Aspekte des Wissensmanagements in der Pflege (Teil 2)

    04. April 2006 von Steffen Kosch

    In den meisten Krankenhäusern hat sich seit der Einführung der DRGs vieles geändert - vor allem an der ökonomischen Basis. Einige Aspekte, die die Pflege als grösste Berufsgruppe im Gesundheitswesen nicht unberührt lassen sollten, sollen in diesem Beitrag diskutiert werden. Eine unter Mitarbeit des Autors verfertigte Studie soll Aufschluss darüber geben, wie Grundzüge der Wissensarbeit in der Pflegepraxis aussehen und wie Wissen in der Pflege entsteht und angewandt wird. Unter dem zu erwartenden Spar - und Leistungsdruck muss die Pflege Gefässe finden, ihr Wissen zu vernetzen und neu zu nutzen. Darauf wird besonders eingegangen. Anhand von Contents des Pflegemanagements werden Möglichkeiten erörtert, wie die Pflege sich in der wandelnden Krankenhauswelt einbringen und ihre Ansprüche an Mitgestaltung weiter ausbauen kann. Hierbei spielen die Akademisierung und Professionalisierung der Pflege eine bedeutende Rolle.

    Studie zum subjektiven Erleben von Pflegefachkräften in Abhängigkeit von der gewählten Fachrichtung

    Wissen, vor allem Fachwissen, gibt Sicherheit. Jedes Problemmanagement basiert auf der Kenntnis von erarbeiteten oder erlernten Instrumenten. Diese prägen je nach Herausforderung im Arbeitsalltag unsere Arbeit. Erstaunlich hierbei ist, dass, obwohl alle Fachleute eines Berufs vergleichbare Erfahrungen gemacht haben und ähnlichen Reizen ausgesetzt sind, individuelle Lösungsmuster für Probleme parat haben. Diese und weitere Gedanken lagen einer Studie zu Grunde, die KOSCH / RIENKENS 2004 mit Pflegenden von Krankenhäusern und ambulanten Pflegediensten durchführten. Der genaue Arbeitstitel lautete: "Subjektives Erleben der Pflegefachkraft am Patientenbett in Abhängigkeit von der Fachrichtung!" Der Fragebogen hatte drei Ebenen: die Mikroebene, die die Beziehung zwischen Patient und Pflegender exploriert, die Mesoebene, die die Vernetzung des fachlichen Hintergrundes der Pflegenden mit der Systemstruktur beleuchtet und die Makroebene, die das Arbeitsfeld und seine Einflussmöglichkeiten auf das Individuum darstellt. In einer Frage wird versucht, die Interaktion mit dem Patienten von der Mikro- in die Makroebene zu transportieren. Die Validität, Reliabilität und die Objektivität des Intsruments konnten nachgewiesen werden. Eine der wesentlichen Grundlagen der Studie ist die internationale NEXT- Studie, die sich mit den Gründen des verfrühten Ausscheidens von Pflegepersonal aus dem Beruf beschäftigt.

    Die Mesoebene ist die wesentliche Ebene, Wissensmanagement in der Pflege zu untersuchen. Fachwissen - hier möchte ich nochmals auf die vier Komponenten des Pflegewissens und die Wissensgenerierung im Pflegeprozess hinweisen - wird mit der Systemstruktur verbunden. Diese sehr individuellen Vernetzungen bedeuten, dass der berufliche Wissenshintergrund mit der Struktur der Arbeitsumgebung, einer Fachabteilung eines Krankenhauses oder in der Ambulanten Pflege mit der häuslichen Umgebung des Patienten, verbunden wird. Diese sehr komplexen Vorgänge verdienen genauere Beleuchtung, weil hierin für die jeweilige Organisation das Potential liegt, mit dem Wissen der Mitarbeiter und ihren Möglichkeiten ihre Zukunft zu sichern.

     

    Pflegerische Arbeitsgebiete haben die Eigenheit, "ereignis- und situationsabhängige Arbeit" (BÜSSING / GLASER 2003, S.152) zu bieten. Das heisst unter anderem, dass der Patient als Partner im Pflegeprozess seine Pflege mitgestaltet, was für die Pflegende bedeutet, dass sie nebst den Arbeitsprozessen auch den Habitus des Patienten in die Pflege einbeziehen muss. Hier sind fast täglich Grenzerfahrungen zu bewältigen, denn die Compliance der Patienten gegenüber Pflegemassnahmen ist abhängig von dessen Krankheitseinsicht und seinem Wunsch nach Heilung bzw., bei chronisch kranken Patienten, wie er Gesundheit für sich definiert. Pflegeziele, also die Ziele, die den Pflegeprozess bestimmen, werden nur dann erreicht, wenn der Pflegeempfänger auch die edukativen Bestandteile der Pflege zulässt, die auf Autonomie in der Versorgung sowie Prävention und Vorsorge zielen. Hier sind Akzeptanzprobleme zu erwarten. Die Bewältigung dieser Probleme ist möglich, indem neben Erfahrungswissen und dem Persönlichen Wissen auch Intuition und Wertvorstellungen in die Arbeit eingebunden werden, die dem Patienten "ein Paket" an massgeschneiderten Massnahmen anbieten. Der bereits erwähnte Habitus des Patienten macht einen Blick auf die Milieutheorie von BOURDIEU (1979) notwendig.

