Wissensmanagement in virtuellen Unternehmen

    11. Mai 2004 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Virtuelle Unternehmen sind ein von außen nicht erkennbarer Zusammenschluss mehrerer Partner, die ihre Kernkompetenzen zum Zweck der Effizienzsteigerung bei einer gemeinsamen Leistungserstellung einbringen. Sie können innerhalb kürzester Zeit wachsen und auch wieder schrumpfen; wobei sie mit geringen Betriebskosten flexibel auf Kundenwünsche eingehen können. Als "Kitt" kommt dabei dem Wissensmanagement eine besondere Rolle zu, um die Kommunikation zwischen den verschiedenartigen Partnern zu forcieren. Ziel dieses Artikels ist es, die Besonderheiten und Anforderungen virtueller Unternehmen herauszuarbeiten und die Aufgaben des Wissensmanagement in diesem heterogenen, sich oft wandelnden Umfeld zu beschreiben.

    Es reicht nicht, Wissen aufzunehmen,
    es reicht auch nicht zu lernen, wie man lernt.
    Man muss unternehmerische Energie erwerben,
    um die Herausforderungen zu bewältigen.
    Den Problemdruck kann man nicht bewältigen,
    wenn man sich nicht Methoden aneignet,
    solche Energien sozusagen aus dem Nichts zu gewinnen.
    Jochen Röpke

    Problemstellung

    Die Verknappung der natürlichen Ressourcen wird die Virtualisierung vorantreiben, da Realität zur seltenen und daher teuren Ware wird. Dies trifft nicht nur für künstliche Skiarenen zu, sondern wird insbesondere dort zur Ursache der Veränderung, wo sich durch die Digitalisierung Arbeitsprozesse verändern werden, um die steigende Komplexität der Produkte systemtechnisch in den Griff zu bekommen. Dabei steht der Begriff "virtuell" vor allem für zwei Eigenschaften: Unwirklichkeit und Zukunftsfähigkeit. Virtualisierung wird zu einer Möglichkeit von Unternehmen, auf Marktentwicklungen zu reagieren, die durch eine im Zuge der Globalisierung wachsende Markttransparenz und einer damit einhergehenden notwendiger werdenden Käuferorientierung bestimmt wird. Diese Entwicklung führt zu einer heterogenen Verteilung materieller wie immaterieller Entwicklungs- und Produktionsfaktoren und damit zu einer Verschlankung aller betrieblichen Abläufe. Dies wiederum macht erst das Outsourcen von Produktions- und Dienstleistungsprozessen möglich und öffnet die Tür zu neuen Unternehmensstrukturen und -allianzen.

    Die Grenzen der Kernkompetenzen bestimmen künftig den unternehmerischen Handlungsspielraum und machen damit Quereinsteiger sowohl zu Konkurrenten wie zu möglichen Partnern. Dieser Punkt gewinnt in dem Maße an Bedeutung, wo geordnete Lebensläufe und langfristig ausgerichtete Beschäftigungsverhältnisse wie Versorgungssicherheiten immer mehr zur Ausnahme denn zur Regel werden. Die Einzelperson wird zum Unternehmen, zur Ich-AG, die sich auf dem Markt der Zukunft durchsetzen muss und das ist in einer (virtuellen) Gemeinschaft, die über eine Kommunikationsinfrastruktur verbunden ist, leichter. Dadurch kann die Arbeit zu den Menschen und die Produkte und Dienstleistungen zu den Kunden gebracht werden. Dies funktioniert jedoch nur, wenn diese Individuen oder Kleingruppen in der Lage sind, sich selbst zu managen und ihre Arbeit wie ihre Zeit zu organisieren. In der virtuellen Welt lösen sich die traditionellen Branchen- und Unternehmensgrenzen auf, ohne dabei gegenüber dem Kunden das einheitliche Erscheinungsbild aufzugeben ("one face to customer"). Dies erfordert neue Organisationskonzepte, die es erlauben, eine für die Erweiterung der verfügbaren Potenziale notwendige scheinbare Größe zu erreichen, ohne der oft damit einhergehenden Inflexibilität zu unterliegen. Dies berührt die zweite Konnotation des Begriffs "virtuell", die Unwirklichkeit, die mit der Dezentralisation und informationstechnologischen Vernetzung einhergeht. Denn ein virtuelles Unternehmen lässt sich kaum als konkrete Organisationsform, sondern eher als Orientierungspunkt auffassen.

