Wissensmanagement im Versicherungswesen

    20. Juli 2002 von Anne Asch, Redaktion

    Versicherungen gehören zu den hochgradig auf Wissen angewiesenen Unternehmen. Welche Arten von Wissen müssen sie erwerben und generieren, um am Markt besser zu bestehen? Welche technischen Möglichkeiten bieten ihnen Wissensmanagement-Systeme? Welche organisatorischen Anforderungen bringt das Wissensmanagement für Versicherungsgesellschaften mit sich?

    Versicherungsgesellschaften können unterschieden werden nach Allround- oder Spezialversicherungen. Beide Sparten unterscheiden zwischen Privat- und Geschäftskunden sowie zwischen Standard- und Spezialprodukten, wobei letztere meist genau auf die Situation des Kunden zugeschnitten werden (z. B. bei Kunstausstellungen). Das Produkt von Versicherungen ist die Versicherung eines Kunden, die ihren sichtbaren Ausdruck in ihrer Versicherungspolice findet. Diese Versicherungspolice ist ein Vertrag, in dem sich die Versicherungsgesellschaft Verpflichtet, im Falle des Eintritts eines spezifizierten Ereignisses beim Versicherungsnehmer (Schaden) einen finanziellen Ausgleich des Schadens zu leisten. Der Versicherungsnehmer verpflichtet sich im Gegenzug zur regelmäßig Zahlung von Versicherungsbeiträgen. Das Versicherungsprinzip basiert auf einem Risikoausgleich zwischen den Versicherungsnehmern innerhalb eines Pools: die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens bei einem einzelnen Versicherungsnehmer ist relativ gering, somit werden die tatsächlich eintretenden Schäden einzelner Versicherungsnehmer aus den akkumulierten Beiträgen des Pools beglichen. Versicherungen sind auf Grund ihrer Geschäftsfelder untrennbar mit der Finanzdienstleistungsbranche verbunden. [1]

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    Quelle: Stefan Klein

    Warum brauchen Versicherungen Wissensmanagement?

     

    Da es sich bei den Geschäften von Versicherungen sowohl um das serviceorientierte Geschäft mit ihren Kunden als auch um das stark abstrakte Finanzgeschäft mit dem Geld ihrer Kunden dreht, ist klar, dass Versicherungen zu den hochgradig auf Wissen angewiesenen Unternehmen gehören. Einerseits wird Wissen über Kunden und ihre Bedürfnisse benötigt, um diese Geschäftsfeld so kundenfreundlich und gewinnbringend wie möglich abzuwickeln. Andererseits wird dieses Wissen benötigt, um neue Kunden- und Geschäftsfelder zu akquirieren, sowie neue Produkte zu entwickeln und erkämpfte Marktsegmente zu erhalten bzw. zu erweitern. Die zweite Komponente des Versicherungsgeschäftes, über die Wissen erworben bzw. generiert werden muss, ist die Entwicklung der Finanzmärkte. Dieses Wissen muss ebenso von Banken und anderen Finanzdienstleistern erworben werden. Diese Geschäftsfelder berühren sich jedoch nur mittelbar.

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    Quelle: Stefan Klein

    Beide Geschäftsfelder erfordern jedoch unbedingt eine sinnvolle Verwaltung von Daten und die Generierung und das Verfügbarmachen des gewonnenen Wissens. Wohl deshalb zählen Versicherungen zu den im Wissensmanagement führenden Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche.[2] Ein weiterer Grund für die führende Position von Versicherungen im WM liegt in ihrer Reaktion auf die zukünftigen Herausforderungen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Sie gleichen in vielen Punkten denjenigen, vor denen auch andere Branchen und Unternehmen stehen:

    • Globalisierung: Die zunehmende Vermischung traditionell eher abgegrenzter Geschäftsfelder, der via Internet weltweite Zugang zu Waren, Gütern und Dienstleistungen zwingt die Unternehmen, sich diesen Realitäten anzupassen und ebenfalls global zu agieren.
    • Kostendruck: Starker, weltweiter Wettbewerb zwingt die Unternehmen zur Senkung der im Geschäftsprozess entstehenden Kosten.
    • Zeitdruck: Durch verbesserte Technik und gestraffte Produktionsweisen verkürzen sich Produktionszyklen und die Lebensdauer von Produkten radikal.
    • Komplexität: Technische Systeme und Unternehmensstrukturen müssen an die zunehmende Individualisierung des Geschäfts, den Kosten- und Zeitdruck und an die immer größer werdenden Datenmengen anpaßbar sein.

