Wissensmanagement mit References+ bei der Siemens-Division Building Technologies

    27. Juni 2012 von Dr. Alexander Stocker, Dr. Johannes Müller

    References+ ist eine Web-2.0-Anwendung zum weltweiten Austausch von Wissen, Erfahrungen und Best-Practices innerhalb des Siemens-Intranets. Nicht die IT-Anwendung, sondern die derzeit ca. 8.200 Mitglieder umfassende Nutzer-Community bildet den Hauptfokus zum effizienten Wissensaustausch. References+ will Siemens-Mitarbeitende über organisatorische, hierarchische und geographische Grenzen hinweg vernetzen und zur direkten Kommunikation untereinander animieren.

    Dieser Beitrag wurde im Open Journal of Knowledge Management, Ausgabe V/2012 veröffentlicht.


    Bei der vorliegenden Fallstudie handelt es sich um eine Kurzfassung der Fallstudie „Siemens Building Technologies Division: Globaler Wissens- und Erfahrungsaustausch mit References+“ (Müller und Stocker, 2012), welche als „Schriftenreihe zu Enterprise 2.0-Fallstudien Nr. 13“ erschienen ist. Dieser ausführliche Beitrag kann kostenlos unter www.e20cases.org bezogen werden.

    Ausgangssituation und Leidensdruck

    Seit Oktober 2011 unterteilt Siemens seine geschäftsführenden Einheiten in die vier Sektoren Energy, Healthcare, Industry sowie Infrastructure & Cities mit weltweit insgesamt 360.000 Mitarbeitenden (Siemens, 2011). Bei der Division Building Technologies und der Business Unit Low Voltage, die orga-nisatorisch dem Sektor Infrastructure & Cities angehören, entwickeln und implementieren heute weltweit etwa 40.000 Mitarbeitende Produkte, Software, Systeme und technologisch anspruchsvolle Lösungen. Des Weiteren werden bei Kunden hochwertige Services zur Wartung, Optimierung und Modernisierung der installierten Systeme durchgeführt.

    Bereits in der Angebotsphase von komplexen Projekten verlangen Kunden die Angabe erfolgreich implementierter Referenzinstallationen und einen Grobentwurf für die spätere Lösung. Um diese Informationen bereitzustellen, ist eine umfangreiche Recherche seitens des Vertriebsmitarbeitenden unabdingbar. Diese Informationsrecherche lief in der Vergangenheit zumeist über rein bilaterale Kanäle via Telefon und E-Mail ab, und der Erfolg war stark vom persönlichen Netzwerk des anfragenden Vertriebsmitarbeiters und der Erreichbarkeit der angefragten Personen abhängig. Aufgrund des Zeitdrucks während der Angebotserstellung war die Qualität der gesammelten Informationen nicht immer optimal.

    Damit auch auf Informationen von Mitarbeitenden außerhalb des persönlichen Netzwerks zugegriffen werden konnte, wurde die Einführung einer Intranet-Anwendung mit dahinter liegender Datenbank angestrebt. Diese Anwendung sollte im Wesentlichen zwei Ziele erfüllen:

    • Auflistung von geeigneten Projektreferenzen
    • Bereitstellung von erprobten und adaptierbaren Lösungsmodulen

    Schritte zur Einführung der Web-2.0-basierten Wissensmanagement-Lösung References+

    Damit die IT-Anwendung realisiert und mit Inhalten angereichert werden konnte, beschloss das Ma-nagement der damaligen Business Unit Security Systems im Jahr 2004 die Schaffung einer dezidierten Vollzeitstelle für Wissensmanagement. Im Januar 2005 übernahm Johannes Müller, einer der Autoren dieser Fallstudie, als „Senior Manager Knowledge Management“ diese Position. Zu Beginn lag die Zielgruppe der zu entwickelnden Lösung nur auf dieser Business Unit. Doch bereits im ersten Jahr des Betriebs vergrößerte sich der Fokus auf die gesamte Division Building Technologies.

    Mit References+ (vormals References@BT) steht heute den Mitarbeitenden eine umfassende Wissensmanagement-Plattform im Intranet zur Verfügung. Hinter References+ verbirgt sich nicht nur ein modernes IT-Werkzeug, sondern auch eine Community aus gegenwärtig etwa 8.200 aktiven Mitglie-dern, die in über 70 Ländern beheimatet sind. Alle Mitarbeitende, welche Zugang zum Siemens-Intranet haben, können References+ verwenden, wobei sich die primäre Zielgruppe derzeit aus den Mitarbeitenden der Division Building Technologies (IC BT) sowie der Business Unit Low Voltage (IC LMV LV) zusammensetzt. Seit Kurzem beginnen auch Mitarbeitende der Division Smart Grid (IC SG) und der Business Unit Water Technologies (I IA WT) die Community-Plattform References+ zu nutzen.

    Abb. 1: Startseite von References+

    Abb. 1: Startseite von References+ mit Aufruf des Divisions-CEO,
    die Plattform aktiv zu nutzen und Beiträge einzugeben.