    Genauer betrachtet sind diese Prinzipien keineswegs neu, denn Kooperationen, Arbeitsteilung, flexible Organisationsformen und Prozessdenken existieren schon seit geraumer Zeit. Das Wissensmanagement ist dabei eine der tragenden Säulen dieser Entwicklung und spielt daher auch in virtuellen Unternehmen eine ganz besondere Rolle, nämlich nicht nur die bei der Synergiebildung der Kernkompetenzen sondern in besonderem Maße auch bei der Bildung der Unternehmenskultur.

    Virtualisierung von Unternehmen

    Ein virtuelles Unternehmen ist eine Organisationsform, die mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologie traditionelle Unternehmensfunktionen erfüllt, ohne dabei den räumlichen, zeitlichen und sachlichen Grenzen zu unterliegen (siehe auch [2]). Die Virtualisierung eines Unternehmen bezeichnet den Versuch zu einem prozessorientierten Management, die aktuellen Strukturen den internen wie externen Anforderungen an die Strukturierungsmöglichkeiten des Unternehmens anzupassen. Es sollte ein von außen möglichst nicht erkennbarer Zusammenschluss mehrerer Partner sein, die ihre Kernkompetenzen auf der Basis eines Beziehungsnetzes zwischen den Teilnehmern zum Zweck der gemeinsamen Steigerung ihres Leistungsangebots wie ihrer Leistungskapazität einbringen.

    Ein solches Netzwerk - um den von Sun Micro Systems geprägten Werbeslogan: "Das Netzwerk ist der Computer" zu paraphrasieren - kann als Quintessenz eines virtuellen Unternehmens betrachtet werden. Dabei unterscheidet man zwischen einem geschlossenen Netzwerk mit einem festen Partnerkreis und einem offenen Netzwerk, wo jederzeit neue Partner einbezogen oder Partner ausgetauscht werden können. Der Träger der über dieses Netzwerk laufenden Kommunikation ist dabei unerheblich; sie kann per Internet, telefonisch, schriftlich oder von Angesicht zu Angesicht erfolgen.

    Die Form des die Unternehmen oder Unternehmensteile verbindenden Netzwerks definiert den Grad der Virtualisierung und den juristischen Überbau. Man spricht von einer sog. "externen" Virtualisierung, wenn sich rechtlich unabhängige Unternehmen oder Einzelpersonen (Ich-AGs) zusammenschließen und dabei zeitlich befristet und auf gleichberechtigter Basis miteinander im Interesse eines gemeinsam zu schaffenden Wettbewerbvorteils kooperieren und ihre materiellen wie immateriellen Ressourcen teilen. Idealerweise bringen die teilnehmenden Unternehmen komplementäre Kernkompetenzen ein. Die externe Virtualisierung basiert auf einer Vernetzung mittels Unternehmens- (Extranets) oder Wissensnetzen (siehe auch [3]). Die "interne" Virtualisierung beschreibt dagegen eine reine Projektorganisation, wobei Abteilungs-, Unternehmens- und Hierarchiegrenzen zugunsten problemorientierter Projektgruppen in den Hintergrund treten. Die externe Virtualisierung führt häufig zu Joint Ventures, während man bei der internen Virtualisierung von Unternehmen schon von einer strategischen Allianz sprechen kann.

    In jedem Fall steht die Prozessorientierung im Vordergrund, wo nicht mehr Unternehmen, sondern einzelne durch Geschäftsprozesse realisierte Kernkompetenzen und Leistungen identitätsbildende Funktionen übernehmen. Obwohl diese Orientierung auf Kernkompetenzen die Win-Win-Situation als Idealzustand der einzelnen Partner anstrebt, ist ein virtuelles Unternehmen in den meisten Fällen eine temporäre Angelegenheit, weshalb häufig auf ein gemeinsames juristisches Dach verzichtet wird. Trotzdem muss die Einheitlichkeit nach außen insbesondere den Kunden gegenüber gewahrt werden. Der Verzicht auf die Institutionalisierung zentraler Funktionen ermöglicht das "cherry-picking" und fördert Kreativität und Flexibilität, die allerdings nur dann Früchte trägt, wenn die beteiligten Personen über die soziale Kompetenz verfügen, in den flexiblen Strukturen auch flexibel zu arbeiten und zu führen. Da es in einem virtuellen Unternehmen keine eindeutige Rollenaufteilung in Wissende und Unwissende oder in Vorgesetzte und Untergebende gibt, bedarf es einer besonderen Unternehmenskultur, die auf Vertrauen, persönlicher Verantwortung, Fähigkeit zum Selbstmanagement und Offenheit beruht.

