Absorptive Capacity

    Schlüsselpraktiken für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen

    08. November 2012 von Univ.-Prof. Dr. Georg Schreyögg, Dr. Stephanie Duchek

    Die Innovationsfähigkeit gilt unbestritten als eine der wichtigsten Eigenschaften zukunftsfähiger Systeme. Relativ dazu ist noch zu wenig bekannt, welche Prozesse die Innovationsfähigkeit erklären und ihre Steigerung ermöglichen. Mit dem Konzept der Absorptive Capacity wurde hier ein wichtiger Fortschritt erzielt. Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Fähigkeit eines Unternehmens, neues externes Wissen aufzunehmen und mit internem Wissen zu kombinieren

    Erstveröffentlichung in der Zeitschrift WiSt - Wirtschaftswissenschaftliches Studium Vol. 39 (2010), S. 474-479.

    1. Absorptive Capacity – Komponenten und Wirkungen

    Absorptive Capacity ist eines der meist beachteten Konzepte, die in den letzten Jahren in der Organisationsforschung entwickelt wurden. Seit seiner Einführung (1989) wird es lebhaft diskutiert; bis zum Jahre 2006 waren nicht weniger als 900 Beiträge in Fachzeitschriften erschienen (vgl. Lane et al., 2006).

    Über die Basisthese, dass der  Absorptionsfähigkeit für die Innovationskraft eines Unternehmens große Bedeutung zukommt,  besteht heute breitflächig Konsens. Weniger Einigkeit besteht allerdings über die konzeptionellen Grundlagen der Absorptive Capacity. Die Definitionen, Determinanten und Ergebnisse sind strittig.

    1.1 Das klassische Konzept

    Ende der 1990er Jahre zeigten Erkenntnisse der Innovationsforschung, dass die Verarbeitung externen Wissens die Innovationsrate von Nationen, Industrien sowie einzelnen Unternehmen erheblich beeinflusst. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend postulieren Cohen/Levinthal (1990) die Absorptive Capacity als eine besonders kritische Komponente der Innovationsfähigkeit und definieren sie als „[the] ability to recognize the value of new information, assimilate it, and apply it to commercial ends” Cohen/Levinthal, 1990, S. 128. Demnach handelt es sich um eine spezielle organisationale Fähigkeit, die maßgeblichen Einfluss auf die Innovativität und somit auch auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation hat. Sie setzt sich aus dem sequenziellen Zusammenwirken von drei Teilfähigkeiten zusammen: der Fähigkeit, neue externe Informationen zu identifizieren; der Fähigkeit, dieses neuartige und als nützlich bewertete Wissen zu assimilieren und der Fähigkeit, das assimilierte Wissen wertschaffend einzusetzen (siehe Abb. 1).

    Abb. 1: Modell der Absorptive Capacity nach Cohen/ Levinthal (1990)

     Abb. 1: Modell der Absorptive Capacity nach Cohen/ Levinthal (1990)

    Die Herausbildung der Absorptionsfähigkeit geschieht allerdings nicht voraussetzungslos, sie hängt einerseits vom Angebot neuen Wissens ab und andererseits von den in der Vergangenheit erworbenen Erfahrungen mit der Verarbeitung neuen Wissens. Insoweit ist die Absorptionsfähigkeit auch ein Spiegel der organisationalen Lerngeschichte. Das kollektive Gedächtnis oder die Wissensbasis eines Unternehmens bildet den Humus, aber auch die Pfade, auf denen sich die Absorption neuen Wissens entfaltet (Cohen/Levinthal, 1990). Dieses bedeutet sogleich, dass inhaltlich oder strukturell neuartiges Wissen nur identifiziert und aufgenommen werden kann, wenn die dafür erforderlichen Kategorien vorhanden sind. Wird das (anschlussfähige) externe Wissen dann integriert, verändert sich die organisationale Wissensbasis, es entstehen neue Anschlussstellen für weiteres externes Wissen, was wiederum die Absorptionsfähigkeit des Unternehmens fördert.

