Systematischer Wissenstransfer – eine betriebliche Notwendigkeit

    18. März 2013 von Dr. Angelika Mittelmann

    Herr W. klagt seiner Kollegin beim Mittagstisch, dass die Planungsarbeiten für sein neues Projekt an einem Punkt angelangt sind, wo er nicht mehr weiterkommt. Frau K., eine erfahrene Projektleiterin, hört aufmerksam zu und stellt einige Zusatzfragen, um sich einen Überblick über seinen derzeitigen Stand zu verschaffen. Dann schlägt sie ihm eine Vorgangsweise vor, die sie bereits in ihren eigenen Projekten mehrfach erfolgreich angewendet hat. Außerdem bietet sie Herrn W. an, dass sie ihm eine Spreadsheet-Vorlage schickt, in der diese Vorgehensweise gebrauchsfertig formalisiert ist. Er nimmt das Angebot dankend an. Sie beenden ihre Mahlzeit und gehen ihrer Wege. Als Herr W. nach seiner Nachmittagsbesprechung in sein Büro kommt, findet er in seinem E-Mail-Eingangsordner das versprochene Spreadsheet von Frau K.. Er erinnert sich an das Gespräch beim Mittagessen und erledigt nun seine Planungen rasch und sicher.

    Der Beitrag ist zuerst in den gfwm-Themen Ausg. 1, 12/2011 erschienen.


     

    Solche oder ähnliche Situationen spielen sich zu tausenden tagtäglich in Unternehmen ab. Es handelt sich dabei um einen spontanen, also nicht geplanten Wissenstransfer. Er findet unbewusst überall dort statt, wo Menschen miteinander kooperieren. Der zufällige Charakter dieses Prozessablaufs bedingt, dass nicht sichergestellt werden kann, dass  und  welches  Wissen  übertragen  wird.  Diese  Situation  ist  für  Unternehmen  untragbar,  die  Wettbewerbsvorteile  aus  der  gesteuerten  Bewirtschaftung  der  Ressource Wissen ziehen wollen. Es stellt sich daher die Frage, wie dieser Prozess systematischer implementiert  werden  kann  und  was  es  dabei  alles  zu  beachten  gilt,  ohne  allerdings den spontanen Wissenstransfer zu behindern.

    Frau K. in der obigen Szene ist sich nicht bewusst, dass sie wichtiges Erfahrungswissen besitzt, das sie sogar bereits für eine mögliche Wiederverwendung in ihrem Spreadsheet „verpackt“ hat. Damit dieses Wissen für die Organisation nicht verloren geht, müsste sie die Beschreibung ihrer Vorgehensweise samt Spreadsheet an einem Ort ablegen,  wo  es  möglichst  viele  Personen,  die  es  benötigen,  finden  können.  Außerdem könnte sie bei einem Erfahrungsaustauschtreffen von Projektleitern darüber berichten.

    Beide beschriebenen Varianten können Elemente eines systematischen Wissenstransfers sein. Um diesen spontanen Wissenstransfer mit einer systematischen Variante zu ergänzen,  ist  es  notwendig  den  gesamten  Prozess  mit  seinen  Rahmenbedingungen und  Erfordernissen  gut  zu  verstehen.  Im  Folgenden  wird  der  Wissenstransferprozess beschrieben  mit  dem  Ziel  praktische  Hinweise  für  seine  Implementierung in Organisationen zu geben.

    Der systematische Wissenstransferprozess

    Beim  bewussten,  systematischen  Wissenstransfer  (siehe  Abbildung 1) lassen sich idealtypisch die nachfolgend beschriebenen Teilschritte  unterscheiden.  Die  Schrittfolge  ist  nicht  sequentiell zu verstehen, sondern verläuft zyklisch, d.h. die Ergebnisse von Schritt  6  fließen  nach  dem  erstmaligen  Durchlauf  wieder  in Schritt 1 ein. Die Schritte 1 bis 6 werden meist jährlich einmal durchlaufen, um rechtzeitig Änderungen in der Organisation und in  dessen  Umfeld  in  den  organisationalen  Wissenstransferprozess  einbeziehen  zu  können.  Die  Schritte  3  bis  5  (Wissensaufbereitung,    -kommunikation  bis    -anwendung)  können  beliebig oft  zyklisch  wiederholt  werden.  Sie  stellen  eine  organisationale Lernschleife  dar,  die  hin  und  wieder  durch  den  Schritt  6  (Prozessreflexion) ergänzt wird, um den Lernprozess an sich zu verbessern.