    Die Arbeitsteilung zwischen den Partnern eines virtuellen Unternehmens erfordert leistungsfähige IuK-Technologien, da die einzelnen Teilnehmerunternehmen über zeitliche, räumliche und Unternehmensgrenzen hinweg reibungslos kooperieren müssen. Diese Delokalisierung der Unternehmenseinheiten erfordert eine konsequente Ausrichtung auf Geschäftsprozesse, wobei die Einführung einer Prozessorganisation jedoch angesichts ständig wechselnder Prozessteilnehmer schwieriger ist als in traditionellen Unternehmen.

    Die Struktur eines virtuellen Unternehmens lässt sich wie folgt veranschaulichen:

    Abbildung 1

    Struktur eines virtuellen Unternehmens (siehe auch [6])

    Der zentrale Punkt des Bildes ist das interne Regelwerk - also die Beschreibung der Geschäftsprozesse ("wer macht was, wie und bis wann"), der Verteiler der Aufgaben an die einzelnen Partnerfirmen. Das interne Regelwerk definiert und überwacht die Schnittstellen zwischen den einzelnen Netzwerkelementen, sprich den Partnerfirmen ebenso wie zu Dritten - den Kunden wie den Lieferanten. Diese Kommunikation ist stets prozessorientiert, eben um eine einheitliche Schnittstelle zum Kunden zu gewährleisten. Darüber hinaus definiert das Regelwerk eines virtuellen Unternehmens die internen Geschäftsabläufe wie die interne Vergütung von Leistungen, übernimmt also klassische Controlling-Aufgaben im Innen- wie im Außenverhältnis. In der Leistungsbeschreibung wird der Verhaltenskodex gegenüber externen Partnern also den Kunden und Lieferanten festgelegt. In der Regel wird das durch das Angebotsportfolio einzelner Partnerfirmen des virtuellen Unternehmens abgedeckt:

    • Wer ist für die Kontaktaufnahme mit dem Kunden verantwortlich
    • Wer ist für Werbung und Marketing zuständig?
    • Wer ist Vertragspartner gegenüber dem Kunden?
    • Wer ist Vertragspartner gegenüber Stakeholdern wie Banken (Kredit), dem Staat (Steuern) oder Verbänden (Gewerkschaften)?

    Der Vorteil einer virtuellen Unternehmensorganisation ergibt sich aus der Bündelung von Kompetenz und Know-how: Die Ausweitung der Leistungspalette und die potenzielle Standortunabhängigkeit führt zu einer Markterweiterung und einer Vertiefung der Kundenorientierung. Ganz abgesehen davon, dass der Vertreter einer 15-Mann-Firma bei einem Kunden ein anderes Standing hat, als wenn er eine 400-Mann-Firma repräsentieren würde. Darüber hinaus lassen sich Mitarbeiter und damit Wissen im virtuellen Unternehmen leichter austauschen, was einem praktizierten Wissensmanagement gleichkommt.

    Die höhere Flexibilität hilft zudem, Fixkosten zu senken und damit wettbewerbsfähiger zu sein. Allgemein gilt: Je mehr Wissen sich elektronisch bereitstellen oder austauschen lässt, desto besser lassen sich Geschäftsprozesse vernetzen und damit wird es für einzelne Personen bzw. Unternehmen einfacher, sich zusammenzuschließen. Diese Vorteile werden einem natürlich nicht geschenkt. Sie werden bezahlt mit erhöhten Aufwendungen für die IT-Vernetzung und das Partnercontrolling.

    Schließlich sind erhebliche Anstrengungen für die Entwicklung einer Unternehmenskultur notwendig. Daraus ergeben sich für das Management eines virtuellen Unternehmens - sofern es denn ein gemeinsames Management überhaupt gibt - als Hauptaufgaben die Pflege einer Unternehmenskultur und die Entwicklung und Durchsetzung grundlegender Regeln der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnern.