    Pflege und soziale Lage des Klienten

    Der Kontext, in dem die Fragestellung des Habitus" erläutert werden soll, ist der, in dem KLOCKE ET AL (2004) ihre "Grundzüge einer modernen Sozialstrukturanalyse" verfasst haben. Im Folgenden wird darauf zurückgegriffen. Der Habitus, als das Instrument, mit dem sich eine Person zu einer sozialen Lage zugehörig bekennt, so BOURDIEU (1979), ist letzten Endes entscheidend für den Erfolg pflegerischer bzw. pflegetherapeutischer Massnahmen. Der Klient muss willens und in der Lage sein, am Pflegeziel mitzuarbeiten und sich einzubringen. Voraussetzungen sind neben dem Willen, Heilung zu finden, auch das Vermögen, das Ziel der Pflege und medizinischen Behandlung nachvollziehen zu können und praktische Fertigkeiten zu erlangen. Ganz typisch wird das bei einem Diabetiker, der anlässlich eines Krankenhausaufenthaltes von seinem Diabetes mellitus erfährt. Er muss seine Ernährung komplett ändern und lernen, sie korrekt zusammenzustellen, seine Lebensgewohnheiten ändern (Alkoholgenuss reduzieren, Sport treiben, einen gesunden Biorhythmus finden) und er muss vielleicht lernen, sich regelmässig Insulin zu spritzen. Jemand, dem die Basis fehlt, sich Wissen anzueignen, wird das alles sehr schwer fallen. Konkret: kommt jemand aus dem gehobenen konservativen Milieu, werden sich kaum Schwierigkeiten ergeben, da dieser Engagement und Pflichtbewusstsein zu seinem Persönlichkeitsbild zählt. Jemandem aus dem traditionslosen Arbeitermilieu können die Formalbildung und auch das Alltagsbewusstsein, um sich den Herausforderungen dieser Krankheit zu stellen, fehlen.

    Die im Pflegeprozess angestrebte Partnerschaft zwischen der Pflegenden und dem Klienten wird so oftmals auf eine harte Probe gestellt. Die im Sinne des Konzepts der Pflegetherapie gedachte Anleitung auf dem Wege der Versorgung und die fortwährende Ausbildung zum Experten über sein Defizit gelingt nur, wenn dem Patienten auch daran gelegen ist und er die Fähigkeit hat, die sich ihm bietende Chance zu nutzen, ein Leben zu führen, das weitestgehend frei ist von Beeinträchtigungen durch sein Krankheitsbild. Um beim Beispiel zu bleiben: der lernbegeisterte Diabetiker wird sich überall ganz normal bewegen, sich selbst spritzen können, wird seine Mahlzeit aus dem aktuellen Angebot zusammenstellen. Wer dies nicht so souverän kann, wird stets abhängig von fremder Hilfe sein, muss in häuslicher Umgebung bleiben und wird, da kommt dann auch eine gesundheitsökonomischer Aspekt dazu, beizeiten unter den Folgesymptomen der Krankheit leiden, weil er mit der Situation und den Folgen der Krankheit, sowohl den medizinischen als auch den sozialen, nicht zurecht kommt. Bei anhaltendem restriktiven Leistungsverhalten der Krankenkassen muss befürchtet werden, dass für eine steigende Anzahl von Patienten die Ressourcen nicht mehr da sind, eine ausreichende pflegerische Betreuung zu organisieren, so dass es vermehrt Patienten geben wird, die unterversorgt sind. Mit den genannten Folgen.