    Die Absorptive Capacity und die ihr zugrunde liegenden Strukturen entfalten unmittelbare und mittelbare Wirkungen. Sie fördern einerseits auf direktem Wege die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, in dem sie für steten Zufluss neuen Wissens sorgen. Darüber hinaus gibt es einen ebenso wichtigen – wenn auch oft übersehenen – mittelbaren Einfluss, nämlich dadurch, dass durch die Strukturen der Absorptionsfähigkeit ein Rahmen gezogen wird, der meist unbemerkt das zukünftige Verhalten des Unternehmens beeinflusst.

    Letztgenanntes zeigt sich sehr deutlich am so genannten Lockout-Effekt. Er entsteht, wenn ein Unternehmen auf Basis der in der Vergangenheit entwickelten Absorptionsstrukturen, gänzlich neues oder verändertes Wissen nicht aufnehmen kann, es wird auf unsichtbare Weise ausgeschlossen. Wird die Absorptionsfähigkeit also nicht kontinuierlich weiterentwickelt, so dass sie Schritt halten kann mit der Veränderung der relevanten Wissensfelder, gerät die neue Wissensentwicklung aus dem Wahrnehmungsfeld des Unternehmens heraus. Letztlich ist dann das Unternehmen von der Nutzung dieser Felder ausgeschlossen.

    Auf der anderen Seite gilt es zu sehen, dass je größer die Absorptionsfähigkeit eines Unternehmens ist, umso feinfühliger werden auch seine Sensoren für entstehende Chancen jenseits bisheriger Aktivitäten und Produkte (vergl. Cohen/Levinthal 1990). Unternehmen mit einem hohen Grad an Absorptionsfähigkeit zeigen ein eher proaktives strategisches Verhalten. Im Gegensatz dazu neigen Unternehmen mit gering ausgeprägter Absorptionsfähigkeit dazu, nach neuen Alternativen für Leistungsverbesserungen nur innerhalb ihres angestammten Aktivitätsfeldes zu suchen, was sich in einem eher reaktiven strategischen Verhalten äußert. Insgesamt entsteht ein selbstverstärkender Kreislauf, der proaktive wie reaktive Verhaltensmuster stabilisiert. Unternehmen, die proaktiv agieren, erwerben im Zuge innovativer Produktentwicklung weitere Absorptionsfähigkeit und damit ein gutes Sensorium für neue Chancen. Wird dagegen externes Wissen vor allem für die Verbesserung bestehender Leistungsprozesse genutzt, entwickelt sich auch nur die Absorptionsfähigkeit für diese angestammten Aktivitätsfelder weiter. Folge ist, dass neuartige technologische Chancen nicht wahrgenommen werden, das Verhalten des Unternehmens wird "pfadabhängig" (vgl. Sydow et al., 2009).

    1.2 Die Rekonzeptualisierung von Zahra /George

    Die Dimensionen und Kernannahmen des Cohen/Levinthal’schen Konzepts wurden im Zuge der weiteren Diskussion modifiziert. Ein viel beachteter Vorschlag zur Rekonzeptualisierung kommt von Zahra/George (2002). Sie entwickeln insbesondere die Komponenten und Wirkungsthesen weiter und definieren Absorptive Capacity "[…] as a set of organizational routines and processes by which firms acquire, assimilate, transform, and exploit knowledge to produce a dynamic organizational capability" (S. 186).

    Abb. 2: Modell der Absorptive Capacity nach Zahra und George (2002)

     Abb. 2: Modell der Absorptive Capacity nach Zahra und George (2002)

    Abb. 2 fasst die Veränderungsvorschläge zusammen. Im Wesentlichen geht es den Autoren um eine Differenzierung des Prozessgeschehens. Dazu unterscheiden sie grundsätzlich zwischen potenzieller und realisierter Absorptive Capacity und empfehlen das Modell entsprechend in ein Zwei-Faktoren-Modell umzustrukturieren.

