Wissensmanagement bei der EADS - Business Unit Military Aircraft -

    31. Oktober 2000 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Einführung von Wissensmanagement bei der EADS über ein internes Forschungs- und Entwicklungsprojekt zum Thema Wissensmanagement. Ausgang war ein HTML-basiertes System, in dem die "Lessons-Learnt" dokumentiert werden.

    Ein Gespräch mit dem Leiter der Prozessdatentechnik Dr. Klenk und dem "Chief Knowledge Engineer" Udo Bartsch im Bereich Military Aircraft

    Das Unternehmen

     

    Die European Aeronautic Defence and Space Company ist ein Zusammenschluss europäischer Luft- und Raumfahrtfirmen. Die EADS ist ein Hightech-Konzern, an der auf deutscher Seite die DaimlerChrysler Aerospace beteiligt ist. Der Bereich Military Aircraft entwickelt und produziert in Zusammenarbeit mit englischen und italienischen Partnern das Jagdflugzeug Eurofighter/ Typhoon. Darüber hinaus werden zahlreiche Projekte mit weiteren Partnern zur Kampfwertsteigerung älterer Jagdflugzeuge und -bomber wie etwa des Tornados, der F4-Phantom oder MIG-29 durchgeführt. Der Business Unit beschäftigt etwa 7.400 Mitarbeiter in Deutschland und Spanien und setzte 1999 ca. 1,3 Milliarden $ um.

      Die strategischen Herausforderungen

      In Bezug auf die Aufgaben des Wissensmanagement muss sich der Bereich den folgenden Herausforderungen stellen:

      • Extrem lange Projektzyklen von bis zu 50 Jahren:
        Aufgrund der Wartungsverpflichtungen und der häufigen Weiterentwicklungen über diesen langen Zeitraum muss nicht nur das Entwicklungsknowhow sondern teilweise sogar die Entwicklungswerkzeuge parat gehalten werden. Denn einmal erworbene Fähigkeiten stehen nicht automatisch für die Zukunft zur Verfügung. Obwohl die EADS ein beliebter Arbeitgeber ist und es daher eine geringe Fluktuationsrate der Mitarbeiter gibt, müssen diese Erfahrungen, Informationen und Dokumente durch gezielte Anstrengungen bewahrt werden. Dieses Problem tritt nicht nur bei entsprechend langen Projektzyklen auf. Denn tatsächlich beklagen viele Organisationen, dass im Zuge von Reorganisationen informelle Netzwerke zerstört werden und so ein Teil ihres Firmengedächtnisses verloren geht.
      • Knowhowtransfer von Unterauftragnehmern und eigenen Mitarbeitern:
        Durch die Wissensexplosion und damit einhergehende Wissensfragmentierung sind Unternehmen immer weniger in der Lage, sämtliches für den Erfolg notwendiges Know-how in eigener Regie bereitzuhalten. Statt dessen müssen zunehmend kritische Fähigkeiten auf den verschiedensten "Wissensmärkten" etwa durch Rekrutierung externer Experten, durch Firmenzusammenschlüsse oder der engen Zusammenarbeit mit Schlüsselkunden erworben werden.
      • Internationale Kooperationen:
        In der Luft- und Raumfahrt gibt es kaum noch Entwicklungsprojekte, die im nationalen Alleingang oder von einem einzelnen Unternehmen durchgeführt werden. Ständig wechselnde internationale Kooperationen sind die Regel, so dass sich die Entwicklungsmethoden häufig ändern. Da zudem der Partner in einem Projekt der Konkurrent in einem nächsten sein kann, sind strikte Vorkehrungen zum Schutz firmeninternen Know-hows zu treffen.

      Organisatorische Maßnahmen

      Vor diesem Hintergrund und zur allgemeinen Effizienzsteigerung, dem sich der Unternehmensbereich Military Aircraft schon unter der Regie von Daimler-Benz zu stellen hatte, wurde vor über zweieinhalb Jahren ein internes Forschungs- und Entwicklungsprojekt zum Thema Wissensmanagement gestartet.

      Dazu wurde eigens ein Team gegründet, das ein HTML-basiertes System entwickelte, in dem nach ergonomischen Richtlinien zunächst sogenannte "Lessons-Learnt" dokumentiert werden. Seit einiger Zeit bemüht sich zudem die Gruppe, die Wissensbasis auch mit nicht projektspezifischen organisationalen und technischen Inhalten zu füllen. Auf diese Seiten lässt sich über ein organisations- und projektbasiertes Intranet zugreifen, womit gleichzeitig den besonderen Aspekten der Sicherheit und Geheimhaltung Rechnung getragen wird. Dieses Team ist bereichsweit dafür verantwortlich, dass das Wissen entsprechend den Richtlinien und in einem einheitlichen "look-and-feel" aufbereitet wird. Ein weiterer Bestandteil der Wissensbasis ist ein sogenannter "who-is-who", um den informellen Wissensaustausch zwischen einzelnen Mitarbeitern zu fördern.