    Abbildung 1: Prozessschritte des systematischen Wissenstransfers
    Abbildung 1: Prozessschritte des systematischen Wissenstransfers

    1. (Re-)Definition der strategischen Wissensgebiete:

    Das  Top-Management  definiert  ausgehend  von  der  Unternehmensstrategie  die  strategischen  Wissensgebiete.  Bei  weiteren Durchläufen  des  Prozesszyklus  werden  sie  bei  Bedarf  redefiniert.  Zur  besseren  Illustration  werden  sie  in  einem  Portfolio (siehe Abbildung 2 nach Hofer-Alfeis 2008, S. 47) dargestellt. Es ist  darauf  zu  achten,  dass  die  Organisation  dabei  ganzheitlich betrachtet   wird.   Ein   Produktionsunternehmen   wäre   z.B. schlecht beraten, nur  die  produktionsnahen  Wissensgebiete  in sein  Portfolio  aufzunehmen.  Ein  erfolgreich  tätiges  Unternehmen  benötigt  in  der  gesamten  Prozesskette  Wissensträger,  die ihren Geschäftsprozess im Detail verstehen und ihr Wissen konsequent an andere, weniger erfahrene Mitarbeiter weitergeben. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Organisation durchgängig wissensbasiert und effizient arbeitet.

    Da  bei  größeren  Unternehmen  jede  Organisationseinheit  ihre spezifische  Aufgabe  hat,  verfeinert  jede  Führungskraft  dieses Portfolio für ihre eigene Organisationseinheit. Wenn eine Organisationseinheit  die  Expertise  für  bestimmte  Wissensgebiete  hat, können  diese  weiter  in  das  rechte  obere  Viertel  rücken  als  im unternehmensweiten Portfolio.

    In der Abbildung 2 sieht man beispielhaft die Verteilung von fünf strategischen,  hier  nicht  näher  benannten  Wissensgebieten  im unternehmensweiten  Portfolio.  Die  Wissensgebiete  1  und  2  im rechten oberen Viertel haben sowohl derzeit als auch zukünftig hohe strategische Bedeutung für das betreffende Unternehmen und werden daher sehr sorgfältig gepflegt. Die strategische Bedeutung  des  Wissensgebiets  3  im  linken  oberen  Viertel  wird  in Zukunft  zunehmen,  daher  steht  es  unter  besonderer  Beobachtung. Die Wissensgebiete 4 und insbesondere 5 in den unteren beiden  Feldern  sind  von  mittlerer  derzeitiger  und  zukünftiger Bedeutung, sie werden daher standardmäßig behandelt.

    Abbildung 2: Portfolio strategischer Wissensgebiete
    Abbildung 2: Portfolio strategischer Wissensgebiete 

    Im  Unternehmen  von  Frau  K.  wird  „Projektmanagement“  (Wissensgebiet 1 in Abbildung 2) als ein Wissensgebiet mit derzeitiger und zukünftiger hoher strategischer Bedeutung definiert.

    2. Identifikation der Wissensträger:

    Auch  bei  diesem  Schritt  spielt  das  Management  eine  wichtige Rolle.  Die  Führungskräfte  sind  gefordert  die  Wissensträger  je strategischem  Wissensgebiet  zu  identifizieren.  Meist  wissen  sie sehr  genau,  welche  Mitarbeiter  hier  in  Frage  kommen.  Unterstützend  können  sie  sich  fragen  oder  ihre  Mitarbeiter  interviewen (lassen), wer in der Organisationseinheit häufig zu dem betreffenden  Wissensgebiet  kontaktiert  wird,  um  zu  „guten“  Antworten zu kommen.

    Frau K. wird von ihrer Führungskraft als Wissensträgerin für das Wissensgebiet „Projektmanagement“ identifiziert.

    3. Wissensaufbereitung:

    In diesem Schritt geht es darum, das Wissen des strategischen Wissensgebiets  in  verdaubare  Happen  und  in  möglichst  verständlicher  Form  aufzubereiten.  Verdaubar  bedeutet,  dass  das Wissen in kleine Einheiten zerlegt wird, von denen jedes ein in sich geschlossenes Ganzes bildet. Die Verständlichkeit wird unterstützt durch die Verwendung passender Medien. Das zugehörige Erfahrungswissen wird durch geeignete Methoden (siehe z. B. Narrativer Wissenstransfer - S. 84, Manöverkritiksitzung - S. 68, Lessons Learned Prozess - S. 74: alle in Mittelmann 2011) gehoben  und  in  Form  von  Erfahrungsgeschichten,  Empfehlungen,  Vorlagen  oder  Checklisten  den  Wissenseinheiten  hinzugefügt.