    Daraus erwächst für die Pflege nun die Aufgabe, Wege zu suchen, möglichst allen Patienten ein weitestgehend unabhängiges Leben zu ermöglichen. Ähnliche Beispiele wären auch Patienten mit Rheumaerkrankungen und Herzleiden. Bei den meisten chronischen Erkrankungen spielen ausreichendes Wissen über die Krankheit und der Bekämpfung der Folgen eine zentrale Rolle. Eine ebenso zentrale Rolle spielt, wie oben schon angetönt, ein neues Verhältnis zum Begriff der "Gesundheit". Was für den einen schon Krankheit bedeutet, ist für den anderen immer noch Gesundheit, weil ein besserer Zustand gar nie mehr erreicht werden kann. Auch dieses Wissen ist von Wichtigkeit, für Klienten und Pflegende. Letztere muss lernen, in der Patientenbildung nicht von sich auszugehen, sondern die Sicht und den Habitus des Klienten zu reflektieren, um zu einem Erfolg zu gelangen. Der Ausflug in die Soziologie und die Gesundheitswissenschaft sollte dazu dienen, eine unter vielen Dimensionen vorzustellen, die die Arbeit in der Pflege recht komplex machen. In der weiteren Abhandlung geht es um das Problemmanagement, welches notwendig wird, wenn es um die Berufspraxis selber geht, also die Bedingungen, unter denen Pflege stattfindet und wie die Pflegenden auf ihre Arbeitsumwelt reagieren.

    Wissen in der Pflegepraxis und seine Anwendung

    Für die vorliegende Abhandlung ist der zweite Teil des Fragebogens, indem es unter anderem auch um Wissensanwendung geht, wichtig. Exploriert wird hier Wissensanwendung als Instrument im Problemmanagement. Schutz vor Fehlern, Pflegeprobleme und ihre Aufarbeitung bzw. der Zugang zu Bewältigungsalternativen sowie die Gestaltung von Rahmenbedingungen der Arbeit und die Zufriedenheit mit der ausgewählten Fachrichtung. Der erste augenfällige Unterschied war darin zu sehen, dass jüngere Kollegen (unter 40 Jahre) eher in der Lage sind, Wissen einzusetzen als ältere (über 40 Jahre). Nicht eindeutig zu eruieren war, ob ältere Mitarbeiter generell weniger Probleme im Arbeitsprozess sehen, auf Grund grösserer Erfahrung im Umgang mit komplexen Situationen. Eventuell kommen dann auch Wiederholungseffekte dazu, dass auf vergleichbare Situationen (mit deliranten Patienten beispielsweise) mit standardisiertem Vorgehen reagiert wird. Bei älteren Pflegefachkräften wird aber auch ersichtlich, dass von einer Führungsperson auch "Führung" im herkömmlichen Sinne, transparent und mit deutlich erkennbaren Strukturen, erwartet wird. Freiräume werden selten ganz genutzt und Strukturen bestimmen das Arbeitsverhalten mehr als die Prozesse der Organisation, wie die oft noch gebrauchte Aufteilung einer Bettenstation in räumliche Bereiche. Die getroffenen Aussagen konnten nur für den Stationären Bereich erhoben werden.

    Bei jüngeren Pflegekräften ist es so, dass die fehlende Mitbestimmung des Arbeitsumfeldes beklagt wird und die Meinung vorherrscht, andere Berufsgruppen bestimmen das Arbeitsfeld. Den mangelnden Freiräumen wird auch eine Mitschuld an auftretenden Fehlern gegeben. Das geforderte Arbeitsvolumen wird als zu hoch angesehen auch wird von den jüngeren Berufsleuten festgestellt, dass sie ihre Interessen im Arbeitsbereich weniger gut vertreten können.

    Sowohl jüngere als auch ältere Pflegefachkräfte setzen sich mit ihrer Arbeitsumwelt auseinander und versuchen Lösungen zu finden, ihre Überlastung zu verringern bzw. abzustellen. Wertschätzung empfinden fast alle Mitarbeiter und ebenso eine Zufriedenheit mit der Fachrichtung.

    Dieser kurze Querschnitt soll dazu dienen, festzustellen, dass Pflege nach wie vor ein Berufsbild ist, in welchem sich grosse Potentiale befinden, mit Wissen den beruflichen Hintergrund zu verbessern.

    Das beste Beispiel dafür findet sich in den so genannten Funktionsbereichen: Anästhesie, Intensivpflege und Operationspflege. Hier sind die Möglichkeiten zur Beeinflussung des Arbeitsalltags und der Rahmenbedingungen am höchsten, weil in den genannten hoch spezialisierten Abteilungen nur Fachpflegepersonal arbeitet und auch mehr durch die reine Arbeitsaufgabe geprägt wird, als auf den Pflegeabteilungen - mit Ausnahmen im Intensivpflege-Bereich. Nahezu alle Mitarbeiter sind in der Lage zur Fehlerabwehr und zur Suche nach Lösungen für aktuelle Probleme. Die Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen ist entsprechend hoch. Auffallend auch, dass ältere und jüngere Mitarbeiter kaum anders gestimmt haben, nur bei der Einschätzung der Höhe der Anforderungen des Arbeitspensums kommen Unterschiede zum tragen.