    1. Potenzielle Absorptionsfähigkeit beschreibt die prinzipielle Empfänglichkeit des Unternehmens für externes Wissen. Akquisition und Assimilation bezeich-nen die Fähigkeit, extern generiertes Wissen zu identifizieren und aufzunehmen, einschließlich den Routinen und Prozesse zur ihrer Analyse.
    2. Realisierte Absorptionsfähigkeit beschreibt die situationsbezogene Nutzung akquirierten Wissens und resultiert aus dem Transformations- und Realisationsvermögen. Sie umfasst Routinen zur Kombination vorhandenen Wissens mit dem neuartigen assimilierten Wissen und ermöglicht es, akquiriertes bzw. transformiertes Wissen so in die eigenen Aktivitäten zu integrieren, dass bestehende Fähigkeiten verbessert, erweitert und in ihrer Wirkung unterstützt werden.

    Potenzielle und realisierte Absorptionsfähigkeit können sich unabhängig voneinander entwickeln, entfalten dabei aber jeweils nur begrenzten Nutzen. Erst die Verbindung potenzieller mit realisierter Absorptionsfähigkeit resultiert in hoher Wertschöpfung, weshalb Zahra/George (2002) für das Verhältnis von potenzieller zu realisierter Absorptionsfähigkeit einen Effizienzfaktor einführen. Ein hoher Effizienzfaktor drückt aus, dass vor allem umsetzungsrelevantes Wissen akquiriert wird bzw. dass aus dem akquirierten Wissen der größtmögliche Nutzen gezogen wird.

    1.3 Die Erweiterung von Todorova/ Durisin

    In jüngerer Zeit wurde das eben gezeigte Erweiterungsmodell von Zahra/George Ge-genstand grundlegender Kritik. So argumentieren vor allem Todorova/Durisin (2007), dass die neu eingeführte Komponente Transformation nicht eine Konsequenz der Wissensassimilation, sondern einen alternativen Prozess repräsentiert, der mit der Assimilation in Verbindung steht. Sie stützen sich dabei auf die Kognitionsforschung, nach der die Prozesse je nach Typ des externen Wissens zum Einsatz kommen. Passt das neue Wissen gut in die bestehenden kognitiven Strukturen, wird das Wissen nur geringfügig angepasst und dann in die bestehenden kognitiven Strukturen aufgenommen; das Wissen wird assimiliert. Transformation geschieht dagegen, wenn neues Wissen nicht so angepasst werden kann, dass es sich in die bestehenden Strukturen einfügt. Die kognitiven Strukturen der Individuen müssen dann transformiert werden, um das neue Wissen zu adaptieren. Diese Diskussion hat große Bedeutung für das Innovationsgeschehen. Folgte man dem Modell von Todorova/Durisin (2007), wäre es möglich, auch dann neues Wissen aufzunehmen, wenn es in keiner Verbindung zu den vorherigen Strukturen steht - vorausgesetzt die Unternehmung ist in der Lage, ihre Wissensstrukturen zu verändern und zu transformieren. Diese These steht in einem gewissen Widerspruch zu dem klassischen Modell, in dem das neue externe Wissen nur aufgenommen werden kann, wenn es auf der Basis des Vorwissens als relevant identifiziert werden kann.

    Ferner kritisieren Todorova/Durisin (2007) die Unterscheidung zwischen Potenzial und Realisierung der Absorptive Capacity, da diese nicht mit dem Verständnis der Absorptive Capacity als einem ganzheitlichen Bündel organisatorischer Routinen und Prozesse vereinbar sei und keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn generiere. Dieses Argument erscheint schlüssig.