    Frau K. orientiert sich bei der Zerlegung „ihres“ Wissensgebiets an  den  Phasen  des  Projektmanagements  und  ergänzt  ihr  umfangreiches Erfahrungswissen in Form von Erfahrungsgeschichten und Vorlagen. Sie arbeitet an der Aufbereitung gemeinsam mit drei weiteren Wissensträgern für Projektmanagement. Weiterbildungsexperten unterstützen die Gruppe der Wissensträger bei der Aufbereitung der Wissenseinheiten.

    4. Wissenskommunikation:

    Die erstellten Wissenseinheiten werden nach einer letzten Qualitätskontrolle  durch  die  Wissensträger  im  Intranet  des  Unternehmens veröffentlicht. Sie können entweder über Eingabe des betreffenden Wissensgebiets oder dem zugehörigen Geschäftsprozess gefunden werden. 

    Außerdem  identifizieren  die  Führungskräfte  in  enger  Zusammenarbeit  mit  dem  Personalmanagement  die  passenden  Empfänger  (= Wissensnehmer)  für  die  erstellten  Wissenseinheiten. Diese  Gruppe  umfasst  jene  Personen,  deren  Kompetenzen  in dem  Wissensgebiet  ausgebaut  werden  sollen,  damit  sie  ihre Aufgaben  noch  besser  bewältigen  oder  neue  Aufgaben  übernehmen können. 

    Die Wissensträger geben  ihr Wissen  dieser Personengruppe auch in mündlicher Form  z.  B.  in  Wissensmeetings  (siehe  Mittelmann 2011, S. 104) oder Lerntagen (siehe Mittelmann 2011, S.  112)  weiter.  Durch die Kombination von schriftlicher  und mündlicher Kommunikation wird ein möglichst optimaler Transfer erreicht.

    Frau  K.  erklärt  Herrn  W.  ihre  Vorgehensweise  anhand  einiger Beispiele (mündliche Kommunikation) und stellt ihm danach die Spreadsheet-Vorlage  (schriftliche  Kommunikation)  zur  Verfügung.

    5. Wissensanwendung:

    Wichtig in diesem Schritt ist, dass die Wissensnehmer das kommunizierte  Wissen  auch  tatsächlich  im  Arbeitsalltag  immer  wieder anwenden, um Sicherheit zu gewinnen und eigene Erfahrungen  zu  machen.  Dies  wird  leichter  erreicht,  wenn  die  Wissensnehmer nicht allein gelassen werden, sondern bei den Wissensträgern  im  Bedarfsfall  nachfragen  können.  Bei  komplexen  Wissensgebieten kann es auch sinnvoll sein, dass die Wissensträger als  Mentoren  fungieren  und  die  Wissensnehmer  über  einen  etwas  längeren  Zeitraum  bei  ihrem  Lernprozess  begleiten  (siehe Mentoring in Mittelmann 2011, S. 45). 

    Frau  K.  stellt  sich  Herrn  W.  und  zwei  weiteren  Projektmanagement-Neulingen als Mentorin zur Verfügung. Sie trifft sich mit ihnen  in  regelmäßigen  Abständen  und  geht  deren  Fragen  durch. Sie verweist auch immer wieder auf Details in den bereitgestellten Wissenseinheiten.

    6. Prozessreflexion:

    Das  Top-Management  reflektiert  in  ihren  Strategiegesprächen, ob die strategischen Wissensgebiete nach wie vor passend sind oder  ob  aufgrund  geänderter  Umweltbedingungen  (siehe  Abbildung 3) neue Wissensgebiete hinzugefügt oder bestehende entfernt werden müssen. Die Führungskräfte betrachten kritisch die Kompetenzentwicklung  ihrer  Mitarbeiter  insbesondere  in  den strategischen  Wissensgebieten,  um  den  Erfolg  des  systematischen   Wissenstransfers   einzuschätzen   und   gegebenenfalls steuernd einzugreifen. Zumindest einmal jährlich überprüfen die Wissensträger,  ob  die  veröffentlichten  Wissenseinheiten  noch aktuell  sind.  Sie  initiieren  Änderungen,  wenn  es  wichtige  neue Erkenntnisse in dem Wissensgebiet gibt.