    Ursache für die höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter in den Funktionsbereichen ist offensichtlich der tiefere Wissensfundus, der es möglich macht, den dort bestehenden Arbeitsalltag zu meistern. Zu allen drei Bereichen gibt es Fachweiterbildungen, die auf die speziellen Anforderungen vorbereiten. Ergänzende Schulungen schaffen die Voraussetzungen für den Einsatz neuer Techniken und Methoden, die wiederum das Leistungsspektrum des Krankenhauses erweitern und auch neue Vernetzungsmöglichkeiten zu dessen Infrastruktur bieten. In den genannten Bereichen ist ein höherer Wissenserwerb möglich und die so geschaffenen Ressourcen müssen im Sinne einer Wertschöpfung gemanagt werden. In Diskussion sind hier zukünftige Fachhochschulausbildungen für diese Bereiche (Siehe Teil1).

    Ausserhalb der Funktionsbereiche müssen nun ähnliche Möglichkeiten geschaffen werden, damit auch hier das Arbeitsergebnis optimiert werden kann. Das kann nur über den Pflegeprozess gehen, der durch begleitende Prozesse der Prozessoptimierung angepasst werden muss.

    Wie schon im Teil1 angeführt, müssen die beiden Punkte der Diagnosestellung und Planung sowie die Evaluation als die Stellen des Wissenserwerbs in der praktischen Pflege gesehen werden, aus denen durch Induktion Pflegewissen entsteht. So entwickelt sich eine Möglichkeit, in besonders komplexen Situationen durch die Instrumente des Audits, der Balint- Gruppe oder der Supervision beide Schwerpunkte des Pflegeprozesses zu analysieren. An einem Beispiel soll das näher erläutert werden. Eine sehr schwere Erkrankung ist eine Leukämie, der schwerste Verlauf wäre die AML - M3. Mit Gerinnungsstörungen einhergehend, ist damit auch das Komplikationsrisiko sehr hoch. Die medizinischen Details sind in diesem Beispiel weniger relevant. Bereits bei der Diagnosestellung ist schon höchste Vorsicht vor einer iatrogenen Schädigung geboten: eine Knochenmarkspunktion geht nur unter grössten Vorsichtsmassnahmen, da ein Verbluten möglich ist. Die Behandlung mit Chemotherapie setzt weitere Schäden - neben dem nach aussen sichtbaren Haarausfall kommen Schmerzen, Übelkeit und Missempfindungen etc. hinzu. Die psychische Situation des Klienten ist äusserst angespannt, die Compliance des Patienten ist meist Stimmungen unterlegen. Hier wird Pflege zu einer Herausforderung, insbesondere bei Patienten, bei denen die Zustimmung zur Behandlung wechselt. Dazu kommen Probleme im Verständnis der Notwendigkeit von Bestandteilen der Therapie, vor allem bei Patienten, denen der Hintergrund fehlt, diese mit zu tragen. Überforderte Angehörige und/ oder fehlende Unterstützung durch diese bzw. übertriebene Mitverantwortung lassen eine effiziente Pflege kaum zu. Ein grosses Infusionsprogramm neben der hinzukommenden Schmerztherapie setzen der eigentlichen Pflege auch zeitliche Grenzen, Nebenwirkungen, wie beispielsweise die Zerstörung der Mundschleimhaut erschwert auch die Nahrungsaufnahme und sorgt für zusätzliche Schmerzen. Es ist oft unglaublich schwer, dem Patienten das Verständnis für all das abzuringen. Die Pflegekraft ist hier die Schnittstelle zwischen Patient und Arzt. Auch dieser Konflikt ist auszuhalten - und auch der, dass die Ziele der Pflege nicht immer die gleichen sind, wie die des Arztes.

    In diesem nur unvollständigen Aufriss der Situation werden Analysen wichtig, um das angepeilte Ziel wieder zu finden aber auch um Prioritäten neu zu setzen bzw. der Lage anzupassen. Dies geht nur, wenn ein ausreichender Wissenshintergrund vorhanden ist. Neben pflegewissenschaftlichen, medizinischen und pharmakotherapeutischen Grundlagen müssen auch psychologische und sozialwissenschaftliche Inhalte bekannt sein, um die Patientensituation einschätzen und neue Planungen auf Grund neuer Diagnosen vornehmen zu können. Die Verknüpfungen basieren zuerst auf Empirie und Praxiswissen, zum Tragen kommen aber auch ethische Inhalte, z. B. wenn der Patient sich selbst zur Disposition stellt. Intuition macht es möglich, "zwischen den Worten zu hören" und auf die Situation auch mit dem Herzen zu reagieren, landläufig auch Menschenkenntnis genannt. Auch dies sind Wissensinhalte, die in die Pflegeplanung eingehen.