    1.4 Diskussion der Modelle

    Die Arbeiten von Cohen/Levinthal haben das Konzept der Absorptive Capacity sowie die zugrunde liegenden Annahmen grundlegend geprägt. Bis heute nutzen die meisten Studien diese nunmehr klassische Konzeptualisierung als Basis ihrer theoretischen und/oder empirischen Untersuchungen. Dies führt aber auch dazu, dass die frühen Annahmen häufig nicht weiter hinterfragt werden. So gehen Cohen/Levinthal davon aus, dass die Absorptive Capacity eines Unternehmens als ein Nebenprodukt der internen Forschung und Entwicklung entsteht und operationalisieren das Konstrukt dement-sprechend als F&E-Intensität. Dieser Annahme wird auch in vielen empirischen Studien gefolgt. Absorptive Capacity wird auf den F&E-Kontext begrenzt und deshalb auch nur über F&E-Indikatoren erfasst. Als inputorientierte Indikatoren werden insbesondere F&E-Ausgaben, F&E-Intensität oder Anteil hochqualifizierter F&E-Mitarbeitern genutzt (Mowery et al., 1996, Lichtenthaler 2009). Daneben werden auch outputorientierte F&E-Indikatoren zur Messung der Absorptive Capacity herangezogen, wie z.B. Patente und Publikationen. Ein Hinterfragen dieser Begrenzung auf den F&E-Bereich findet bisher kaum statt. Es kann jedoch mit wenigen Argumenten gezeigt werden, dass der exklusive Fokus auf den F&E-Bereich zu kurz greift. Das Innovationsgeschehen – das ist aus zahlreichen Studien bekannt – entzieht sich einer klaren organisatorischen Ordnung. Neue Informationen treffen an nicht vorhersehbarer Stelle im Unternehmen ein und müssen vor Ort in ihrer Bedeutung erkannt werden. Auch sind die Anschlüsse keineswegs nur in der F&E-Abteilung herzustellen. Innovationen können überall entstehen: in der Logistik, im Verkauf, in der Fertigung usw. Eine Begrenzung auf den F&E-Bereich ist also irreführend.

    Darüber hinaus bleibt der Informationsverarbeitungsprozess der Absorption in den bisherigen Modellen zu wenig erklärt. Zwar wird ganz allgemein auf die Bedeutung organisationaler Routinen verwiesen, schlussendlich wird der Prozess jedoch als Black Box behandelt. Dieser Mangel zeigt sich vor allem dort, wo Absorptive Capacity operationalisiert wird. Wie bereist angedeutet, beschränken sich bisherige Methoden zur Erfassung der Absorptive Capacity überwiegend auf statische Indikatoren, wie vor allem auf die F&E-Ratio. Damit lassen sich aber keinerlei Aussagen zum Prozess der Wissensabsorption gewinnen. Dementsprechend fehlen in den meisten empirischen Studien Erkenntnisse zu den Absorptionsprozessen sowie ihrer Funktionsweise. Dies ist insofern fatal, als damit auch keine Informationen darüber vorliegen, wie Absorptionsprozesse verbessert werden können. Im Nachfolgenden wird versucht unter Einbezug von allgemeinen Prozessstudien den Absorptionsprozess zu erhellen.

    2. Elemente des Absorptionsprozesses

    Die Absorptionsfähigkeiten einer Organisation können im Wesentlichen als Prozessfähigkeiten verstanden werden, da diese aus dem Verlauf der Wissensabsorption heraus im Sinne einer Strukturation entstehen. Ihren Niederschlag finden die Prozessfähigkeiten schließlich in bewährten organisationalen Routinen der Wissensabsorption.

    Wenn von Routine die Rede ist, so ist damit typischerweise ein sich wiederholendes Verhaltens- bzw. Handlungsmuster gemeint, das nach Eintritt eines spezifizierten, auslösenden Ereignisses praktisch automatisch und ohne gedankliche Leistung („mindless“) vollzogen wird. Routinen in diesem Sinne beschreiben eingeübte oder festgelegte Formen menschlicher Handlungsabläufe, die sich in der Regel aus einer Mehrzahl von aufeinander abgestimmten Einzelhandlungen zusammensetzen. Sie verkörpern ein automatisch ablaufendes Antwortschema auf eine bestimmte Art von Problemstellung. March/Simon (1958) sprechen in diesem Zusammenhang von einem organisationalen "performance program", Cyert/March (1963) von "standard operating procedures".