    Die Geschäftsführung im Unternehmen von Frau K. kommt in ihrem jährlichen Strategiegespräch zur Erkenntnis, dass das Wissensgebiet  Projektmanagement  nach  wie  vor  dieselbe  strategische  Position  im  Portfolio  hat  wie  im  abgelaufenen  Jahr.  Die Führungskräfte  schätzen  -  auf  Basis  der  Ergebnisse  aus  den Mitarbeitergesprächen - die Kompetenzentwicklung aller Mitarbeiter  im  Wissensgebiet  Projektmanagement  ein.  Da  die  Entwicklung  wie  geplant  erfolgt  ist,  besteht  kein  unmittelbarer Handlungsbedarf  in  diesem  Wissensgebiet.  Frau  K.  überprüft gemeinsam im Team der Projektmanagement-Wissensträger, ob die bereitgestellten Wissenseinheiten nach wie vor aktuell sind. Sie diskutieren ihre gewonnenen Erkenntnisse im abgelaufenen Jahr  und  die  Rückmeldungen  der  Benutzer  zu  den  Wissenseinheiten.  Danach  entscheiden  sie,  welche  Inhalte  geändert  oder angepasst und welche neuen hinzugefügt werden sollen. 

    Der  Prozessablauf  ist  idealtypisch  dargestellt  und  muss  bei  der Implementierung an die Gegebenheiten in der jeweiligen Organisation angepasst werden.

    Kritische Erfolgsfaktoren und Hinweise für eine erfolgreiche Implementierung

    Ein Unternehmen kann als ein Mensch-Aufgabe-Technik-System aufgefasst  werden,  dessen  Basis  seine  Unternehmenskultur  ist (siehe Abbildung 3). Das Gesamtsystem wird von seinen Umwelten  beeinflusst,  die  es  ausbalancieren  muss,  um  im  Gleichgewicht  und  damit  überlebensfähig  zu  bleiben.  Die  Implementierung  eines  neuen  Prozesses  erfordert  es,  dass  alle  Systemelemente in ausgewogener Weise berücksichtigt werden. Die nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind diesen Systemelementen zugeordnet.

    Abbildung 3: Unternehmen als Mensch-Aufgabe-Technik-System
    Abbildung 3: Unternehmen als Mensch-Aufgabe-Technik-System

    Unternehmenskultur

    Eine  wesentliche  Voraussetzung  für  die  Implementierung  ist, dass  die  Ressource  Wissen  für  das  Unternehmen  einen  Wert darstellt,  also  im  Wertesystem  der  Organisation  ihren  festen Platz hat. Wissen ist bekanntermaßen immer an die Person, den Wissensträger  gebunden.  In  der  Unternehmenskultur  muss  daher  auch  verankert  sein,  dass  das  Wissen  unabhängig  von  der Stellung  der  Person  in  der  Organisation  gleich  wertgeschätzt wird. Es darf keinen Unterschied machen, ob der Wissensträger ein Mitarbeiter an der Basis oder der Geschäftsführer ist.

    Eine Entwicklung der Unternehmenskultur in die oben beschriebene  Richtung  kann  nur  vom  Top-Management  initiiert  werden und  muss  im  Führungssystem  der  Organisation  ihren  Niederschlag finden. Am besten gelingt dies, wenn diese Aspekte in der Führungskräfteentwicklung  des  Unternehmens  Eingang  finden. Das ist ein langwieriger, aber ein nachhaltiger Weg mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit.

    Mensch

    Bei  Mitarbeitern  aller  Hierarchieebenen  muss  als  wichtigste Voraussetzung  die  Kompetenz  „Wissensorientierung“  konsequent   weiterentwickelt   werden.   Dies   beginnt   beim   Sich-Bewusstwerden des eigenen Wissens und setzt sich fort in der Verstärkung wissensorientierter Fähigkeiten bis hin zu aktivem wissensorientierten  Verhalten  (siehe  Lembke  2007).  In  Abbildung 4 ist beispielhaft eine dreistufige Beschreibung der Kompetenz „Wissensorientierung“ dargestellt.

    Abbildung 4: Beispiel einer dreistufigen Beschreibung der Kompetenz „Wissensorientierung“
    Abbildung 4: Beispiel einer dreistufigen Beschreibung der Kompetenz „Wissensorientierung“

    Im  jährlichen  wissensorientierten  Mitarbeitergespräch  (siehe Mittelmann 2011, S. 62) überprüfen Mitarbeiter und Führungskraft u.a. gemeinsam, wie weit die Entwicklung der Kompetenz „Wissensorientierung“ gediehen ist. Bei Bedarf vereinbaren sie Maßnahmen zur Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten.