    Unternehmenskultur in virtuellen Unternehmen

    Unter Unternehmenskultur werden landläufig die gemeinsamen Werte, Traditionen, Gebräuche, Denkweisen oder Geisteshaltungen und der sich daraus entwickelte Führungsstil eines Unternehmens verstanden. Mit diesen für jedes Unternehmen typischen Eigenschaften erfolgt eine Abgrenzung von anderen Unternehmen; sie prägt das Verhalten der Mitarbeiter und damit das äußere Erscheinungsbild und ist somit für den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit richtungweisend. Fragen der Corporate Governance, moralischer Verantwortung ("Compliance") oder Unternehmensethik (siehe Ex-Bundesbanker Welteke) spielen bei der Betrachtung der Unternehmenskultur natürlich auch ein Rolle, sollen hier jedoch nicht weiter erläutert werden, da das den Rahmen dieser Ausführung sprengen würde.

    Es werden i. A. vier Arten von Unternehmenskulturen unterschieden (siehe auch [7]), nämlich eine Kultur:

    • der Macht, bestimmt durch die vom Management mit Entschiedenheit und Durchsetzungskraft festgelegte Strategie;
    • der Ordnung, bestimmt durch die innere Stabilität und Kontrolle im Unternehmen;
    • des Erfolgs, bestimmt durch Wachstum und
    • der Unterstützung, bestimmt durch gegenseitige Hilfe.

    In einem virtuellen Unternehmen spielen die ersten beiden Punkte naturgemäß eine geringere Rolle, die beiden letzten Punkte dagegen eine umso größere. Die Umsetzung von Virtualisierungsstrategien ohne die Berücksichtigung und aktive Förderung einer Unternehmenskultur wird kaum Erfolg haben. Für virtuelle Unternehmen spielen dabei folgende Punkte eine besondere Rolle:

    • Offenheit für Veränderungen bei Produkten und Geschäftsprozessen,
    • Fokussierung auf zukünftige Herausforderungen,
    • offener Umgang mit Informationen,
    • kooperative Entscheidungsfindung,
    • eine der jeweiligen Situation angepasste Führungsstruktur mit den Schwerpunkten Moderation, Koordination und Motivation

    Diese Punkte müssen zum Schwerpunkt der Unternehmenskultur werden, indem neben Teamarbeit und kommunikativer Kompetenz die kulturelle Mobilität, das Denken in Systemzusammenhängen und einer konsequenten von Kunden- und Lösungsorientierung gefördert wird. Dies muss - insbesondere bei virtuellen Unternehmen - auf der Grundlage eines partizipativen Führungsstils, des Vertrauens, gegenseitigen Respekts, der Anerkennung und Aufrichtigkeit geschehen. Probleme wird es dann geben, wenn keine gemeinsamen Visionen, Werte und Ziele im Unternehmen vorhanden sind, denn woher sollen dann die mitteilbaren Empfindungen die ja Basis jeder Zusammenarbeit sind, herkommen?

    Überhaupt bildet Vertrauen die herausragende Stellung in einem virtuellen Unternehmen, denn erst dann sind die Beteiligten bereit, die Worte und Taten ihrer Partner in ihr eigenes Handeln einzubeziehen, wenn sie sich auf ihre Nebenleute verlassen können. Dies ist umso wichtiger für Teams, die sich vielleicht nie von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, wo jeder aber trotzdem auf die Verlässlichkeit und Genauigkeit der ausgetauschten Informationen bauen kann. Im Konkreten bedeutet das,

    • stets zu Zusagen stehen,
    • die Vertraulichkeit von Informationen zu schützen,
    • relevantes Wissen zu teilen und
    • zum Wohle des Teams zu handeln und nicht zum eigenen.

    Bei diesen Punkten spielt Reaktionszeit eine wesentliche Rolle, denn je schneller jemand reagiert, desto mehr Vertrauen wird ihm entgegengebracht. Dazu gehören natürlich der Mut und die Offenheit, die eigenen Erwartungen zu kommunizieren.

