Zwei Fliegen mit einer Klappe

    Wirksamkeitsmessung von Wissensmanagement gemäß ISO 9001:2015 mit einer Knowledge Scorecard

    17. September 2015 von M.A. Gabriele Vollmar

    Wissensmanagement in Organisationen steht vor zwei großen Herausforderungen, einer alten und einer neuen: Schon immer hat sich Wissensmanagement schwer damit getan, die Wirksamkeit seiner eigenen Maßnahmen zu messen und nachvollziehbar darzustellen. Hinzu kommt nun, dass durch die Revision der ISO 9001 im Falle eines Zertifizierungsaudits der Nachweis geführt werden muss, dass die Anforderungen der Norm zum Umgang mit Wissen erfüllt werden. Mit einer so genannten Knowledge Scorecard, deren Dimensionen sich an den Anforderungen der Norm orientieren, kann mit nur einem Instrument beides geleistet werden.

    Der Aufbau der Knowledge Scorecard (KSC) nach ISO 9001

    Die Knowledge Scorecard beruht auf der in vielen Organisationen zur Unterstützung der Strategieumsetzung eingesetzten und bewährten Balanced Scorecard (BSC) nach Kaplan und Norton [1]. Diese führt Ziele, Maßnahmen und Kennzahlen zur Messung der Maßnahmenumsetzung und Zielerreichung in einer so genannten ausgewogenen (balanced) Struktur zusammen. Die Ausgewogenheit wird erreicht durch die Perspektiven der BSC, die eine ganzheitliche Strategie- und damit auch Organisationsentwicklung unterstützen sollen. Häufig verwendete Perspektiven einer BSC sind:

    • Finanzperspektive
    • Kundenperspektive
    • Interne Prozessperspektive
    • Mitarbeiter-, Potenzial- bzw. Lern- und Wachstumsperspektive

    Vor allem letzte, die so genannte Entwicklungsperspektive in der BSC bietet in der Regel zahlreiche Anhaltspunkte, um daraus Wissensmanagement-Ziele abzuleiten und diese dann auch innerhalb der BSC weiterhin zu monitoren.

    Es kann nun im Kontext der ISO 9001: 2015 aber auch sinnvoll sein, darüber hinauszugehen und eine eigenständige Knowledge Scorecard zu entwickeln. Die Perspektiven einer solchen KSC orientieren sich dabei an den Normanforderungen:

    • Wissen erlangen
    • Wissen aufrecht erhalten
    • Wissen zur Verfügung stellen

    Es fehlt die ISO-Forderung „notwendiges Wissen bestimmen“; dies ist Aufgabe des generellen Strategie-Prozesses im Unternehmen. Denn die Aufgabe, beruhend auf den Unternehmenszielen und Geschäftsprozessen, notwendiges Wissen zu bestimmen, ist eine strategische Grundlage, auf der dann definiert wird, welches Wissen erlangt, verfügbar gemacht und aufrecht erhalten werden muss. Als Perspektive für ein Controlling spielt sie keine Rolle, denn die Wirkungen treten erst bei den anderen drei Wissensprozessen ein.

    Die Bestimmung des notwendigen Wissens ist damit Bestandteil der Unternehmens-BSC bzw. der davon abgeleiteten Strategy Map und stellt eine notwendige Verbindung zwischen Unternehmens- und Wissensstrategie her. Notwendig deshalb, weil Wissensmanagement – auch in Zeiten von ISO 9001 – kein Selbstzweck (oder schierer Zertifizierungszweck) sein soll.

    Als vierte, gewissermaßen Meta-Perspektive hinzu kommt die Perspektive „Wissensmanagement-System etablieren bzw. pflegen“; diese adressiert sowohl normative Ziele als auch grundlegende Ziele hinsichtlich eines Wissensmanagement-Systems, wie z. B. die Einführung und kontinuierliche Weiterentwicklung eines Wissensmanagement-Systems, das alle Wissensprozesse umfassen. 

     

    Für jede Perspektive wird in der KSC das Folgende dargestellt:

    • Ziel: Welche operativen Wissensmanagement-Ziele werden in dieser Perspektive verfolgt?
    • Maßnahme: Mit welchen Maßnahmen soll das jeweilige Ziel erreicht werden?
    • Kennzahl(en): Mittels welcher Kennzahlen kann eine Zielerreichung erkannt und nachgewiesen werden?
    • Vorgabe: Was ist ein angestrebter Soll-Wert für diese Kennzahl?