    Was muss WM in der Versicherungsbranche leisten?

     

    Aus diesen Punkten ergeben sich die folgenden (globalen) Anforderungen an ein modernes WM im Versicherungswesen, d.h., was das WM in einer Versicherung organisieren und zur Verfügung stellen muss:

    • Effiziente Kommunikation
    • Effiziente Informationsweitergabe
    • Verstärkte Orientierung zur Sammlung und Auswertung von Personen-, Verhaltens- und Umweltinformationen hin

    Auf technischer Seite bedeutet dies:

    • Vernetzung innerhalb von und zwischen Unternehmen
    • Leistungsstarke Dokumentenverwaltungssysteme
    • Adäquate Datenextraktionssysteme (Data Mining)
    • Analysesysteme
    • Workflowsysteme

    Auf organisatorischer Ebene:

    • Die Entwicklung entsprechender Unternehmensstrukturen
    • Die Priorisierung von WM durch das Management
    • Die Einrichtung zentraler, allein für das WM zuständiger Einheiten
    • Mitarbeitermotivation
    • Die Schaffung von Belohnungssystemen für die Einstellung und das Nutzen unternehmensrelevanten Wissens

     

    Dieser Artikel beschäftigt sich vornehmlich mit den technischen Anforderungen an Wissensmanagementsysteme in der Versicherungswirtschaft, da hier laut eigener Einschätzung der Nachholbedarf am grössten ist. Zudem ist es die technische Seite, auf der die der jeweiligen Produktspezifikation geschuldete Besonderheit von WM im Versicherungswesen ihre eigentliche Ausformung erfährt und Berücksichtigung verlangt. Die organisatorischen Probleme dagegen gleichen denen anderer Unternehmen und Branchen, die das WM als Quelle der Geschäftsprozessoptimierung entdecken.

    Anforderungen an IT-Systeme

     

    In wissensintensiven Unternehmen fällt eine Vielzahl äußerst vielgestaltiger Daten an. Um diese zu verarbeiten und in unternehmensrelevantes Wissen zu verwandeln sowie den oben diskutierten Herausforderungen zu begegnen, müssen die bei Versicherungen eingesetzten IT-Systeme einige grundlegende Voraussetzungen erfüllen:

    1. Sie müssen Schnelligkeit bei der Produktentwicklung ermöglichen
    2. Sie müssen einen hohen Flexibilisierungsgrad bei der Produktgestaltung und im Vertrieb erlauben
    3. Sie müssen eine hohe Verfügbarkeit und Betriebssicherheit der Hard- und Software garantieren
    4. Sie sollen die Kosten bei der Produktentwicklung und im Vertrieb senken

     

    Die erheblichen Risiken und Kosten der Eigenentwicklung einer solchen flexiblen Software sind durch Standards, eine offene, branchenweite Anwendungsarchitektur und die Förderung der Entwicklung eines Marktes für "stecker-kompatible", übertragbare Softwarebausteine wesentlich zu reduzieren.

    Die Geschäftsprozesse, die dabei abgedeckt werden müssen, umfassen im wesentlichen die Risikoprüfung und Deckungszusage, die Policierung, Erst- und Folgeprämieninkasso, die Schadenbearbeitung und das Exkasso. Bei der Produktentwicklung geht es um die Tarifoptimierung aus Kundensicht und damit die Einführung neuer Tarifsysteme bzw. Produkte. Damit und durch die oben erwähnte Individualisierung der Märkte wird sich das Beratungsgeschäft zukünftig noch intensivieren, so dass Beratung und Fachinformation weiterhin zum Kerngeschäft gehören werden.