    Um die Durchsetzung der Unternehmenskultur mit ihren Regeln auf allen Ebenen und für alle Geschäftsprozesse sicherzustellen, dienen üblicherweise hierarchische Strukturen und Kontrollprozesse. Dieses Vorgehen ist einem individualistisch geprägten virtuellen Unternehmen jedoch fehl am Platze, dessen Vorteil es ja gerade ist, sich nicht endgültig festlegen zu brauchen und einmal eingeschlagene Wege korrigierbar zu halten. Diese Möglichkeiten der Flexibilisierung unternehmerischer Strukturen lassen tradierte Denk- und Handlungsgewohnheiten fragwürdig erscheinen und setzen einen Verzicht auf Hierarchie voraus, der jedoch durch ein Mehr an Verhandlung und Mikropolitik zu kompensieren ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass virtuelle Teams am effektivsten sind, wenn diese nach ihren eigenen Regeln ihre Entscheidungen fällen (siehe auch [7]). In virtuellen Unternehmen und Projektteams entwickelt sich stets eine eigene Kultur, da die Partner meist über mehr Erfahrung und Wissen über ihre Arbeitsgebiete haben und erfahrener sind im Umgang mit Kunden und Kollegen. Jedoch muss dem inhärenten Problem virtueller Unternehmen nämlich der sozialen Separation durch entsprechende integrative Gegenmaßnahmen begegnet werden.

    Beispiele virtueller Unternehmen

    Virtuelle Unternehmen sind ihrer Natur nach "flüchtig", weshalb es keinen Sinn macht, bedeutende Sachinvestitionen zu tätigen. Daher werden keine auf große Maschinen und Immobilien angewiesenen Güter oder Dienstleistungen erzeugt und angeboten, sondern virtuelle, die sich möglichst von jeder materiellen Basis lösen und ohne großen Aufwand von einem Ort zum anderen bewegen lassen. Typische Produkte, die von virtuellen Unternehmen erzeugt oder vertrieben werden, sind etwa

    • Software,
    • Biotechnologie ("VirtoWeb"),
    • CAD, Produktionssteuerung,
    • finanzielle Dienstleistungen wie Versicherungen und Geldanlagen,
    • Werbung,
    • Medienprodukte wie Fernsehproduktionen, Bücher und Zeitschriften oder
    • Expertisen, Beratungsprodukte, Kundenunterstützung, Informations- und Wissensangebote.

    All diese Produkte gleichen sich in ihrer Immaterialität, so dass sie mit Hilfe von IuK-Technologien zu jeder Tageszeit an jedem Ort abrufbar und zu kaufen sind. Aber auch bei materiellen Produkten lassen sich Teile der Geschäftsprozesse in elektronische Netze verlagern, so wenn beispielsweise Computerhersteller in einem weltweiten Netzwerk ihre Produkte herstellen und die Konfiguration und Bestellung ihrer Produkte vom Kunden per Bildschirm vornehmen lassen, oder auf der Grundlage von CAD-Entwürfen, die Konstruktionen am anderen Ende der Welt "materialisiert" werden. Auf dieser Form der Virtualisierung basiert die globalisierte Wirtschaft, wo der Systemintegrator die Produkte von weltweit agierenden Gerätelieferanten zu einem Produkt zusammenfügt.

    Wissensmanagement in virtuellen Unternehmen

    Die Virtualisierung eines Unternehmens ist eine originäre Aufgabe des Wissensmanagements, da die örtliche und funktionelle Begrenzung der Nutzbarkeit von Wissen dadurch aufgehoben werden muss, indem individuelles Wissen den Projektgruppen zugänglich gemacht, Gruppen- und Organisationswissen dem Unternehmensverbund zur Verfügung gestellt wird und jeder Mitarbeiter und jedes Team der verschiedenen Unternehmen auf der Grundlage einer gemeinsamen Wissensbasis miteinander kooperieren kann. Der temporäre Charakter virtueller Unternehmen erfordert zudem von den potenziellen Partnern, die Fähigkeit eines problemlosen An- und Abkoppelns von dieser Wissensbasis.

    Lösungsansätze hierzu sind "kollektive elektronische Gedächtnisse", die den in virtuellen Unternehmen spezifischen Eigentums- und Kontrollproblemen Rechnung tragen, oder Wissensbroker, die über entsprechende Datenbanken Partner vermitteln. Auf diese Weise können die Kernkompetenzen und Verhaltensaspekte gesammelt, gespeichert und verteilt werden. Ebenfalls wichtig ist die Institutionalisierung des Kunden- und Organisationswissen, wodurch Verfahren für Abstimmungen und Konfliktlösungen sowie Regeln für die Bewertung von Ergebnissen und Beziehungen festgelegt werden und damit allen Beteiligten zur Verfügen stehen. Die Anforderung an solches Wissen ist umso dringlicher, als es im Netzwerk des virtuellen Unternehmens nicht nur um den Austausch expliziten Wissens in Form von strukturierten Daten geht. Weit wichtiger ist das zu sammelnde, zu speichernde und zu verteilende implizite Wissen in Form von Abstimmungen, Entscheidungsprozessen oder Konfliktlösungen. Die Bearbeitung dieser Wissensform ist umso schwieriger je heterogener die zu vernetzenden Unternehmens- bzw. Kommunikationskulturen sind. Je größer die Anzahl der Partner, je vielfältiger deren Kompetenzen und Spielräume desto offensichtlicher wird der Bedarf für entsprechende Selbststeuerungs- und Managementkapazitäten.