    Das primäre Ziel von References+ besteht darin, das für das Kerngeschäft relevante Wissen und die dazugehörenden Wissensträger rascher im Unternehmen verfügbar zu machen. Ganz im Sinne von 'Social Networking' will References+ Mitarbeitende über organisatorische, hierarchische und geogra-phische Grenzen hinweg vernetzen und sie zur direkten Kommunikation untereinander animieren.

    Kernbestandteile der Wissensmanagement-Plattform sind umfangreiche Funktionen zur Suche von Beiträgen über Freitext und Metadaten, zur kontextsensitiven Subskription von neuen oder geänderten Beiträgen durch E Mail-Benachrichtigungen und RSS-Feeds sowie zum Social Networking. Dazu kommen strukturierte Inhalte in Form von Wissensreferenzen, Diskussionsbeiträgen und Microblog-Postings.

    • Wissensreferenzen sind strukturierte und aus mehreren Text-, Zahlen- und Metadatenfeldern bestehende Informationsobjekte. Diese beschreiben beispielsweise Kundenprojekte, Produkt- und Lösungsmodule, Services, interne Prozessverbesserungen sowie „Lessons Learned“.
    • Diskussionsforen ermöglichen seit März 2006 den Teilnehmern, sich zu technologischen oder funktionalen Themenfeldern asynchron auszutauschen. Beispielsweise können im sehr intensiv genutzten „Urgent Requests“-Forum geschäftsbezogene Fragen aller Art (zu Produkten, Schnittstellen, Kompatibilitäten, Kunden, Kontakten, usw.) gestellt werden.
    • Microblogging unterstützt seit März 2009 die offene Kommunikation und soziale Vernetzung über Themen mit Bezug zum Kerngeschäft — in ähnlicher Weise wie Twitter, Yammer, Socialcast, Chatter oder andere vergleichbare Tools. Eine umfangreiche Evaluierung dieses Microblogging-Dienstes findet sich im Beitrag „Microblogging als Baustein im IT-gestützten Wissensmanagement von Siemens BT“ (Stocker und Müller, 2011).

    Die Nutzung von References+ geschieht in der Regel rein freiwillig, eine verpflichtende Nutzung im Rahmen bestehender Geschäftsprozesse besteht nicht. Um die Plattform in die Arbeitsabläufe der Nutzer zu integrieren, wurden jedoch zahlreiche Maßnahmen im Unternehmen verabschiedet:

    • Sichtbarer Aufruf der Unternehmensleitung zur Wissensteilung und den damit verbundenen positiven Effekten für das Unternehmen durch den CEO der Division Building Technologies auf der References+ Startseite
    • Aktivitäten des Community-Managers wie individuelle Motivation der Mitarbeitenden zur Erstellung bzw. Überarbeitung von Beiträgen, Ansprechpartner für Probleme und Verbesserungen, Durchführung von Trainings, Hervorhebung besonders aktiver Autoren oder besonders wertvoller Beiträge, Ansprechen geeigneter Multiplikatoren, uvm.
    • Regelmäßige Kommunikation durch den alle zwei bis drei Monate erscheinenden und an alle Community-Mitglieder als E Mail versandten „References+ Newsflash“ sowie durch Publikation ausgewählter Neuigkeiten an anderen Stellen im Intranet und in der Mitarbeiterzeitschrift
    • Einbindung von themenspezifisch gefilterten Beiträgen in weitere Intranet-Seiten, wodurch auch Nutzer außerhalb von References+ erreicht und zum Eingeben von Beiträgen motiviert werden können

    Motivation und Incentivierung

    Um die Wissensmanagement-Plattform mit mehr Beiträgen anzureichern und in der Folge die Com-munity zu vergrößern, wurden vor allem in der Anfangsphase nach der Einführung von References+ mehrere Incentive-Maßnahmen in Form von temporären Wettbewerben durchgeführt. Während einer vorher festgelegten Zeitspanne wurden für das Eingeben neuer Beiträge Punkte, sogenannte „RefCoins“, vergeben. Diese konnten auf einem persönlichen Punktekonto gesammelt werden. Die aktivsten Autoren mit den meisten „RefCoins“ konnten Preise gewinnen, welche zusammen mit einer vom CEO unterzeichneten Urkunde durch den jeweiligen direkten Vorgesetzten persönlich überreicht wurden. Fotos dieser Überreichung wurden anschließend im Intranet sowie in der Mitarbeiterzeitschrift veröffentlicht. Die Anerkennung und Wertschätzung der Unternehmensführung zusammen mit der Veröffentlichung der Preisträger wirkte in diesem Zusammenhang wesentlich motivierender als reine Sachpreise.

