Wissensmanagement: Hype oder Realität?

    03. Mai 2001 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Ist Wissensmanagement wirklich etwas so neues? Oder handelt es sich nur um etwas das ohnehin seit langem praktiziert wird und nur anders hiess? Diese Glosse versucht die Begriffe jenseits des Hypes zu definieren.

    Every time I hear the term "knowledge management",
    I pray it's headed to the dustbin of marketspeak.
    John Dodge

    Psychologie in der IT-Welt

     

    Alle paar Jahre taucht in der IT-Industrie ein neues, brandheißes Thema auf. Dies ist im Grunde nichts Ungewöhnliches, ist dieses Phänomen doch in anderen Wirtschaftszweigen ähnlich verbreitet, ob das nun HDTV beim Fernsehen ist, elektronisches Motormanagement oder Wasserstoffantrieb beim Auto oder ganz allgemein Just-in-Time in der Industrie. Für ein paar Jahre sind diese Begriffe dann in aller Munde, bis man ihrer überdrüssig geworden ist und damit keiner mehr an die Versprechungen glaubt und sie dann durch neue ersetzt werden. Der Sinn eines solchen Hypes liegt m. E: in folgendem:

    • Zugang zu den Subventionsgeldern aus Brüssler oder nationalen Töpfen, bzw. Umschichtung des betrieblichen oder universitären Forschungs- und Entwicklungsetats.
    • Stärkung der Position derjenigen, die sich die aktuellen Schlagwörter auf die Fahne geschrieben haben

    Um den Forderungen nach finanzieller Unterstützung zusätzlichen Nachdruck zu verleihen und die Bremser in den eigenen Reihen unter Druck zu setzten, wird im Kampf um Forschungsgelder dann meist mit dem vermeintlichen Vorsprung der Amerikaner oder Japaner gedroht. Verfehlen diese Argumente ihre Wirkung, werden aberwitzige Zuwachsraten der zu fördernden Technologie genannt, die sich im Handumdrehen zu Milliarden addieren. Spätestens hier kann eine vorsichtig, zögernde Haltung als geschäftsschädigend gebranntmarkt werden. Wer will sich ein solches Verhalten schon nachsagen lassen.

    Zu Beginn der achtziger Jahre starteten die Japaner mit großem Tamtam ihre "fifth Generation Computer Initiative". Bis dahin spielte die japanische Industrie in der Softwarebranche keine Rolle, doch alle Welt erschauderte vor der Vorstellung, das hier bald dasselbe passieren würde wie in der Elektronik-, Optik-, Halbleiter-, Schiffs- und Autoindustrie. Die Konsequenz waren mit erheblichen Mitteln geförderte Forschungsvorhaben in Europa und Amerika auf dem Gebiet der Rechnerarchitekturen und insbesondere der Künstlichen Intelligenz. Einige Prognosen von damals, um Druck auf DARPA, NSF und Esprit auszuüben, hörten sich wie folgt an:

    • Der Berufsstand der Richter und Rechtsanwälte ist ernsthaft bedroht, denn Expertensysteme werden künftig das Gros der juristischen Streitigkeiten schlichten.
    • Die medizinische Diagnostik stand vor der Automatisierung. Das berühmte "Mycin" und seine Nachfolger werden schon bald die Aufgaben des Allgemeinmediziner übernehmen.
    • Sehende, tastende und schlussfolgernde Roboter übernehmen die Hauptlast in Produktion und Logistik oder wie mit höchster Priorität vorangetrieben und ausgestattet mit den großzügigsten Forschungsetats in der Kriegsführung.
    • Die KI-basierten "Decision Support Systeme" machen praktisch den Manager von morgen überflüssig.
    • Intelligente Softwareentwicklungsumgebungen automatisieren den gesamten Softwareproduktionsprozess von der Anforderungsanalyse, über die Codegenerierung bis zum ausgetesteten Gesamtsystem.

    Diese Euphorie dauerte ca. fünf Jahre, musste dann aber auf eine neue Technologie "projiziert" werden, da weder die vollmundigen Versprechungen noch die wirtschaftlichen Aussichten auch nur annährend sich erfüllten. Mit dem Siegeszug des World Wide Web hat der Trend, technologische Entwicklungen hochzujubeln, in den letzten Jahren wahrhaft hysterische Züge angenommen. Internet, eCommerce, B2B gepaart mit R3 waren die Zauberformeln vergangener Tage, die für Millionengewinne in kürzester Zeit an der Börse standen.