    Informationstechnologie ist ein unerlässliches Vehikel zur Förderung der Kommunikation und Effektivität virtueller Teams, deren wesentlichen Merkmale aus

    • Wissensbasen (siehe auch ([9]),
    • Lessons Learnt,
    • Wissenskarten oder Gelben Seiten (siehe auch ([4]),
    • Computer Supported Collaborative Working (siehe auch ([5]) und
    • Wissensnetzen (siehe auch ([3])

    bestehen. Die Kompetenz der einzelnen Partner führt zur Zusammenführung des fragmentierten Know-hows, daher ist ein virtuelles Unternehmen ohne eine gemeinsam nutzbare Wissensbasis nicht denkbar, die dabei aus den jeweiligen Wissensbasen der Kooperationspartner besteht. Eine solche Wissensbasis besteht aus einer meist dezentralen Organisation von Wissensobjekten, die von unterschiedlichsten Wissensproduzenten erstellt und in Datenbanken auf Servern gespeichert und aktualisiert werden. Eine prinzipielle Schwierigkeit in virtuellen Unternehmen besteht dabei darin, semantische und syntaktische Differenzen zwischen den Wissensbasen der einzelnen Partner zu überbrücken, um eine effiziente Identifikation und Nutzung des Wissens zu ermöglichen. Darüber hinaus ist sicherzustellen, bestimmte Wissensobjekte etwa nur einem ausgewählten Teilnehmerkreis offen zu legen. Umgekehrt ist im Falle der Notwendigkeit bestimmter Kernkompetenzen dafür Sorge zu tragen, dass entweder ein Partner im virtuellen Unternehmensverbund diese Kompetenz aufbaut und sie in der Wissensbasis veröffentlicht oder die geforderte Kernkompetenzen extern gesucht und dem Unternehmen zu Verfügung gestellt wird. Außerdem ist die ständige Verbesserung der Kernkompetenzen und die Qualität der Wissensobjekte eine strategische Aufgabe der beteiligten Partner. Wissensbasen sollten folgende Anforderungen erfüllen:

    • leichte Formalisierung und Beschreibung der Wissensobjekte,
    • Benutzerfreundlichkeit,
    • Überblicksinformationen ("Wissenslandkarten")
    • Vorhandensein von Indikatoren für die Effektivität des Wissens, seiner Nutzung und Aktualität
    • Querverweise auf interne und externe Experten ("Gelbe Seiten"),

    Um eine verbesserte Nutzung des im Unternehmen vorhandenen Wissens zu erreichen, ist das Wachstum der Wissensbasis zu etwa dadurch forcieren, dass sich jeder Nutzer an anderer Stelle als Experte zur Verfügung stellt. Hier kommt es auf einen Ausgleich des Gebens und Nehmens von Wissen an.

    In einem Prozess der kritischen Selbstreflexion sind nach Abschluss eines Projektes von allen Beteiligten Lessons Learnt zu erstellen und in der Wissensbasis abzulegen. Sie repräsentieren die Essenz der im Projekt gemachten Erfahrungen, sind damit Resultat eines gemeinsamen Lernprozesses und bilden in ihrer Gesamtheit so etwas wie Best Practices des virtuellen Unternehmens.

    Wissenskarten bzw. Gelbe Seiten sind Verzeichnisse von Wissensträgern, -beständen, -quellen, -strukturen bzw. -anwendungen, in denen Expertenwissen, Entwicklungsstadien sowie organisationale Fähigkeiten und Abläufe referenziert werden und auf explizites wie implizites Wissen verwiesen wird, das in Dokumenten, Datenbanken oder in den Köpfen von Experten vorhanden ist. Sie tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass Wissen im Allgemeinen nur aufwendig explizierbar und damit nur schwer übertragbar ist. Folgerichtig verweisen sie häufig auf die Wissensträger innerhalb einer Organisation und sind damit Metainformationen, die den Weg zum Wissen aufzeigen anstatt die Wissensinhalte selbst zu beschreiben. Solche Wissensträgerkarten oder Wissenstopographien geben wie "Gelbe Seiten" Auskunft über Experten mit spezifischem Handlungswissen und über deren aus Erfahrung gewonnenen Kompetenzen.