    Der letzte dieser Wettbewerbe endete im September 2009. Seit dieser Zeit wurde auf extrinsische Motivations- und Incentivierungsmaßnahmen verzichtet. Stattdessen wurden verstärkt intrinsische Motivationsfaktoren herangezogen:

    • Bieten von gezieltem Mehrwert durch qualitativ hochstehende Inhalte („Wissen aus erster Hand“) und spezielle System-Funktionen
    • Spaß beim intuitiven Bedienen der Applikation
    • Verfassen von Antworten aufgrund Hilfsbereitschaft und Erzielung von Visibilität
    • stärkere Fokussierung auf den Community-Gedanken
    • Vernetzungsmechanismen ähnlich zu anderen etablierten „Social Media“-Plattformen

    Evaluierung und Erfolgsmessung

    Zahlreiche Aspekte von References+ wurden seit der Entwicklung der Plattform immer wieder evaluiert – und stets geht es darum, möglichst pragmatisch den Nutzen der Plattform und deren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu messen. Aus diesem Grund werden laufend Zugriffs- und Beitragszahlen protokolliert, Nutzer über Online-Umfragen zum subjektiv empfundenen Mehrwert von References+ befragt sowie Interviews mit Intensivnutzern durchgeführt. Weiterhin spielt die Dokumentation von „Success Stories“ für References+ eine große Rolle.

    Die aktuellste Nutzerumfrage wurde im September 2011 durchgeführt. Dabei wurden die Nutzer vor allem zum geschäftsrelevanten Mehrwert durch das jeweilige (Wieder-)Verwenden der in References+ gefundenen Information bezogen auf die letzten 365 Tage befragt. (Eine Frage lautete beispielsweise: „Wieviel Arbeitszeit konnten Sie durch die Nutzung der in References+ gefundenen Informationen in den letzten 365 Tagen einsparen?“) An dieser Umfrage beteiligten sich 1.479 Community-Mitglieder, deren Antworten zu Illustrationszwecken kumuliert werden können. Bei den hier angegebenen Werten handelt es sich somit um die aufkumulierten Schätzungen der befragten Mitarbeiter:

    • 731 eingesparte Arbeitstage pro Jahr
    • € 190.000 eingesparte Kosten (zusätzlich zur Arbeitszeit) pro Jahr
    • € 5,3 Millionen zusätzlich generierter Umsatz pro Jahr
    • 361 neu gewonnene Kunden im letzten Jahr

    Unter der Annahme, dass wesentlich mehr als nur die 1.479 Antwortenden References+ nutzen, kann von einem deutlich höheren wirtschaftlichen Mehrwert der beschriebenen Wissensmanagement-Initiative ausgegangen werden.

    Fazit – was kann aus dem Einsatz von References+ gelernt werden?

    Der Einsatz von Web-2.0-Plattformen im Wissensmanagement kann Unternehmen einen signifikanten Mehrwert bringen, wie die vorliegende Fallstudie zeigt. Bis es jedoch soweit ist, sind viele Hürden zu meistern, denn bereits die Einführung solcher Lösungen stellt Unternehmen vor gewaltige Heraus-forderungen.

    Bei der Einführung der heute References+ genannten Plattform im Jahr 2005 zeigte sich, dass ein vorgegebener und klar umrissener Business Case erfolgversprechend ist, um die ersten Nutzer für eine heute sehr virale Plattform zu gewinnen. Dabei wurde der erste Business Case in der Unterstützung der Vertriebsmannschaft durch die Sammlung von Referenzprojekten und Lösungsmodulen erkannt.

    Mit der Zeit wurde der inhaltliche und funktionale Umfang von References+ schrittweise ausgeweitet und um Diskussionsforen und Microblogging ergänzt. Somit ist die Plattform in einem kleineren und überschaubaren Rahmen gestartet und 'bottom-up' stetig gewachsen.

    Der Einsatz eines Community-Managers, der sich um die Plattform kümmert und diese weiterentwi-ckelt, ist ein weiterer Erfolgsfaktor, wie sich bei References+ gezeigt hat. Der Community-Manager muss es schaffen, Mitarbeitende nachhaltig zum Wissensteilen zu begeistern, d.h. kontinuierlich zur Nutzung der Wissensmanagement-Plattform anzuregen und zur Erstellung eigener Beiträge zu er-muntern.

    Literatur

    Müller, Johannes; Stocker, Alexander (2012): Siemens Building Technologies Division: Globaler Wissens- und Erfahrungsaustausch mit References+, Schriftenreihe zu Enterprise 2.0-Fallstudien Nr. 13, Andrea Back, Michael Koch, Petra Schubert, Stefan Smolnik (Hrsg.) München/St. Gallen/Koblenz/Wiesbaden: Enterprise 2.0 Fallstudien-Netzwerk, April 2012, ISSN 1869-0297. http://www.e20cases.org/fallstudie/siemens-building-technologies-division-globaler-wissens-und-erfahrungsaustausch-mit-references-2/ 

    Siemens auf einen Blick, Unternehmenskennzahlen des Geschäftsjahrs 2011. Online unter: http://www.siemens.com/annual/11/_pdf/Siemens_GB2011_AufEinenBlick.pdf

    Stocker, Alexander; Müller, Johannes (2011): Microblogging als Baustein im IT-gestützten Wissens-management von Siemens BT, in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik, Ausgabe 277, dpunkt.verlag, 2011.

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