    Zur Lösung dieser Aufgaben sollte die IT mindestens die folgenden Bausteine zur Verfügung stellen:

    • Produktdatenbank mit den angebotenen Produkten, Tarifen, Risikokomponenten usw.
    • Kundendatenbank mit den Kundendaten, Verträgen, Vertragshistorien usw.
    • Workflowmodul
    • Anwendungsmodul in dem Vorgänge bearbeitet werden können: Schadensbearbeitung, Produktentwicklung, Policierung....

    Anforderungen an die Systemarchitektur

     

    Welche speziellen Anforderungen stellt die Versicherungswirtschaft an die Systemarchitektur? Hierbei gilt es den verschiedenen Problemen, die bei der Erstellung und Implementierung grosser Softwaresysteme auftreten, zu begegnen. Die Nachteile bisheriger Softwarelösungen liegen in der mangelhaften Geschäftsprozessunterstützung, der äusserst aufwendigen Anpassung von Schnittstellen, Redundanzen in den Datenbestanden und der Architektur, der Plattformvielfalt und der unzureichenden Toolunterstützung. Neue Systeme sollten daher folgende Features bieten:

    • Spartenübergreifende Datenhaltung
    • Wiederverwendbarkeit von Funktionsmoduln in verschie- denen Sparten
    • Gestaltung unternehmensübergreifender Arbeitsabläufe
    • Flexible Verlagerung/ Reintegration von Funktionsmodulen oder Teilmodulen in Beziehung zur Vertriebsorganisation, z. B. Schadenerfassung, Schadenregulierung, Policierung
    • Wiederverwendung von Vertriebsmodulen für verschiedene Formen der Vertriebsorganisation (Ausschließlichkeitsver- trieb, Mehrfirmenvertreter, Makler)

     

    Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft versucht vor dem Hintergrund dieser bekannten Probleme die Entwicklung eines offenen Marktes für standardisierte Anwendungs- und Basissoftwarebausteine für die Versicherungswirtschaft voran zu treiben. Zu diesem Zweck wurde ein eigener, frei zugänglicher Standard (VAA - Versicherungs Anwendungs Architektur) entwickelt, der es SW-Herstellern und Versicherern erlaubt, konforme SW-Anwendungen auf prozeduraler oder objektorientierter Ebene zu realisieren. [3] Ziele der VAA-Initiative waren:

    • Definition und Abgrenzung der VU-Anwendungen für die Softwareentwickler
    • Anbieten von übergreifenden, fachlichen und technischen Konstruktionsprinzipien
    • Unterstützen der Integration von Anwendungen durch genormte Schnittstellen
    • Bereitstellen von Standardbausteinen für generelle Aufgaben
    • Verbessern des Entwicklungsprozesses in den Versicherungsunternehmen
    • nterstützung der Entwicklung von offenen VAA-orientierten Branchenlösungen

     

    Mehr dazu und die Dokumentation des Entwicklungsprozesses finden sich unter: www.gdv-online.de

    Anforderungen an Anwendungen

     

    Die Anforderungen an die Software bei Versicherungen betreffen, wie bei anderen Unternehmen auch,

    • die Performanz unter grosser Auslastung,
    • die Bewältigung grosser Datenvolumen,
    • die Anpassung und Orientierung an die Geschäftsprozesse,
    • Administrierbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Plattformunabhängigkeit und Skalierbarkeit.

     

    Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit sollten selbstverständlich, der Schulungsaufwand aus Kostengründen nicht zu hoch sein. Daneben sollen sie neue Geschäftsstrategien rasch aufnehmen und integrieren können, kunden- und vorgangsorientiert sein, sparten- und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit ermöglichen und die elektronische Abwicklung von Geschäften mit Partnerunternehmen unterstützen. Trotz der grossen Komplexität der Softwarelandschaften und ihrer möglichen Inhomogenität sollten diese Systeme beherrschbar bleiben und wirtschaftlich zu betreiben sein.

    Quellen

     

    [1] Stefan Klein:
    www.wi.uni-muenster.de/
    [2] 2000/2001 study of the European financial services industry
    www.knowledgebusiness.com/
    [3] Bundesverband der Versicherungswirtschaft
    www.gdv.de/

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