Wissensmanagement im Investment Banking - oder wie 'Expertokratien' mit Wissen umgehen

    05. November 2000 von Dr. Oliver Vopel

    Finanzinstitute können heute fast überall auf der Welt tätig werden, was den Wettbewerb enorm verschärft und so auch zum derzeitigen Fusionsfieber im Bankensektor geführt hat. Dies erzwingt einen besonderen Umgang mit der wertvollsten Unternehmensressource.

    Investmentbanken

    weisen gewisse Ähnlichkeiten zu Fußballmannschaften auf. Es gibt Erstligisten, Zweitligisten und Drittligisten, und wer in welcher Liga spielt, hängt von der Güte der Mannschaft ab. Spielt die Mannschaft schlecht, wird der Trainer gefeuert. Zu den wichtigen Unterschieden von Organisationen wie Goldman Sachs und Bayern München gehört, daß Mitarbeiter von Goldman Sachs intellektuelle Defizite nicht mit Beinarbeit ausgleichen können. Für eine Investmentbank ist ihre Fähigkeit, überlegenes Wissen zu generieren und punktgenau zusammenzuführen, der kritische Erfolgsfaktor.

    Anspruchsvolle Geschäftsprozesse

    Es gehört zu den basalen Geschäftsprozessen einer Investmentbank, Branchenwissen, welt- und volkswirtschaftliches Rahmenwissen, juristische Expertise, finanz- und betriebswirtschaftliches Fachwissen, Produktwissen, Kundenwissen, Personenwissen, Wissen über demographische, gesellschaftliche, geopolitische und technologische Entwicklungen zu erzeugen (oder zumindest einschätzen zu können), um auf dieser Grundlage den institutionellen Anlegern, Unternehmen und Regierungen ihre Dienstleistungen anbieten zu können.

    Zu den zentralen Treibern der Wissensintensität lassen sich die Globalisierung der Kundenbeziehungen, die Intensivierung des Wettbewerbs, die Expansion der Kundenexpertise und nicht zuletzt auch eine enorme Zunahme der Informationslasten selbst zählen.

    Treiber des Managements von Wissen

    Die Rahmenbedingungen des Investment Banking

    Abbildung 1

    Abbildung 1

    Die Institute müssen nicht nur weltweit agieren können (denn nur so werden sie ihren mehr und mehr global operierenden Kunden gerecht), sie müssen parallel dazu auch immer genügend lokal relevantes Wissen mobilisieren können. Finanzinstitute können heute fast überall auf der Welt tätig werden, was den Wettbewerb enorm verschärft und so auch zum derzeitigen Fusionsfieber im Bankensektor geführt hat. Ermöglicht wurde die Globalisierung der Finanzmärkte insbesondere auch durch die technologischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte, die den Austausch und die Verfügbarkeit großer Datenmengen befördert haben. Immer mehr und immer mehrdeutigere Informationen müssen verabeitet werden. Der Wissensdruck auf die Finanzdienstleister steigt schließlich auch, weil ihre Kunden wesentlich informierter sind. Große Konzerne verfügen häufig beispielsweise über interne M&A-Expertise, die die Wissensansprüche der Berater unter Druck setzen.

    Die genannten vier Faktoren erzwingen einen besonderen Umgang mit der wertvollsten Unternehmensressource. Aus diesem Grund haben sich in den Investmentbanken auch eine ganze Reihe von (häufig informellen) Struktur- und Prozeßmustern etabliert, die für die Entwicklung strategischer Wissensfelder und den schnellen Transfer des generierten Wissen unerläßlich sind.

    Zwei dieser Muster wollen wir an dieser Stelle herausgreifen:
    Expertengemeinschaften (Communities of Practice) und
    temporäre Projektteams . Beide Muster tragen auch der Tatsache Rechnung, daß Wissen sozial konstruiert und ausgehandelt wird, erst dies gibt dem Wissen seinen Wert und seine Glaubwürdigkeit. Zudem ist es wegen der mangelnden Kodifizierbarkeit des Expertenwissens weitgehend unmöglich, das Wissen an sich zu organisieren. Man ist daher auf den Experten als "Träger" des Wissens angewiesen und muß entsprechend adäquate Möglichkeiten der Organisation von Arbeit wählen, die personenabhängige mit personenunabhängigen Möglichkeiten der Wissensarbeit flexibel kombinieren.

    Abbildung 2

     

    Investmentbanken verfügen über verschiedene Communities of Practice, die als Kompetenzzentren der Organisation die Aufgabe übernehmen, eine an Themen orientierte Form der Entwicklung, Pflege und Kodifikation spezialisierter Wissens- und Erfahrungsbestände zu betreiben. Das heißt, daß die Verantwortung für die Generierung, die Speicherung und den Transfer von Wissen und Expertise an Subsysteme delegiert wird, die sich überwiegend evolutionär entwickeln.

    Diese Subsysteme bilden sich über nationale, divisionale und gerade auch funktionale Grenzen einer Organisation hinweg und dienen als Transmissionsriemen organisierter Wissensarbeit, indem sie Cluster organisationsspezifischer Lernerfahrungen formen, die dann als systemisches Wissen der Gesamtorganisation zur Verfügung stehen.