    Die Wertigkeit der einzelnen Wissensformen in der aktuellen Pflegeorganisation legen die Pflegeplanenden selbst fest.

    Diese komplexe Aufgabe, die Pflegeplanung an den Patienten anzupassen und nicht an die Möglichkeiten des Krankenhauses oder des Dienstplanes der Abteilung ist eine hohe Kunst - der Patient soll sich optimal betreut fühlen und seine Zielstellungen (Gesundung, Linderung oder einen würdigen Tod) verfolgen können. Das Wissen darum, wie die Pflegeplanung im Einzelfall auszusehen hat und wie der Patient nebst seiner Zielstellung maximal berücksichtigt wird, ist nur im Kontext mit einem internen Wissens- und Informationsmanagement möglich. Es geht schliesslich auch darum, diese sehr individuelle Pflege wirtschaftlich zu gestalten.

    Intellektuelle Wertschöpfung

     

    Dieser Begriff impliziert zunächst, dass das Krankenhaus zu einem Wissensunternehmen wird. Dem nun folgenden Text liegt die Arbeit von SERVATIUS (1998) zu Grunde, die den Übergang von der physischen zur intellektuellen Wertschöpfung zum Inhalt hat. In seinen Ausführungen geht es darum, die Wissenspotentiale von Führungskräften und Mitarbeitern zum Wachstum des Unternehmens einzusetzen (ebd.). Pflegewissenschaftliche und pflegewirtschaftliche Konzepte müssen miteinander verknüpft werden, um diese "Intellektuelle Wertschöpfung" auch im Pflegebereich umzusetzen.

    Anhand des Konzepts der "Biographieorientierung" in der Pflege soll der Gedanke einer Intellektuellen Wertschöpfung in der Pflege dargestellt werden.

    Eine Biographieorientierung, wie es in der Pflege demenzkranker Patienten unter dem Namen "validierendes Arbeiten nach NAOMI FEIL" (FEIL 1982) bekannt ist, was, verkürzt dargestellt, heisst, dass die Biographie des Klienten die Pflege und Betreuung massgeblich prägt, sollte auch verstärkt in der Akutpflege Einzug halten. Bei weiterem Voranschreiten des Konzepts der Bezugspflege böte dies die Möglichkeit, die oben bereits angesprochene Einbeziehung des Habitus bzw. der sozialen Lage zu implementieren. Kenntnisse der Sozialisation des Klienten und seiner habituellen Eigenschaften müssen dann Basis sein für die folgende Diagnoseerhebung und die sich anschliessende Planung. In der Evaluation muss dann gewürdigt werden, inwieweit sich die Orientierung an den persönlichen Fakten des Patienten positiv oder negativ auf das Gesamtbild der geleisteten Pflege ausgewirkt hat. Sowohl ein Zuviel an Biographie als auch ein Zuwenig kann eine Reihe von Pflegemassnahmen in der Wirkung schwächen.

    Spätestens an dieser Stelle muss dann gefragt werden, auf welchem Weg diese komplexen Vorgänge gemanagt werden sollen. Individuelles Management macht Standardisierungen und Qualitätsmanagement zu einer komplexen Aufgabe, es müssen also von Anfang an Prozesse in Gang gesetzt werden, die die ganze Organisation betreffen. Hierzu bedarf es eine Nivellierung des Wissensstandes aller Pflegefachkräfte - durch eine gemeinsam (Mitarbeitende und Führung) geplante Personalentwicklung müssen Pflegefachkräfte zum Experten ihrer Aufgabe geschult werden. Hierzu dienen moderierte Gesprächsrunden, in denen, vor allem auch problematische, Pflegesituationen repetiert und pflegewissenschaftliche Hintergründe transparent gemacht werden. Durch Induktion müssen dann Wissensinhalte formuliert werden. Das geschieht, indem unterschiedliche Erfahrungen aus ähnlichen Pflegesituationen miteinander vernetzt und abstrahiert werden. Informations- und Qualitätsmanager müssen dann die Erfahrungen katalogisieren und auf üblichem Wege, ein Qualitätszirkel etwa, die gesammelten Inhalte zu Richtlinien verarbeiten. Auf einer nächsten Stufe müssen dann Inhalte auf interdisziplinäre Eigenschaften hin analysiert werden und übergeordnete Richtlinien geschaffen werden. Obwohl dieser Prozess der Effektivität wegen von der Führung initiiert werden sollte, entstehen am Ende Richtlinien, die das Wissen der Mitarbeiter bündeln und auch allgemeinen Konsens finden. Für das Krankenhaus kann so eine intellektuelle Wertschöpfung initiiert werden, die entsteht, indem Pflegewissen in Dienstleistung am Patientenbett umgewandelt wird. Wissenserzeugung und -austausch sind in der modernen Wissensgesellschaft untrennbar miteinander verbunden - was bedeutet, dass Wissensnetzwerke entstehen müssen, die eine spezifische Wissenskultur prägen. Durch diese Netzwerke bleiben Organisationen beweglich, wobei Bedingung ist, dass informationstechnische Infrastruktur die Schaffung neuer Prozesse zur Wertschöpfung in der Projektarbeit unterstützt. Dokumentation und Kommunikation sind wichtige Medien, um kreative Lösungen von Problemen zwischen den Partnern zu transportieren.