    Seit dem im vergangenen Jahr an den Technologiebörsen der Welt Milliardenwerte vernichtet wurden, die allerdings zwei oder drei Jahre zuvor noch gar nicht nichtexistent waren, ist die IT-Industrie im Verbund mit Risikokapitalgebern wieder auf der Suche nach neuen "Hype-Technologien". So wurden z.B. zum Jahreswechsel von der Süddeutschen Zeitung Investmentbanken befragt, auf welchen Gebieten im Jahre 2001 erfolgversprechende IPOs platziert werden. Einhellige Meinung der Banker war die Gentechnologie und - man wird es kaum glauben - das Wissensmanagement! Allerdings lässt der erste Börsenprospekt einer Firma, die sich dem Thema Wissensmanagement verschrieben hat, noch auf sich warten. Mir ist nur eine Firma (UBIS AG in Berlin) bekannt, die sich darauf spezialisiert hat, die allerdings aufgrund des derzeit immer noch schwachen Börsenumfeldes, ihr IPO verschoben hat. Trotzdem ist der Begriff "Wissensmanagement" in aller Munde; die Anzahl der einschlägigen Konferenzen und der entsprechenden Websites wächst in unvermindertem Tempo. Das ganze Umfeld hier erinnert stark an das, was vor über fünfzehn Jahren zum Thema KI ablief. Déjà vu?

    Alter Wein in neuen Schläuchen?

    Mit dem Aufkommen des Begriffs der "New Economy" ist in der IT-Industrie zur Mitte der neunziger Jahre ein massiver Stellenabbau von älteren Arbeitnehmern einhergegangen. Oder wie Die Zeit es in ihrer Ausgabe vom 12.4.01 formulierte: "Jahrelang blühte in Deutschland eine regelrechte Kultur der Frührente. Die Unternehmen pflegten sie, weil sie so Kosten für die Verjüngung der Belegschaften und die Zufuhr von frischem Know-how über den Arbeitsmarkt externalisieren können." Die Folge dieses Aderlasses war ein massiver Know-how-Verlust, der erst jetzt zum Umdenken veranlasst, oder wie Die Zeit weiter ausführt: "Der Jugendwahn in der deutschen Wirtschaft geht zu Ende. Ein Jahrzehnt lang haben die Personalchefs möglichst jeden über 55 in die Frührente geschickt. Auf einmal entdecken sie die Alten wieder."

    Genau hier soll ja Wissensmanagement Abhilfe schaffen, indem es die Erfahrungen und das Wissen der Know-How-Träger anderen im Betrieb zur Verfügung stellt. Genau diese Idee ist nun wahrlich nicht neu, denn vor nunmehr fast zwanzig(!) Jahren stand das ja unter anderem hinter der Idee der Expertensysteme, in deren Wissensbasis explizites und implizites Wissen gespeichert wurde. Nur hieß es damals nicht explizites bzw. implizites Wissen sondern exakter prozedurales bzw. Erfahrungswissen. Die Probleme von damals, nämlich der Aufbau einer Computer kompatiblen Wissensbasis sind heute immer noch nicht zufriedenstellend gelöst, womit ein wesentlicher Schwachpunkt des Wissensmanagement bestehen bleibt.

    Der Begriff "Wissensmanagement" wird zunehmend von den einschlägigen Firmen auf dem Gebiet des Dokumentenmanagement und der Groupware missbraucht. Lotus oder Microsoft mutierten mit ihren alteingeführten Produkten wie Notes oder Exchange plötzlich zu den Anbietern von Wissensmanagementplattformen. Aber gerade der Erfolg bei der Einführung dieser Systeme hängt kaum von den technischen Aspekten ab, sondern wird vielmehr von einer entsprechenden Firmenkultur getragen, denn Wissen kann eben noch kaum mit Hilfe technischer Systeme eingefangen und verbreitet werden. Wissensmanagement ist eher ein Prozess, der durch technische Systeme für

    • das Dokumentenmanagement
    • die projektorientierte Kommunikation und Zusammenarbeit und
    • das online Training

    unterstützt werden kann und das die notwendigen Informationen bereitstellt, um etwa schneller auf Kundenwünsche reagieren zu können oder die Produktentwicklung und - einführung zu beschleunigen. Wesentlich hierfür sind jedoch die wissensfördernden Rahmenbedingungen im Unternehmen, hauptsächlich also eine vertrauensvolle Kooperation, Offenheit für Wandel oder wissensförderliche Anreizsysteme. Eine dies umschreibende "Wissensökologie" und die Definition von Entwicklungszielen und den daraus abgeleiteten Wissenszielen erscheint mir wichtiger, als die aufgepeppten "alten" Softwaresysteme.

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