    Alternativ zu dieser klassischen Sichtweise werden organisationale Routinen ähnlich individuellen "skills" oder "habits" auch als Ergebnis eines komplexen evolutorischen Prozesses (Variation, Selektion und Retention) verstanden. Nelson/Winter (1982, S. 14) definieren den Begriff der organisationalen Routine ganz allgemein als „all regular and predictable patterns of firms“ und verwenden diesen als Beschreibung eines automatisierten Programms, das einen reibungslosen Ablauf beschreibt. Sie betonen, dass viele Handlungen ohne bewusstes Abwägen der Vor- und Nachteile einfach durch etablierte Verhaltensregeln bzw. -gewohnheiten erfolgen. Organisationale Routinen in diesem Sinne gelten als Basiskomponenten organisationaler Fähigkeiten.

    Diese Perspektive wird modifiziert in neuesten Entwicklungen, in denen Routinen als soziale Praktiken verstanden werden (vgl. Gherardi, 2006). Für die Absorptive Capacity und insbesondere für das Verstehen der Absorptionsprozesse in Organisationen liefert der Wechsel zu Praktiken, der bisweilen auch als "practice turn" (Whittington, 2006) bezeichnet wird, interessante Anknüpfungspunkte. Hintergrund der Praktikenperspektive ist es, das tatsächliche Tun der Organisation besser zu verstehen und nicht bei der Analyse formaler Routinen stehen zu bleiben. Diesem Verständnis wird hier gefolgt. Unter Praktiken verstehen wir demnach die kollektiven Handlungsmuster im Unternehmen, die im Zeitablauf (emergent und evolutionär) entstanden sind und sich nicht auf individuelle Handlungen reduzieren lassen.

    3. Ein praktiken-basiertes Modell der Absorptive Capacity

    Welche spezifischen Absorptionspraktiken begründen eine hohe Absorptive Capacity? Dieser Frage soll anhand eines praktiken-basiertes Modells der Absorptive Capacity nachgegangen werden.

    In Anlehnung an Cohen/Levinthal (1990) werden als Grundgerüst drei Komponenten der Absorptive Capacity angenommen: (1) Akquisition, (2) Integration und (3) Exploitation. (1) Akquisition steht für die Identifikation und Aufnahme relevanter Informationen aus der Unternehmensumwelt und soll sowohl die Komponente "Wert erkennen" von Cohen/Levinthal (1990) sowie die "Akquisition" von Zahra/George (2002) beinhalten. Die (2) Integration externen Wissens umfasst Prozesse, die es dem Unternehmen und seinen Mitgliedern ermöglichen, aufgenommenes Wissen zu analysieren, zu interpretieren und in bestehende Strukturen zu integrieren. Die Integration erfolgt dann abhängig davon, ob bestehende kognitive Strukturen geändert werden müssen oder nicht. Passt das Wissen in die bestehenden Strukturen wird es assimiliert, ist dies nicht der Fall, erfolgt eine Transformation. Hier wird dem Argument von Todorova/Durisin (2007) gefolgt, dass Assimilation und Transformation alternative Prozesse darstellen. (3) Exploitation meint schließlich die Nutzung des assimilierten oder transformierten Wissens, um bestehende Kompetenzen und Ressourcen zu erweitern bzw. neue zu entwickeln.