    Hier ein Beispiel zum besseren Verständnis:


    Wissensmanagement-System etablieren bzw. pflegen

    Ziel

    Maßnahme

    Kennzahl(en) und Vorgabe

    Ein organisationsweites Wissensmanagement ist aufgebaut, etabliert und wird kontinuierlich weiterentwickelt.

    Etablieren der WM-Organisation;



    Erstellen, Umsetzen und Weiterentwickeln der WM-Strategie

    Abdeckungsgrad: 100%

    Bereiche und Niederlassungen vertreten im WM-Team: 100%

    Nutzeneinschätzung des Wissensmanagements: nützlich

    Erfüllungsgrad aller operativen Ziele: 80%

    Die Einführung von Wissensmanagement wird durch Change Management begleitet

    Erstellen und Umsetzen eines Change Management-Konzepts

    Nutzeneinschätzung des Wissensmanagements: nützlich

    Anzahl Veranstaltungen:  20;
    Schulungen: 10 und
    Artikel/News: 4


    Wissen erlangen

    Ziel

    Maßnahme

    Kennzahl(en) und Vorgabe

    Externes Wissen wird genutzt.

    Expertenkontakte aufbauen

    Anzahl Expertenkontakte: 10 neue

    Aus Erfahrungen wird gelernt.

    Lessons Learned Prozess etablieren

    Anzahl Lessons Learned-Workshops: 80% aller abgeschossenen Projekte mit Workshop

    Anzahl dokumentierte Lessons Learned (LL): 2 Lessons Learned-Artikel pro Workshop

    Anzahl vermiedener Fehler: 20% der Anzahl LL-Artikel


    Wissen zur Verfügung stellen

    Ziel

    Maßnahme

    Kennzahl(en) und Vorgabe

    Mitarbeiter verfügen über das notwendige Wissen.

    Mitarbeiter-schulen-Mitarbeiter

    Anzahl durchgeführter Schulungen: 20 intern

    Zufriedenheit mit Schulungen: bewertet mit gut


    Wissen aufrecht erhalten

    Ziel

    Maßnahme

    Kennzahl(en) und Vorgabe

    Wissen geht beim Personalwechsel nicht verloren.

    Expert Debriefing einführen.

    Anzahl durchgeführter Expert Debriefings: 80% der Personalwechsel

    Zufriedenheit Nachfolger mit Debriefing: bewertet mit nützlich


    Wirkung nicht (nur) Umsetzung messen

    Kernstück einer jeden Scorecard sind die Kennzahlen, denn diese unterstützen dabei, die Erreichung der Ziele und damit die Wirkung und Nutzenentfaltung der Maßnahmen zu messen und auch für Außenstehende – sowie nicht zuletzt die Führung – nachvollziehbar darzustellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese Ziele und die dahinter stehenden Nutzenerwartungen möglichst konkret von Anfang an formuliert werden. Unmittelbar mit der Zielformulierung im Rahmen der Entwicklung einer Wissensmanagement-Strategie sollten außerdem bereits mögliche Kennzahlen festgelegt werden. Dies zwingt zum einen dazu, Ziele und Nutzenerwartungen tatsächlich konkret zu fassen, zum anderen erlaubt es „Vorher-Nachher-Erhebungen“, die dann eine Entwicklung sichtbar machen.

    Die Herausforderung bei der Definition möglicher Kennzahlen ist, nicht nur zu messen, was sich eben einfach messen lässt, z. B. Anzahl Artikel in einem Wiki, sondern zu messen, ob ein intendierter Nutzen eintritt, z. B. Verbreitung von Good Practice in der Organisation. Der Nutzen ist im Wissensmanagement in der Regel qualitativ, d.h. neben quantitativen Kennzahlen werden auch qualitative benötigt, z. B. die Zufriedenheit der Nutzer mit einer Maßnahme. Damit wird eine (regelmäßige) Befragung zu Nutzung und Nutzen von Wissensmanagement-Maßnahmen zu einem wichtigen Messinstrument.

    Wie bei einem – oft jährlich – wiederholten BSC-Prozess, werden auch bei einer KSC die Kennzahlen regelmäßig bewertet und aus dieser Bewertung Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Wissensmanagements abgeleitet:

    • Werden Zielwerte nicht erreicht? Muss die zugrundeliegende Maßnahme angepasst, durch eine andere ersetzt werden?
    • Haben wir unseren Zielwert erreicht? Kann eine Maßnahme eingestellt werden oder der Aufwand in diese Maßnahme reduziert werden?