    Computer Supported Collaborative Working soll die Zusammenarbeit zwischen den Partnern verbessern, indem es Möglichkeiten zur Verfügung stellt, das für die Projektarbeit notwendige Wissen aufzubereiten und zu nutzen. Abhängig von den Aufgaben der Beteiligten muss sowohl technisches als auch nichttechnisches Wissen gespeichert und abrufbar gehalten werden. Besonderen Wert wird darauf gelegt, Wissen in Form von Produkt- und Prozessinformationen sowie organisationales und Anwendungswissen in einer personalisierbaren, aber doch konsistenten Form unabhängig von der physischen Position der Wissensquellen allen Berechtigten zur Verfügung zu stellen, die dadurch einen einheitlichen Blick auf das Wissensobjekt erhalten. Dadurch kann beispielsweise ein Versicherungsmakler mit einem Klienten gemeinsam über das Internet eine Police "bearbeiten", indem on-the-fly persönliche Änderungswünsche eingearbeitet werden. Oder der Entwickler kann die Vertriebsleute durch eine technisch anspruchsvolle Beschreibung mit seinen Erläuterungen führen.

    Technisches Rückrat eines virtuellen Unternehmens ist schließlich ein Wissensnetz, das sich als Träger von Interaktionen zwischen Personen definieren lässt, die räumlich verteilt und ausgestattet mit passender Kommunikationstechnologie gemeinsam auf ein Ziel gerichtet arbeiten. Dabei werden informelle, offene auf Informationszugriff spezialisierte und auf Forschung und Entwicklung spezialisierte Wissensnetze unterschieden. Während informelle Netzwerke im Wesentlichen dem Netzwerken dienen, fallen Kompetenznetze oder sog. "Ring of Ideas" unter letztgenannte Kategorien. Informelle Netzwerke haben keine festgelegte Struktur und die hier stattfindende Interaktion unter Teilnehmern findet eher spontan statt. Dazu gehört auch, dass geschützte und offene Räume zur Entfaltung von Kreativität, innovative Orte des Lernens und die Förderung kreativer Milieus gehören. Durch die Ausrichtung auf Geschäftsziele werden Wissensnetze automatisch zu Geschäftsprozessen und erfordern daher die Einbeziehung eines Entscheidungsträgers, der neben der Funktionsfähigkeit auch sicherstellt, dass das Netz seine unterstützende Rolle im Geschäftsprozess erfüllt und zwar nicht als einfacher Träger von Wissen zu anonymen Empfängern, sondern dass dieses Wissen auch in die Praxis, in Produkte, in Entwicklungen, in soziales Verhalten einfließt.

    Kooperationsmanagement

    Die Form der Kooperation innerhalb virtueller Unternehmen erfordert aufgrund ihrer Dynamik hohe Managementqualitäten bei allen Beteiligten. Da zwischen selbständig handelnden Unternehmen es nur sehr begrenzte hierarchische Koordinationsmuster gibt, ist hier der Begriff des Managements nicht mit der üblichen Leitungs- Kontrollfunktionen belegt, sondern hat vielmehr eine moderierende und strukturelle Veränderungen anstoßende Funktion mit dem Ziel, die beteiligten Partner des virtuellen Unternehmens unter dem Dach gemeinsamer Ziele zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um die Integration und Ausrichtung der Kernkompetenzen sondern auch um die Gestaltung der Kooperationsprozesse mit der Definition und Einführung von gemeinsamen Verfahren, Möglichkeiten des Aushandelns und der Koordination. Darüber hinaus müssen auch neue Wege gefunden werden, wie mit den übrigen Stakeholdern, den Kunden, Lieferanten, Beratern u.a. so zusammengearbeitet werden kann, um den Integrationsprozess zu forcieren. Kooperationsmanagement hat den veränderten Beziehungen zwischen Stakeholdern eines virtuellen Unternehmens Rechnung zu tragen und die veränderte Bedeutung intellektuellen Kapitals des Unternehmens zu berücksichtigen. Dies führt zu einer Art von Wissensmarkt, auf dem sich Teams oder Firmen mit Hilfe von Wissensbrokern Kernkompetenzen temporär beschaffen können. In diesem Sinn werden Kooperationen in Forschung und Wirtschaft als einer der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren der Zukunft gesehen. Es gibt im Internet bereits eine ganze Anzahl von Initiativen (www.virtuelle-fabrik.com, www.kooperationswissen.de, www.die-beste-kooperation.de, www.dl2000.deu.a.), um im Sinne eines solchen Kooperationsmanagements geeignete Partner aus einem überschaubaren Pool von Anbietern zu finden.