    Diese drei Komponenten setzen sich ihrerseits aus spezifischen Teilfähigkeiten zusammen. Innerhalb des Akquisitionsprozesses finden sich die Teilfähigkeiten, die den direkten Umgang mit externem Wissen widerspiegeln: die Identifikation neuen Wissens in der Unternehmensumwelt, das Lernen von externen Partnern, aber auch der Transfer des relevanten Wissens ins Unternehmen hinein. Zur Integration des aufgenommenen Wissens zählen die Fähigkeiten zur Wissensteilung, Interpretation, Selektion, Wissensverarbeitung und -speicherung. Unter Exploitation werden schließlich Fähigkeiten der effektiven Implementierung, der Übertragung und der Reflektion zusammengefasst. Einen Überblick über die benannten Teilfähigkeiten der Absorptive Capacity gibt Abb. 3.

    Abb. 3: Ein praktiken-basiertes Modell der Absorptionsfähigkeit

     Abb. 3: Ein praktiken-basiertes Modell der Absorptionsfähigkeit

    Ausdruck finden diese Teilfähigkeiten schließlich in den tatsächlichen Handlungsvollzügen bzw. Praktiken des Unternehmens. Im Folgenden sollen Beispiele für derartige Absorptionspraktiken gegeben werden, wobei es sich nicht um eine erschöpfende Aufzählung handelt. Es soll lediglich verdeutlicht werden, wie die Fähigkeiten der Wissensabsorption als performative Handlungen in Organisationen zum Ausdruck kommen können.

    Praktiken der Akquisition werden bereits von Cohen/Levinthal (1990) beschrieben. Sie betonen darin den Einsatz von formellen und informellen Gatekeepern, die als Verbindung zwischen externer Umwelt und der Organisation selbst dienen. Gatekeeper sind in der Lage, relevantes Wissen in der Unternehmensumwelt zu erkennen, auch wenn es nicht in direkter Verbindung zur bisherigen Wissensbasis steht. Somit kann deren Einsatz als Ausdruck der erweiterten Fähigkeit zur Identifizierung neuen Wissens verstanden werden. Die Fähigkeit zum Lernen von Partnern drückt sich insbesondere durch Kooperationspraktiken mit externen Partnern aus. Von Hippel (1986) beschreibt zum Beispiel die Praktik des frühzeitigen Einbezugs von "Lead Usern" in den Entwicklungsprozess und weist ihr eine hohe Innovationsrelevanz zu.

    Nach einem erfolgreichen Transfer des Wissens ins Unternehmen sind Praktiken der Wissensintegration bedeutsam. Als Beispiel für Praktiken der Wissensteilung innerhalb des Unternehmens sind die zentrale Breitstellung von Informationen (Lenox/King, 2004) oder auch regelmäßige Besuche anderer Unternehmensbereiche zu nennen. Mit Hilfe dieser Praktiken gelangt das Wissen an die Stellen im Unternehmen, die eine effiziente Analyse und Selektion des Wissens zu leisten vermögen. Für eine erfolgreiche Verarbeitung des aufgenommenen Wissens ist zum Beispiel die Arbeit in funktionsübergreifenden Projektteams bekannt.

    Im Anschluss an die Verarbeitung des neuen Wissens finden Praktiken der Exploitation Anwendung. Die Fähigkeit zur Implementierung neuen Wissens findet zum Bei-spiel Ausdruck im erfolgreichen Einsatz von sogenannten „Change Agents“, die geschickt die Hürden des Wandels zu überwinden wissen (Jones, 2006). Für die Weiterentwicklung der Exploitation erweist sich die Fähigkeit bedeutsam, vorangegangene Lern- und Exploitationsprozesse im Sinne eines Deutero-Learning zu reflektieren (Bateson, 1972). Diese Fähigkeit bedarf in der Regel der aktiven Entwicklung und kann durch spezielle Reflektionspraktiken unterstützt werden (Feedbacksitzungen, Konfrontationstreffen usw.).