    Aufgabe

    Hier   geht   es   -   neben   der   Prozessbeschreibung   und   -implementierung - vor allem um die Definition, Einführung und Erweiterung  der  Rollen,  die  für  den  systematischen  Wissenstransfer  erforderlich  sind.  In  der  Abbildung  5  sind  die  wichtigsten  Rollen  im  Wissenstransferprozess  in  Form  von  orangen Ovalen dargestellt.

    Die  Rollen  Topmanager,  Manager  und  Personalmanager  werden  um  die  Aufgaben  erweitert,  die  speziell  der  Wissenstransferprozess  erfordert.  Der  Topmanager  definiert  in  Zusammenarbeit mit den Managern die strategischen Wissensgebiete. Die Manager  identifizieren  gemeinsam  mit  dem  Personalmanager die Wissensträger je strategischem Wissensgebiet.

    Abbildung 5: Rollen im Wissenstransferprozess
    Abbildung 5: Rollen im Wissenstransferprozess

    Wissensträger,  Wissensnehmer  und  Mentor  sind  neue  Rollen, die  es  in  der  Organisation  wahrscheinlich  noch  nicht  gibt.  Die wichtigste  Aufgabe  des  Wissensträgers  ist,  das  erfolgskritische Wissen und die Erfahrungen seines Wissensgebiets zu sammeln, aufzubereiten und zu verbreiten. Er entscheidet, welches Wissen gespeichert wird und er hat die Pflicht, es aktuell zu halten. Der Wissensnehmer hat zur Aufgabe das bereitgestellte Wissen aufzunehmen, anzuwenden und in seinen Erfahrungshintergrund zu integrieren.  Er  ist  verpflichtet,  bei  Unsicherheiten  solange  nachzufragen, bis er die Inhalte verstanden hat und richtig anwenden kann.  Sollte  er  bei  der  Anwendung  zu  neuen  Erkenntnissen kommen,  ist  er  aufgefordert  diese  zu  kommunizieren.  Der  Mentor ist ein Wissensträger, der die Wissensnehmer bei der Anwendung  des  Wissens  solange  unterstützt,  bis  diese  eine  ausreichende Sicherheit erlangt haben.

    Technik

    Ohne  entsprechende  Technikunterstützung  kann  der  systematische   Wissenstransferprozess   nicht   erfolgreich   implementiert werden. Das beginnt bei einer übersichtlichen Visualisierung der strategischen Wissensgebiete im Intranet mit einer gut nachvollziehbaren  Struktur  für  die  Ablage  der  Wissenseinheiten.  Die  potenziellen  Benutzer  müssen  die  benötigten  Wissenseinheiten leicht finden können, entweder über das Wissensgebiet oder den zugehörigen  Geschäftsprozess.  Bei  größeren  Unternehmen  erleichtert  die  Bereitstellung  von  Kollaborationswerkzeugen  die Zusammenarbeit  in  und  zwischen  den  Wissensträgerteams  und ermöglicht  die  direkte  Kommunikation  zwischen  Wissensträger und -nehmer. Je nach Technik-Affinität der Organisationsmitglieder können Werkzeuge zum Einsatz, die ein kooperatives Erzeugen  von  Wissenseinheiten  ermöglichen.  Z.  B.  könnten  in  einem unternehmensweiten  Wiki  alle  wichtigen  Fachbegriffe  und  Zusammenhänge  der  strategischen  Wissensgebiete  durch  die  Mitarbeit aller Wissensträger gesammelt und beschrieben werden.

    Implementierungshinweis

    Die  Implementierung  des  systematischen  Wissenstransferprozesses  bedeutet  für  die  meisten  Unternehmen,  größere  Veränderungen in der Organisation vorzunehmen. Damit es zu keiner Überforderung  der  Organisationsmitglieder  kommt,  ist  es  sinnvoll diese Veränderungen stufenweise anzugehen.

