebotes?

    Währenddessen brütet Kauffrau Anja L. über einem Vertragsentwurf. Der Kunde möchte den Vertrag noch heute unterschreiben und sie muss vorher noch eine getroffene Zusatzvereinbarung in eine juristisch einwandfreie Form bringen. Ausgerechnet in dieser Woche hat ihr Kollege Urlaub und sie verfügt nicht über das nötige Fachwissen. Es muss doch noch jemanden geben, der die nötige Fachkompetenz im Bereich Zusatzvereinbarungen hat und ihr helfen kann, diesen Auftrag heute abzuschließen!

    Der Servicetechniker Hans-Jürgen K. wird vom Kunden gefragt, ob seine schon etwas in die Jahre gekommene Nebenstellenanlage mit einer gerade auf den Markt gekommen Call-Center-Applikation kompatibel ist. Seine Frage: Wer kennt dieses alte System gut genug, um sicher beurteilen zu können, ob sich die neue Applikation damit nutzen lässt?

    Ganz gewöhnliche Fragestellungen im Vertriebsalltag. Man bräuchte eine "Kristallkugel", auf die man Tag und Nacht zugreifen kann und die schnell und kompetent weiterhilft, wenn das eigene Wissen nicht mehr ausreicht. Die Kugel müsste natürlich immer auf dem neuesten Wissensstand sein und auch gleich die Antwort für den konkreten Anwendungsfall parat haben. Geht nicht, denken Sie?

    Geht nicht - gibt`s nicht, dachten sich die Wissensmanager im Vertrieb Deutschland von Siemens Information and Communication Networks und schufen eine durchdachte Lösung, die seit anderthalb Jahren den Vertriebsalltag von Boris M., Anja L. und Hans-Jürgen K. ein bisschen einfacher macht.

    Knowledge Networking heißt die Lösung, mit der das Wissen aller Kolleginnen und Kollegen vernetzt und nicht "abgegeben" und in Datenbanken abgelegt wird. Die Köpfe der Mitarbeiter dienen dabei als "Datenbanken", die sich selbst aktualisieren. Dann brauchen nur noch die richtigen beiden Kollegen zusammengebracht zu werden und schon können sie über Email, Telefon oder manchmal auch nur durch einen Gang zum anderen Ende des Grossraumbüros selbst die kniffligsten Fragestellungen beantworten.

    Die Frage ist nur, wie man aus mehr als 9.200 Mitarbeitern in mehr als 50 deutschen Städten genau den oder die Richtigen herausfindet? Begleiten wie doch Boris M. auf dem Weg zur Beantwortung seiner Frage.

    Die Vernetzungsplattform im Einsatz

    Direkt von der Homepage seines Intranets führt ihn ein Link zu der Vernetzungsplattform. Nachdem er sich angemeldet hat, erscheint die Suchmaske. Jetzt noch den Namen des Mitbewerbers eingegeben und schon listen sich 34 Namen von Kollegen auf, die Wissen über genau diesen Mitbewerber haben.

    Und damit ist bereits ein Erfolgsfaktor der Vernetzungsplattform identifiziert: die kritische Masse. Es finden sich zu über 1.400 Wissensgebieten kompetente und auskunftsbereite Kollegen; da macht Suchen Spaß.

    Eine Methodik, mit dem die Macher dafür gesorgt haben, dass Boris M. heute aus so vielen Treffern auswählen kann, war eine Marketing-Kampagne beim Start der Vernetzungsplattform. Ein Glücklicher aus den ersten 500 Eintragenden durfte für eine Woche nach New York reisen. Mittlerweile haben bereits rund 2.500 Mitarbeiter aus dem ICN VD ihr Wissensprofil angelegt und stehen für Anfragen von Kollegen zur Verfügung. Und mehr als die Hälfte aller VD-Mitarbeitern nutzen die Vernetzungsplattform.

    Selbstverständlich wird neben der Freitextsuche auch eine alphabetische Suche und eine Katalogsuche angeboten. Bei letzterer klickt man sich entlang eines Baumes der Wissensgebiete zu seinem Ansprechpartner. Die Ursprungsstruktur dieses "Wissensbaumes" entstand durch eine Abfrage in den Organisationseinheiten und entwickelt sich seither dynamisch weiter. Sie besteht mittlerweile aus neun Haupttrieben, die sich in jeweils ca. zehn Themen - Äste aufteilen, an denen insgesamt über 1.400 einzelne Wissensblätter hängen. Neue Wissensblätter können von den Nutzern selbständig hinzugefügt werden, genauso wie die Einrichtung neuer Themenäste gefordert werden können. Der Administrator muss dann noch Doppelnennungen eliminieren und entscheiden, wo ein neuer Vorschlag am besten eingeordnet wird oder ob er zur Einrichtung einer neuen Teilgruppe führt.