    Kooperationsmanagement kann im Extremfall dazu benutzt werden, die Schranken zwischen Unternehmen einzureißen. Warum sollen nicht beispielsweise die Hersteller von Joghurt sich den Transport zum Kunden teilen und ihren Konkurrenzkampf auf den Geschmack verlagern. Dieses Modell lässt sich auf das Kostenmanagement und weitere Infrastrukturprozesse ausdehnen. Für die beteiligten Mitarbeiter in einem solchen Umfeld gewinnen damit ihre Kooperationskompetenzen und ihre Organisationsagilität an Gewicht.

    Um virtuelle Unternehmen erfolgreich zu machen, sind - wie in jedem anderen Unternehmen auch - unternehmerische Strukturen und Prozesse auf Basis einer IT-Infrastruktur zu schaffen:

    • kooperative Informationssysteme
    • Workflow Managementsysteme
    • elektronische Organisationshandbücher

    Kooperative Informationssysteme sollen die Aufwände für die Koordination minimieren helfen. Dazu dienen etwa Agenten, die auf der Grundlagen von Wissenskarten und Gelben Seiten, intern Emails filtern oder im Web geeignete Partner auf kooperationsrelevante Daten hin durchsuchen, Termine vereinbaren und im Vorfeld Kooperationsformen vorschlagen. Systeme für das Management des Workflows in den Projekte steuern und überwachen die internen wie externen zwischenbetrieblichen Geschäftsprozesse eines virtuellen Unternehmens. Besonders wichtig sind elektronische Organisationshandbücher, die über die internen Strukturen, Dienstleistungen und Kernkompetenzen sowie die Know-how-Träger Auskunft geben. Solche Instrumente sind Voraussetzung zur effizienten Realisierung gemeinsamer Geschäftsprozesse. Schließlich müssen es neuartige Kostenrechnungssysteme ermöglichen, alle an einem Projekt beteiligten Parteien entsprechend ihrer Rolle und ihres Aufwandes abrechnen zu können.

    Links

    [1] J. Wehner: "Virtuelle Unternehmen - Perspektiven eines neuen Organisationskonzeptes"; ais.gmd.de/people/Josef.Wehner/Virtuelle_Unternehmen.doc

    [2] H. Sauermann: " Prinzipien und Koordinationsmechanismen Virtueller Unternehmen"; www.sauermann-online.de/uni/vu.pdf

    [3] B. v. Guretzky: "Wissensnetzwerke"; http://www.community-of-knowledge.de/beitrag/wissensnetzwerke/

    [4] B. v. Guretzky: "Schritte zur Einführung des Wissensmanagement: Wissenskarten - Gelbe Seiten"; http://www.community-of-knowledge.de/beitrag/schritte-zur-einfuehrung-des-wissensmanagements-wissenskarten-gelbe-seiten-teila/

    [5] B. v. Guretzky: "Schritte zur Einführung des Wissensmanagement: Wissen verteilen und nutzen"; http://www.community-of-knowledge.de/beitrag/schritte-zur-einfuehrung-des-wissensmanagements-wissen-verteilen-und-nutzen/

    [6] F. O. Zimmermann: "Konzeptuelle Aspekte virtueller Unternehmen"; www.uni-siegen.de/others/student/vwi/vision/virtuell.htm

    [7] E. Bates: "Measuring the impact of differences in the values of participants in distributed network centric teams on the effectiveness of those teams"; spitswww.uvt.nl/web/iric/papers/pap4d3.doc

    [8] R. B. Bouncken: "Virtualität und Wissensmanagement"; www.iwp.uni-linz.ac.at/born/Lehre_Born/wiwi01/texte/Bouncken.pdf

    [9] Rademacher et. al.: "Management von nicht-explizitem Wissen: Noch mehr von der Natur lernen"; www.faw.uni-ulm.de/deutsch/publikationen/bmbf-studie/BMBF_Studie_Teil_2.pdf

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