    In der ersten Phase kann mit den Prozessschritten 4 und 5 (Wissenskommunikation  und  -anwendung,  siehe  Abbildung  1)  begonnen werden. Es bietet sich an, diese beiden Prozessschritte im Rahmen von Stellenwechseln zu üben. Als Methode kann dazu  Expert  Debriefing  (Seren/Dückert  2006)  oder  eine  Variante wie  Wissensstafette  oder  TransferWerk  (Kurzbeschreibung  für alle  in  Mittelmann  2011:  S.  95,  S.  99,  S.  103)  zum  Einsatz kommen.  Das  Grundprinzip  dieser  Methoden  ist,  dass  der  Stelleninhaber als Wissensträger sein Wissen seinem Nachfolger als Wissensnehmer  in  moderierten  Übergabegesprächen  und  gemeinsamen Aktivitäten näher bringt. Dies bereitet die neuen Rollen  Wissensträger  und  Wissensnehmer  in  der  Organisation  vor und hebt das Bewusstsein für die Bedeutung des Wissens ausscheidender Mitarbeiter.

    In der nächsten Phase wird die organisationale Lernschleife um den  Prozessschritt  3  ergänzt  und  damit  vervollständigt.  In  der Organisation werden schrittweise immer mehr Wissenseinheiten erzeugt, regelmäßig kommuniziert und angewendet. Nach einer angemessen  langen  Zeitdauer  (mindestens  ein  Jahr)  wird  der Prozessschritt  6  (Prozessreflexion)  zum  ersten  Mal  ausgeführt. Dies  ergibt  eine  erste  Revision  der  erzeugten  Wissenseinheiten und des Lernprozesses.

    In  der  letzten  Phase  wird  die  Systematisierung  des  Wissenstransferprozesses  vollendet,  in  dem  die  strategischen  Wissensgebiete samt ihren Wissensträgern definiert und einer beständigen  Steuerung  unterworfen  werden.    Meist  geht  diese  Phase Hand  in  Hand  mit  der  Etablierung  eines  unternehmensweiten Kompetenzmanagements.

    Fazit

    Spontaner  Wissenstransfer  ist  in  vielen  Unternehmen  gelebte Praxis.  In  nur  wenigen  ist  sich  das  Management  bewusst,  dass die Organisation erst durch die Einführung des systematischen, gesteuerten  Wissenstransfers  in  allen  Geschäftsprozessen  wissensbasiert  und  effizient  arbeiten  kann.  Kritische  Erfolgsfaktoren  für  die  Einführung  sind  eine  wissensfreundliche  Unternehmenskultur,  eine  gut  entwickelte  Wissensorientierung  bei  der Mehrheit  der  Mitarbeiter,  das  Vorhandensein  spezifischer  Rollenbilder  wie  Wissensträger,  Wissensnehmer  und  Mentor  sowie eine adäquate Technikunterstützung.

    Da  durch  die  Einführung  des  systematischen  Wissenstransfers mit größeren Veränderungen in der Organisation zu rechnen ist, sollte  genügend  Zeit  eingeplant  werden.  Eine  stufenweise  Einführung  ist  einer  Implementierung  des  Prozesses  als  Ganzes vorzuziehen.

    Ein  Unternehmen,  das  den  systematischen  Wissenstransfer  erfolgreich implementiert hat, ist der Vision einer lernenden Organisation  ein  deutliches  Stück  näher  gekommen.  Es  hat  damit seine Überlebensfähigkeit nachhaltig gestärkt, was den Aufwand für die Implementierung langfristig rechtfertigt

    Referenzen

    Hofer-Alfeis, Josef (2008): KM solutions for the Leaving Expert issue. Journal of Knowledge Management, Vol. 12 No. 4 2008, S. 44-54.

    Lembke, Gerald (2007): Persönliches Wissensmanagement. Perspektive blau, Januar 2007, http://www.perspektive-blau.de/artikel/0701a/0701a.pdf, Abruf: 30.10.2011.

    Mittelmann, Angelika (2011): Werkzeugkasten Wissensmanagement. Norderstedt: Books on Demand, ISBN 978-3-8423-7087-6.

    Seren, Paul; Dückert, Simon (2006):Die Methode Expert Debriefing
    - Wissenssicherung bei ausscheidenden Mitarbeitern
    eingebettet in das Konzept der Lernenden Organisation - . http://www.cogneon.de/files/COGNEON-Paper_-_Schaeffler-Lernende-Organisation_-_Knowtech-2006.pdf, Abruf: 30.10.2011, (Link aktualisiert 18.03.2013 - die Redaktion)

    Terhoeven, Grit (2007): Präsentation "TransferWerk" strukturierter Wissenstransfer. http://www.exabis.com/cm362/fileadmin/wage/pdf/Praesentation_Terhoeven.pdf, Abruf: 30.10.2011

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