    Die Dynamik innerhalb dieses Wissensbaumes spiegelt damit zugleich die Entwicklung und Veränderung wesentlicher Kompetenzen von ICN VD wider. Durch diese Vorgehensweise ist eine Wissensbaum-Struktur entstanden, die übersichtlich und leicht handhabbar ist und trotzdem ein umfassendes und lebendiges Abbild der Wissensressourcen im Vertrieb Deutschland gibt.

    Boris M. ist noch nicht zufrieden. Um seine Trefferliste zu optimieren, konkretisiert er seine Anfrage, indem er Servicetechniker ausschließt und sich nur Vertriebsleute anzeigen lässt. Elf Treffer, schon besser.

    Die Mitarbeiter in der Suchergebnisliste gliedern sich danach, ob sie ihr Wissen mit drei (viel Wissen), zwei oder einem Stern selbst bewertet haben. Für die Form der Selbstbewertung entschied man sich, weil sie Vertrauen in die Mitarbeiter demonstriert. Qualitativ unterscheidet sich diese Art der Einschätzung in ihren Vor- und Nachteilen nicht von anderen subjektiven Bewertungen (durch die Führungskraft, anhand der Stellenbeschreibung). Innerhalb eines Expertenlevels (Anzahl der Sterne) werden die Suchergebnislisten zufällig sortiert, um zu vermeiden, daß immer der gleiche Name zuerst erscheint und damit auch zuerst kontaktiert wird.

    Über seine potentiellen Ansprechpartner erhält Boris M. folgende Informationen: Kommunikationsdaten (Telefon, Handy, E-Mail etc.), die persönliche Ansprechpräferenz (z.B. "immer, aber bitte nur per Email"), die Aufgabengebiete, das persönliche Wissensprofil und Links ins Intranet oder Internet. Die Links verweisen auf Informationen zu den Spezialgebieten des Ansprechpartners - und dort nachzulesen beantwortet oftmals schon die Frage. Damit werden die "Experten" nicht ständig mit Standardfragen kontaktiert und haben mehr Zeit für die kniffligen Probleme.

    Sollte die Benutzung der Vernetzungsplattform einmal nicht so reibungslos klappen wie bei Boris M., findet der Benutzer Unterstützung bei einer kontextsensitiven Hilfe und einer Telefon-Hotline.

    "Obwohl wir von anderen Unternehmen wussten, dass die Implementierung von Gelben Seiten kein einfaches Projekt ist, haben wir mit unserer Vernetzungsplattform ein System geschaffen, das aufgrund seiner Benutzerfreundlichkeit und seiner Einfachheit in kurzer Zeit eine hohe Akzeptanz erreichen konnte", fassen die Siemens-Wissensmanager die bisherige Arbeit zusammen. Aus dem selbst entwickelten Prototyp ist heute ein richtiges Produkt geworden, was bereits in einigen weiteren Geschäftsgebieten von Siemens zum Einsatz kommt und an dem mehrere externe Unternehmen grosses Interesse zeigen. Ähnlich wie bei der Linux-Community werden dabei alle Lizenznehmer in ein Netzwerk eingebunden. Individuelle Weiterentwicklungen stehen so allen zur Verfügung, was einer ständigen Leistungs- und Qualitätsverbesserung gleichkommt.

    Erfolgsfaktoren der Vernetzungsplattform

    Eine ganze Reihe von Faktoren, die sich im nachhinein als kritisch für die Akzeptanz und den Erfolg der Vernetzungsplattform erwiesen haben, wurden von den Verantwortlichen herausgearbeitet und können anderen Unternehmen helfen, Fehler bei der Konzeption und Einführung eines Wissensvernetzungs-Werkzeuges zu vermeiden.

    Wissensnetze brauchen eine kritische Masse

    Um zu Beginn schnell eine kritische Masse an Nutzern zu erreichen, wurde ein Gewinnspiel mit einer Reise nach New York veranstaltet. Im Anschluss an die erfolgreiche Erstanmeldung in der Vernetzungsplattform konnte sich jeder für dieses Gewinnspiel registrieren. Interessanterweise lag die Zahl der Teilnehmer am Gewinnspiel weit unter der Anzahl der Neuanmeldungen. Eine spätere Befragung zeigte, dass viele Mitarbeiter ein Werkzeug wie die Vernetzungsplattform schon lange erwarteten und stärker an seiner Nutzung interessiert waren als an einem Gewinn.

    Später wurden in Trainings, auf Veranstaltungen, im Intranet und in einem Newsletter immer wieder die neuesten Entwicklungen kommuniziert und somit das Interesse aufrechterhalten. Von unschätzbaren Wert waren dabei Success Stories, die den Nutzen der KN - Gelben Seiten klar deutlich machten und wohl den größten Anteil an den steigenden Zahlen für registrierte Benutzer und Abfragen hatten.

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