    Zu den angesprochenen Prozessen gehört die Einführung der wissensbasierten Pflege (Evidence Based Nursing). Hierzu sind unter Anderem notwendig:

    • Professionalität
    • Förderung wissensintensiver Prozesse
    • breite Mitarbeit aller Pflegenden im Wissensmanagement
    • Wachstum durch Wissensarbeit
    • Personalentwicklung, insbesondere im Führungskräftebereich
    • Bewertung mit Instrumenten des Wissens-Controlling
    • Wissens - Marketing als Wettbewerbsvorteil (nach SERVATIUS 1998)

     

    Schwierig wird vor allem die Identifikation des intuitiven, also nicht klar artikulierten, Wissens - die Sortierung der unterschiedlichen Wissensanteile in einem Skill Mapping dürfte für die Pflege eine Aufgabe der Zukunft sein, will man die anstehenden Aufgaben als Dienstleistungsberuf wahrnehmen und berufspolitische Probleme lösen.

    Sinnvoll wäre eine Aufteilung von Wissensinhalten nach den Fünf Funktionen der Pflege, werden von der Pflegenden im Pflegeprozess wahrgenommen:

    • Unterstützung bei den Lebensaktivitäten
    • Begleitung in Krisensituationen
    • Mitwirkung bei Diagnostik und Therapie
    • Mitwirkung bei Prävention und Rehabilitation
    • Mitwirkung im Qualitätsmanagement und in der Pflegeforschung (SBK 1992 / 2002)

     

    Im Rahmen von Qualifizierungsgesprächen ist es von Vorteil, die oben angeführten Funktionen als Grundlage für Einschätzungen der Fach- und Methodenkompetenz sowie der Sozialkompetenz zur Bewertung heranzuziehen. Es wäre eine der Möglichkeiten, die ausgeübte Pflegepraxis transparent zu machen. Im Rahmen von Prozessevaluationen bietet es sich an, diesen Katalog als Grundlage für Einschätzungen der Mitarbeiterkondition der Gesamtorganisation zur Bewertung heranzuziehen. Für den Mitarbeiter wird es so möglich, den Zusammenhang von Wissensarbeit und Wertschöpfung für sich selbst abzubilden. Für die Führungskräfte heisst das, dass Führungsinhalte ausgebaut werden müssen, denn den Veränderungen muss Rechnung getragen werden. Auf sie kommen folgende Aufgaben im Change Management zu:

    • Weiterentwicklung des Leitbildes und seiner Kommunikation
    • Zieldefinition und Entwicklung entsprechender Messgrössen
    • Coaching von Mitarbeitern zu Wissensarbeitern
    • Systematische Erfolgskontrollen
    • Entscheidungen in den Bereichen Personal- und Pflegewirtschaft haben ihre Grundlage im Pflegecontrolling
    • Unternehmerische Intelligenz und Kreativität wird mit einem Anreizsystem belohnt (nach SERVATIUS 1998)

     

    Aspekte der Führungsarbeit im Wissensmanagement der Pflege

    Die Organisation findet ihre Prägung im intellektuellen Kapital ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte.