    4. Zusammenfassung

    Absorptive Capacity lässt sich am besten als Prozessfähigkeit begreifen, die in konkreten Praktiken der Wissensabsorption ihren Niederschlag findet. Bedauerlicherweise werden diese Praktiken sowie deren Funktionsweisen in der bisherigen empirischen Forschung nicht näher beleuchtet. Stattdessen behilft man sich mit Input-Indikatoren (wie der F&E-Ratio), die aber über die konkreten Prozesse der Absorptive Capacity keinen Aufschluss geben. Dieser Beitrag verweist auf den Prozesscharakter und die dahinter liegenden Praktiken der Absorptive Capacity. Es werden sowohl die Teilfähigkeiten der Absorptive Capacity aufgezeigt als auch dahinterliegende Praktiken an einigen Beispielen erläutert. Hier gilt es zu sehen, dass es in der Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Absorptions-Praktiken gibt. Man sieht in der Unterschiedlichkeit keinen Nachteil, sondern im Gegenteil die Möglichkeit sich zu differenzieren und damit Wettbewerbsvorteile zu erzielen, wie es im Ressourcenbasierten Ansatz seit geraumer Zeit zum Thema gemacht wird (vgl. Barney, 1991).

    Eine detailliertere Beleuchtung der inhärenten Absorptionspraktiken gibt auch wichtige Hinweise darauf, wie das komplexe Konstrukt Absorptive Capacity empirisch gehaltvoll erfasst werden kann. Im Fokus stehen die Praktiken. Gelingt es durch entsprechende Methoden die Praktiken zu identifizieren, so sind zugleich auch ein Vergleich des Absorptionsprozesses verschiedener Organisationen sowie die Identifizierung besonders erfolgreicher Absorptionspraktiken möglich. Man kann damit handlungsbezogen erklären, warum manche Unternehmen hinsichtlich der Entwicklung neuer technologischer Lösungen erfolgreicher sind als andere. Aus diesem Grund ist es sowohl für Unternehmen als auch die Wissenschaft von zentralem Interesse, die Funktionsweise der Absorptive Capacity besser zu verstehen.

    Literatur

    Barney, J.B., Firm resources and sustained competitive advantage, in: Journal of Man-agement, 17. Jg. (1991), S. 99-120.

    Bateson, G., Steps to an ecology of mind, New York 1972.

    Cohen, W.M./D.A. Levinthal, Absorptive capacity: A new perspective on learning and innovation, in: Administrative Science Quarterly, 35. Jg. (1990), S. 128-152.

    Cyert, R.M./J.G. March, A behavioral theory of the firm, New Jersey 1963.

    Gherardi, S., Organizational knowledge: The texture of workplace learning, Oxford 2006.

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    Lane, P.J./B.R. Koka/S. Pathak, The reification of absorptive capacity: A critical re-view and rejuvenation of the construct, in: Academy of Management Review, 31. Jg. (2006), S. 833-863.

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    Lichtenthaler, U., Absorptive capacity, environmental turbulence, and the complementarity of organizational learning processes, in: Academy of Management Journal, 52. Jg. (2009), S. 822-846

    March, J.G./ H.A. Simon, Organizations, New York 1958.

    Mowery, D.C./ J.E. Oxley/ B.S. Silverman, Strategic alliances and interfirm knowledge transfer, in: Strategic Management Journal, 17. Jg. (1996), S. 77-91.

    Nelson, R.R/ S.G. Winter, An evolutionary theory of economic change, Cambridge 1982.

    Sydow, J./ G. Schreyögg/ J. Koch, Organizational path dependence: Opening the black box, in: Academy of Management Review, 34. Jg. (2009), S. 689-709.

    Todorova, G./ B. Durisin, Absorptive capacity: Valuing a reconceptualization, in: Academy of Management Review, 32. Jg. (2007), S. 774-786.

    Von Hippel, E., Lead Users: A source of novel product concepts, in: Management Science, 32. Jg. (1986), S. 791-805.

    Whittington, R., Completing the practice turn in strategy research, in: Organization Studies, 27. Jg. (2006), S. 613-634.

    Zahra, S/ G. George, Absorptive capacity: A review, reconceptualization, and extension, in: Academy of Management Review, 27. Jg. (2002), S. 185-203.

     

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