      Ein m.E. ganz wesentlicher Erfolg dieses Kompetenzzentrums für Wissensmanagement war es, die Vorgehensmodelle für die Systementwicklung um ein sogenanntes "Quality Improvement Paradigm" zu erweitern: In einem Prozess der kritischen Selbstreflexion muss jedes Team nach Abschluss einer Projektphase Lessons-Learnt erstellen, in denen herausgearbeitet wird, welche kritischen Erfahrungen im Projektverlauf gesammelt wurden und worauf das Team im weiteren Projektverlauf und andere Teams bei ähnlichen Problemstellungen künftig achten sollten. Der Wissenserwerb erfolgt problemorientiert und mittels strukturierter Interviews. In knapper Form repräsentieren diese Lessons-Learnt damit die Essenz der Erfahrungen, welche in einem Projekt gemacht wurden und sind somit Resultat des teambasierten Lernprozesses. Darüber hinaus erfolgt auf der Basis der Lessons-Learnt eine Quantifizierung der Produktcharakteristika und damit der Produktivität, womit sich unmittelbar der Erfolg des Wissensmanagement messen lässt. Durch die Institutionalisierung wird zudem ein kollektiver Wissenserwerb in einer Atmosphäre von Offenheit und Vertrauen gefördert, der offenbar die Beteiligten in ihrer Kommunikationsintensität unterstützt und wohl damit auch zur individuellen Wissensentwicklung ermuntert.

      Die Nutzung, also der produktive Einsatz organisationalen und technologischen Wissens zum Nutzen des Unternehmens, ist Ziel und Zweck des Wissensmanagements. Mit der Identifikation und dem Zugriff auf zentrale Wissensbestände ist die Nutzung im Unternehmensalltag aber noch lange nicht sichergestellt. Bekanntlich wird die Nutzung "fremden" Wissens durch eine Reihe von Barrieren beschränkt, Fähigkeiten fremder Wissensträger zu nutzen, ist für viele Menschen immer noch ein "widernatürlicher Akt", der nach Möglichkeit vermeiden wird. Mit diesem Sicherheitsmechanismus, dem "not-invented-here-syndrome", hält das Individuum seine Identität aufrecht. Dennoch müssen Unternehmen sicherstellen, dass Wissen, das mit großem Aufwand erstellt und aufbereitet wird, auch tatsächlich im Alltag genutzt wird und nicht dem generellen Beharrungsvermögen der Organisation zum Opfer fällt. Die EADS hat sich hier bewusst dafür entschieden, keine Anreizsysteme zur Nutzung der Wissensbasis einzuführen, sondern sich auf einfache Werbung mittels Infoblättern, Email und Mund-zu-Mund-Propaganda zu verlassen. Lediglich der Zugriff auf die HTML-Seiten wird gemessen. Hier lässt sich ein stetiger Anstieg der "hits" ablesen.

      Ausblick

      Nach den bisherigen Erfahrungen muss der Zugriff auf die Wissensbasis deutlich verbessert werden. Dazu bereitet das Kompetenzzentrum den Einsatz eines datenbank-basierten Systems zur Verwaltung der Lessons-Learnt vor, um sowohl den Zugriff und Verwaltung auf die Seiten zu verbessern, als auch mittels Datenbanktechniken das Auffinden der gewünschten Inhalte zu erleichtern.

      Ein Defizit besteht m.E. noch in der unzureichenden Verwendung Gelber Seiten, in denen Wissen und Expertise der Mitarbeiter gelistet sind. Hier gibt es jedoch Einwände des Betriebsrates, der die Verletzung von Datenschutzrichtlinien befürchtet.

      Ein weiteres Defizit scheint mir wohl noch in die bereichsweiten Akzeptanz des Wissensmanagement zu liegen. Da aus gutem Grunde auf finanziell ausgerichtete Anreizsysteme verzichtet wurde, lässt sich dieses Problem vielleicht durch den Aufbau einer Diskussionsrunde im Intranet, einem Chat, begegnen, in dem sich Expertenkreise bilden, von deren inhaltlicher Diskussion auch andere Mitarbeiter profitieren können.

      Die finanziell- oder laufbahnorientierten Anreizsysteme zum Aufbau und zur Verwendung von Wissensbasen scheinen mir überhaupt Ideen zu sein, denen eher angelsächsische Unternehmen zugetan sind. Trotzdem sollte sich die Industrie darüber Gedanken machen, wie Mitarbeiter für das Bereitstellen und die Aufarbeitung von Wissen belohnt werden können. Dies setzt natürlich die Möglichkeit zur Quantifizierung voraus, wie das bei der EADS ja erkannt und bereits praktiziert wird.

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