    Diese Maxime darf nicht aus den Augen gelassen werden, will man ein Krankenhaus oder eine andere Pflegeinrichtung erfolgreich führen. Prozesse zur Wissensgenerierung müssen parallel zu den Betriebsprozessen ablaufen, um einen möglichst hohen Nutzen für die Organisation zu ziehen. Führungskräfte müssen mit Pflegexperten und den Mitarbeitern die Pflege reflektieren und wissensrelevante Bestandteile herausfiltern. Das bedeutet eine Zunahme operativer Arbeiten für Führungskräfte. Projektkoordination wird "Chefsache" und kommt somit der Rohstoffsuche in der Grundstoffindustrie gleich. Auf gleicher Ebene und ebenso eine operative Aufgabe ist die Erforschung kommender Kundenwünsche, um das Wissensmanagement auf diese Aufgabe auszurichten. Transparenz ist vor allem gefragt, weil mit dem Change Management auch das künftige Qualitätsmanagement vorbereitet werden muss. Gehen wir von Business Excellence als Qualitätsmanagementsystem als ständige interdisziplinäre Aufgabe aus, welche in einer modernen Organisation zwingend notwendig ist, wird klar, warum Wissen vernetzbar und auch stets erneuerbar sein muss. Damit verschwindet aber aus unserem Pflegealltag auch ein Stück Berechenbarkeit und Sicherheit. Erwartungen werden in Frage gestellt, gemachte Erfahrungen werden plötzlich wertlos oder zumindest im Wert geschmälert. Das Vertrauen in die eigene Kompetenz wird kleiner, weil die Grundlage der Kompetenz, das Wissen, eine sich ständig wandelnde Grösse ist. HÖHLER (2002) umschreibt diese Tatsachen so: "Die Wissensgesellschaft lebt mit strapaziösen Verfallsprozessen von Wissen!" und "Die Wissensgesellschaft macht nicht nur Gewinne. Sie macht auch hohe Sicherheits- und SINN- Verluste." (HÖHLER 2002). Kein Krankenhaus der Welt ist in der Lage, ständig neuen Veränderungen so schnell Rechnung zu tragen, dass es immer und überall à jour ist. Wissen wird somit einerseits zur Selbstbestimmung notwendig. "Was ich weiss, sichert mir meinen Wert in dieser Organisation!" (HÖHLER 2002). Wissen bekommt so eine wirtschaftliche Determinante. Angewandtes Wissen ist andererseits ein Standortfaktor. Lernte man früher einen Beruf, genügte eine Erweiterung des Wissens um die eigene berufliche Erfahrung - Wissen war eher statisch. Bei der heutigen Wandelbarkeit von Wissen ändern sich ganze Inhalte bis zum Paradigmenwechsel, deren Umsetzung schnellstmöglich erwartet wird - Wettbewerbsvorteile sind nun auch im Gesundheitsbereich ernst zu nehmende Grössen. Die Pflegefachkraft ist nicht mehr nur allein für den Patienten da, sondern sie ist ein Wirtschaftsfaktor für das Unternehmen geworden und soll der Profitmehrung dienen. Ihr Wissen soll sich in barer Münze auszahlen - ausgehend von der Bezahlung nach Fallpauschalen wäre dies zum Beispiel eine effizientere Pflege durch Prozessoptimierung, die in der Verkürzung der Verweildauer resultiert oder aber eine Erweiterung des Leistungsspektrums möglich macht, die einen günstigeren Case- Mix erlaubt. Mit der Initiation dieser Denkweise gehören Krankenhäuser nicht mehr in den Non-Profit- Bereich. Die einzelnen Sphären der Gesundheitsbetreuung verweben sich auf der Basis ökonomischer Fragen immer enger, zukünftig wird es mehr denn je interdisziplinäre Gefässe geben, weil sich mehr als bisher kein Bereich mehr ohne den Anderen weiterentwickeln kann. Insofern ist eine Akademisierung der Pflege umso wichtiger, allerdings mit dem Anspruch, auch die Berufspraxis zu verändern. Die Pflege muss mit ihrem Wissen den Einfluss auf ihre Handlungsfelder behaupten können - unabhängig von anderen Wissenschaften, insbesondere natürlich der Medizin, in deren Schatten sie bis anhin stand. Und sie muss andere Handlungsfelder mitgestalten können, um ihre Ansprüche an Marktpositionen durchzusetzen. Geht es um die Marktpositionen, hatte die Pflege aktuell wenig mitzureden. Für die Pflege blieben all die Aufgaben übrig, die sich sonst keine Berufsgruppe zu Eigen gemacht hatte. Sowohl im diagnostischen wie auch im therapeutischen Bereich wurden der Pflege mehr und mehr Aufgaben weggenommen, die früher eindeutig zur Pflege gehörten. Denken wir an die Krankenhäuser der fünfziger Jahre, wo es noch "Laborschwestern" und "Röntgenschwestern" gab, wo die Physio- und Ergotherapie neben der pflegerischen Arbeit lief, wo die Ernährungsberatung von einer "Diätschwester" durchgeführt wurde. So blieb der Pflege eigentlich das, was sonst keiner wollte, trivial gesagt, und das bestimmt heute unser Arbeitsfeld. Selbst die Operationspflege tritt mittlerweile aus dem Berufsfeld der Pflege heraus und hat das Berufsbild der Operationstechnischen Assistenten (CH: Technischer Operationsassistent) hervorgebracht. Dass Assistenzaufgaben für andere Berufsgruppen, namentlich für die Ärzte, aus dem Berufsbild genommen werden, wird zwar allseits begrüsst, bisher konnten aber ausser der Gesundheitspflege keine weiteren Aufgabenfelder eruiert werden. Bleibt der Pflege letztendlich eine um wissenschaftliche Aspekte erweiterte Sammlung von Tätigkeiten, die man heute immer noch dichotomisierend als Grundpflege bezeichnet? Der Pflege (Kranken- und Altenpflege) als Berufsgruppe kann bis heute keine Vorbehaltsaufgabe zugeordnet werden, obwohl dies den aus ihr entwickelten Berufen gelungen ist, aber dennoch - keiner hat es bisher geschafft, sich auf den Weg zu einer Akademisierung zu begeben. In dem eingeschlagenen Weg zur Akademisierung zeigt sich aber auch die immense Entwicklung, die der Pflegeberuf genommen hat. Begann vor wenigen Jahrzehnten oft genug eine "Schwesternkarriere" als Pflegehilfe, die sich über Ausbildung, Schulungen und vor allem das Berufsalter bis zur Oberin hocharbeiten konnte, sind wir heute dabei, bereits Grundausbildungen auf Hochschul- oder Universitätsniveau vorzubereiten. Das Wissen der älteren Kollegin bestand grösstenteils aus Erfahrungswissen und Intuition, die Pflegefachkraft heute kann mehr und mehr auf solide wissenschaftlich erarbeitete Wissensbestände in den meisten Bereichen zurückgreifen. Entscheidend ist allerdings, dass sich damit auch die Berufspraxis ändert.