    Darüber hinaus dient dieser Prozess auch einer kritischen Hinterfragung der Wissensmanagement-Ziele jeder Perspektive selbst, immer mit Bezug auf die sich ebenfalls weiter entwickelnde Strategie der Organisation. Gegebenenfalls sind Ziele nicht mehr gültig oder nicht mehr relevant bzw. sind neue Zielvorgaben notwendig.

    Zur (Weiter-)Entwicklung der Wissensmanagement-Scorecard können beispielsweise möglichst interdisziplinär, d.h. mit Vertretern aller Organisationsbereiche und Hierarchieebenen besetzte Workshops durchgeführt werden, empfehlenswerter Weise immer im Anschluss an die allgemeine Strategieentwicklung der Organisation.

    Vorteile und Nutzen einer KSC entlang der ISO 9001

    Primäre Intention einer KSC ist es, die Umsetzung von Wissensmanagement-Maßnahmen zu monitoren und deren Wirkungsentfaltung im Sinne einer Zielerreichung zu bewerten, um sowohl Wissensmanagement-Strategie als auch Wissensmanagement-System (zu verstehen als integriertes Maßnahmen-Portfolio, nicht als IT-System) kontinuierlich, zielgerichtet und ausgerichtet an der Gesamtstrategie der Organisation weiterzuentwickeln.

    Neben einem solchen Controlling kann eine KSC, wie ihre „Mutter“ die BSC“ die Umsetzung der Wissensmanagement-Strategie effektiv unterstützen, nämlich indem die Scorecard für die Gesamtorganisation heruntergebrochen wird auf davon abgeleitete Scorecards für die einzelnen Bereiche, Teams und letztlich auf individuelle Scorecards. Individuelle Wissensmanagement-Ziele sind eines der wirkungsvollsten und nachhaltigsten Motivationsinstrumente.

    Und eine KSC zwingt gleichzeitig zur Konkretisierung wie auch strategischen Kontextualisierung in der (Weiter-)Entwicklung eines Wissensmanagement-Systems, d.h. Maßnahmen können nicht vereinzelt umgesetzt werden, sondern müssen sich vor dem Hintergrund einer konkreten Formulierung von Ziel und Nutzenerwartung bewähren. Die KSC zwingt also dazu, Wissensmanagement als stimmiges und integriertes Gesamtsystem zu konzipieren und nicht als Sammlung vereinzelter Maßnahmen.

    Außerdem stellt  eine solche Scorecard Umfang, Wirkung und Nutzen des Wissensmanagements nachvollziehbar dar und bildet damit eine Art Legitimationsgrundlage (Wozu tun wir das?), und zwar nicht nur für die eigenen Mitarbeiter und die Führung, sondern auch für einen internen oder externen Auditor, der überprüfen möchte, ob die Normanforderungen angemessen adressiert werden. In diesem Falle hilft die Strukturierung der Scorecard entlang den Anforderungen aus der ISO 9001. Sie unterstützt den Auditor (und auch das eigene Qualitätsmanagement) optimal dabei, generische Normanforderungen und konkretes Wissensmanagement-System zur Deckung zu bringen.

    Die Forderungen bzw. Wissensprozesse aus der ISO 9001:2015 als Perspektiven in der KSC zu nutzen, birgt noch zwei weitere Vorteile: Sie sind langfristig stabil und eignen sich darüber hinaus gegebenenfalls zu einem Benchmark mit anderen Unternehmen, die ihr Wissensmanagement ebenfalls an der ISO 9001 orientieren.

    Fazit

    Die Revision der ISO 9001 mit ihrem Augenmerk auf den Umgang mit dem Wissen der Organisation bietet die Chance das lange und immer wieder verdrängte Thema „Controlling von Wissensmanagement“ neu anzugehen. Eine KSC, die sich an den Wissensprozessen der ISO 9001 orientiert, ist ein pragmatisches Instrument, sowohl die Wirkung des Wissensmanagements kontinuierlich zu bewerten und nachvollziehbar darzustellen als auch im Sinne der Zertifizierung den Nachweis der Erfüllung der Normanforderungen zu führen. Eben zwei Fliegen mit einer Klappe.

    Fußnote

    [1] Kaplan, Robert S.; Norton, David P.: Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen. Stuttgart 1997

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