    Sie bündeln die Experten eines zusammenhängenden Wissensgebietes und bilden einen dichten Interaktionskontext, der für alle Stufen der Wissensbearbeitung (Generierung, Speicherung und Transfer) unerläßlich ist. Im Investment Banking fallen derzeit insbesondere die Industriegruppen auf, die als virtuelle Bezugssysteme jeweils spezifischen Kundensegmenten folgen.

    Typische Gruppen sind etwa:

    • Chemie und Pharma
    • Automotive
    • Financial Institutions
    • Media und Leisure
    • Capital Goods.

    Die von Communities bearbeiteten Wissensgebiete können sich neben Kundengruppen aber auch an Produktsparten, geographischen Einheiten und anderen Kategorien orientieren, und sie können sich längs oder quer zu diesen Schnitten positionieren.

    Das Beispiel in Abbildung 1 zeigt, wie sich ein temporäres Projektteam aus den Mitgliedern zweier Communities zusammensetzt: Chemieindustrie und Unternehmensbewertung. Ein spezielles Chemie-Wissen ist z.B. insbesondere in der Abwicklung (Execution) eines Deals erforderlich, weil man nur mit Spezialkenntnissen als Spieler am Markt anerkannt wird. Dies betrifft etwa die Frage, wie ein Unternehmensteil aus einem Standort herausgelöst wird, wie die Umweltproblematik und die Lieferverträge über Rohstoffe zu berücksichtigen sind etc.

    Communities of Practice konstituieren sich als Orte der Innovation in einem systemischen Reflex auf eine wachsende Umweltkomplexität. Die Interaktion mit anderen Experten erlaubt es dem einzelnen, seine eigenen Erfahrungen zu reflektieren, sie in einen Diskurs einzuführen und entsprechend weiterzuentwickeln.

    Das Strukturmuster temporärer Projektteams sorgt dann dafür, daß das Problem der Anschlußfähigkeit spezialisierter Wissensbestände umgangen wird. Diese temporären und gemischt gestafften Teams dienen als strukturelle und prozessurale Dreh- und Knotenpunkte, die eine organisationale Integration der unterschiedlichen Wissensansprüche ermöglichen. Sie helfen, das Spezialwissen einzelner Communities angemessen über laterale Organisationseinheiten hinweg zu integrieren. Die Transaktionsteams einer Investmentbank werden zahlenmäßig und bezüglich der Expertise und Rangordnung ihrer Mitglieder bedarfsorientiert zusammengestellt.

    Im Team werden die erforderlichen Wissensbestände der Organisation zeitgleich verknüpft, und indem den Teams ein hohes Maß an Eigenständigkeit in der Definition ihrer Ziele und Arbeitsschritte zugestanden wird, verlagern sich auch die mit einer Wissensintegration verbundenen Probleme in die Struktur eines Team hinein. Die Organisation erzeugt zeitlich terminierte Kommunikationsgelegenheiten, die unter den Druck gestellt werden, ein aufeinander abgestimmtes Verhalten hervorzubringen. Dabei werden innerorganisationale Abteilungsgrenzen beständig und "auf Zuruf" überbrückt und durchdrungen, um Interdependenz und Zeitdruck gerecht zu werden. Die vom "Staffer" einer Investmentbank zusammengestellten Teams sind für die Dauer einer Transaktion weitgehend unumschränkte Entscheidungs- und Aktionszentren. Dagegen sind gerade die europäischen Geschäftsbanken vergleichsweise "überpolitisiert". Zwischen den Prozeßbeteiligten stehen zum Teil starre Barrieren, die sich entlang von Abteilungen, Berufskategorien und Fachgruppen gebildet haben und die in Folge ein fokussiertes und zielorientiertes Vorgehen behindern. Auch die tiefgehende Ausprägung hierarchiegeprägter Verhaltensweisen verhindert eine effektive Dealorientierung.

    Die evolutionären Strukturmuster im Investment Banking konnten lange Zeit geradezu als Vorbild der Organisation von Arbeit in wissensintensiven Branchen gehandelt werden. Viele Unternehmen, allen voran die internationalen Unternehmensberatungen und High-Tech-Firmen, haben diese Best Practices kopiert und inzwischen weiterentwickelt. Dies gilt insbesondere für das gezielte Management von Expertennetzwerken. Firmen wie Ernst & Young oder Siemens stellen ihren Communities elaborierte technologische Plattformen zum Speichern und Transfer von Wissen zur Verfügung und stellen auch die personellen Ressourcen bereit, um diese Prozesse zu optimieren. Jetzt würde es sich für die Investmentbanken lohnen, einen Blick auf die Best Practices der anderen Branchen zu werfen.

Kommentare

Das Kommentarsystem ist zurzeit deaktiviert.



Themengruppen

Dieser Beitrag ist den folgenden Themengruppen zugeordnet

Schlagworte

Dieser Beitrag ist den folgenden Schlagworten zugeordnet