    In all den Pflegemodellen und -konzepten wird Pflegewissen systematisch angewandt, unter unterschiedlichen Prämissen. Ob es das Selbstpflegekonzept nach OREM (1970) (die therapeutische Nutzung von Defiziten zur Anleitung zur Selbsthilfe) ist, die Integrierte Pflege nach KÄPPELI(1990) (Integration verschiedener Perspektiven in der Pflegepraxis) oder aber die Pflege nach Lebensaktivitäten nach ROPER/LOGAN/TIERNEY (2002)(Grundlage sind die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse , die in der Pflege erfüllt werden sollen) - am Ende muss der Patient damit zufrieden sein und sein Ziel - die Gesundung, die Linderung oder der würdige Tod - erreicht haben. In diesem Punkt, dass der Adressat der Dienstleistung "Pflege" über deren inhaltlichen Wert und "Verwendung" entscheidet und es keine vorgeschriebene Gebrauchsanleitung gibt, liegt wohl die Crux der Pflege. Das Menschliche der Pflege macht eine konsequente Anwendung von standardisiertem Wissen sehr schwer, weil es immer unter anderen Bedingungen angewandt werden muss. Die Beziehung zwischen Klient und Pflegender enthält als unbekannte Variablen auch zwischenmenschliches, so professionell die Beziehung auch gestaltet sein mag.

    Abschliessend sei gesagt, dass Pflegewissen mehr und mehr wissenschaftlich erarbeitetes Wissen werden wird. Dass die Berufspraxis dahingehend gestaltet werden muss, dass sie professioneller und damit kalkulierbar wird. Die Pflege der Zukunft muss wirtschaftlich, zweckmässig und wirksam sein ("WZW- Formel") sein, und als wichtiger Nebeneffekt - sie muss flexibel sein, wenn es darum geht, neues Wissen zu formulieren und in die Praxis aufzunehmen. Die Zukunft des Pflegeberufes hängt entscheidend von der Wissenschaftlichkeit seiner Wissensbasis und deren Platz in der Praxis ab.

    Literaturhinweise

    Bücher:
    Büssing, A./ Glaser, J.(2003): Dienstleistungsqualität und Qualität des Arbeitslebens im Krankenhaus. Göttingen/Bern: Hogrefe
    Höhler, G.(2002): Die Sinn-Macher. München: ECON

    Zeitschriften:
    Servatius, H.G.(1998): Intellektuelle Wertschöpfung in Wissensunternehmen. In "Personal", Heft 3, S.100 - 107

    Studien:
    Klocke, A. et al(2004): Grundzüge einer modernen Sozialstrukturanalyse. Frankfurt. FH Frankfurt/M.
    Kosch, S. /Rienkens, S.(2004): Subjektives Erleben der Pflegefachkraft am Patientenbett in Abhängigkeit von der Fachrichtung. Freiburg, Kassel. Fern - FH Hamburg.

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