Wie Unternehmen sicher die Krise überleben

    Der Enterprise Knowledge Management Cycle

    20. April 2010 von Christian Severin

    In den letzten 10 Jahren wurde Knowledge Management in der Praxis maßgeblich aus dem Blickwinkel der Technologie betrachtet. In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass die Technologie mit den Komponenten Organisation, Fähigkeiten und Kultur erweitert werden muss. Das Zusammenspiel der Komponenten sichert in der jetzigen Wirtschaftskrise das Überleben von Unternehmen und stärkt diese für den zukünftigen Wirtschaftsaufschwung.

    Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Call for Papers für das Open Journal of Knowledge Management, Ausgabe I/2010 eingereicht.


     

    In der Wirtschaftskrise ist Wissensmanagement wichtiger den je: Verlassen Mitarbeiter ein Unternehmen, so riskiert das Unternehmen den Verlust des Wissens dieser Mitarbeiter. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftkrise ist dieser Effekt noch stärker ausgeprägt als in wirtschaftlich soliden Zeiten:

    • Die schlechte Auftragslage führt zu kapazitätsinduzierten Kündigungen durch den Arbeitgeber.
    • Der zunehmende Kostendruck forciert Outsourcing von Teilen der Wertschöpfungskette und damit zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen.

    Unternehmen müssen daher einen Weg finden, sich in diesem wirtschaftlich schwierigen Umfeld vor Wissensverlust zu schützen und aus diesem Grund Wissensmanagement in der Geschäftsstrategie des Unternehmens verankern.

    "Technologie kann den Menschen nicht ersetzen", erklärte einer der Vordenker von Enterprise 2.0, Dave Snowden, noch vor kurzem auf der Fachkonferenz KnowTech 2009. Seine Kernaussage ist heute wichtiger denn je. Unternehmen haben innerhalb der letzten 10 Jahre in Wissensmanagement-Technologien investiert, IT-Systeme aufgebaut und so versucht, das Wissen ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren, zu teilen und zu nutzen. Dieser rein technische Ansatz ist jedoch gescheitert. Mitarbeiter brauchen neben technischen Plattformen Anreize, um ihr Wissen mit anderen Mitarbeitern zu teilen.

    Abb. 1: Enterprise  Knowledge Management Cycle [EKM-Cycle]

    Abbildung 1: Enterprise Knowledge
    Management Cycle [EKM-Cycle]

    Betrachtet man heute die Online-Enzyklopädie Wikipedia, so stellt sich die Wissensteilung gänzlich anders dar als man vor wenigen Jahren noch erwartet hätte: Nutzer teilen ihr Wissen freiwillig und kostenlos. Ein Beispiel: Die Wikipedia-Seite zum Begriff "Anführungszeichen" beinhaltet auf 5 DinA4 Seiten Ausführungen zur Geschichte, Auslegung und geographischen Besonderheiten. Warum funktioniert das Wikipedia-Phänomen – kostenlos und freiwillig – noch nicht in Unternehmen? Die Antwort ist mehr als deutlich: Die Praxis zeigt, dass Technologie nur der erste Schritt in Richtung eines ganzheitlichen Wissensmanagements im Unternehmen sein kann. Der derzeitige Wandel hin zu Enterprise 2.0 muss als Chance begriffen werden, Wissensmanagement ganzheitlich zu betrachten. Eine ganzheitliche Betrachtung von Wissensmanagement bietet gerade in der Wirtschaftskrise Schutz vor Wissensverlust. Der Enterprise Knowledge Management Cycle (EKM-Cycle), der auf Grundlage von Praxiserfahrungen entwickelt wurde, bietet ein Grundkonstrukt mit dem Unternehmen Wissensverlust verhindern können, indem technologische mit organisatorischen, fähigkeitsorientierten und kulturellen Elementen in Verbindung gesetzt werden.

    Der Artikel beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der folgenden Fragestellung: Wie können sich Unternehmen in der Wirtschaftskrise vor Wissensverlust schützen und dadurch stärker aus der Krise hervorgehen als die Mitbewerber?

    Informationen werden mit Hilfe von Technologien den Mitarbeitern zugänglich gemacht, die diese in einen Kontext setzen und daraus Wissen generieren. Doch wie schafft man Anreize, dass Mitarbeiter diesen Zugang auch wirklich nutzen, um Informationen abzulegen und aufzunehmen? In der Praxis zeigt sich, dass gerade dann Informationen geteilt werden, wenn Wissensmanagement in Form organisatorischer Elemente wie Prozessen und Rollen implementiert wird.[1] Durch die Einführung von Wissensmanagern und der Implementierung von Debriefing- und Veredlungsprozessen, die Informationen aufnehmen, weiterentwickeln und verbreiten, wurden beispielsweise bei der Technologie- und Management- Beratung Detecon innerhalb eines Jahres mehr als 40 Methoden und Instrumente aus abgeschlossenen Projekten identifiziert und weiterentwickelt. Diese wurden anderen Mitarbeitern vermittelt, um sie mehrfach in neuen Projekten erfolgreich einsetzen zu können. Vernetzen sich Mitarbeiter durch die Verankerung von Wissensmanagement-Rollen und -Prozessen, so wird Wissen geteilt und damit das Unternehmen vor dem Verlust von Wissen geschützt. Diese organisatorischen Elemente haben in Unternehmen heute jedoch noch eine sehr geringe Bedeutung, da Wissensmanagement nur als interner Service denn als integrierter Bestandteil der Geschäftsstrategie im Zusammenspiel mit dem internen Service begriffen wird. Der Schutz vor Wissensverlust durch organisatorische Elemente des Wissensmanagements ist vor diesem Hintergrund in vielen Unternehmen nicht zufriedenstellend und muss weiterentwickelt werden.

    Ähnlich verhält es sich mit den Fähigkeiten des Unternehmens, die sich aus der Summe aller Fähigkeiten der Mitarbeiter zusammensetzen: Auch anhand von Technologien wie semantischer Suche oder Corporate-Networking Plattformen ist es bis heute der Mehrzahl der Unternehmen nicht möglich, alle Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu identifizieren und zu nutzen. Sind diese Fähigkeiten im Unternehmen transparent, so können sich Mitarbeiter untereinander vernetzen, Wissen austauschen und das Unternehmen so vor Wissensverlust schützen. Organisatorische Elemente wie Barcamps, bei denen sich Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit eingeständig zu selbst gewählten Themen untereinander austauschen können, unterstützen diesen Prozess. In vielen Unternehmen sind die Möglichkeiten diese Fähigkeiten zu identifizieren lediglich rudimentär verankert. Ähnlich verhält es sich mit der Schaffung von Anreizen für Mitarbeiter, eben jene Fähigkeiten transparent zu machen. Das Skill-Management bietet hier erste Lösungsansätze in dem die Fähigkeiten von Mitarbeitern abgebildet werden. Das Management kann so bereits bei der Planung berücksichtigen, wie viele Mitarbeiter jene Fähigkeiten besitzen, die bei Herstellung und Verkauf eines neuen Produktes gebraucht werden. Der Qualifizierungsbedarf kann dadurch in der Planungsphase genauer spezifiziert werden. Das Unternehmen investiert auf diese Weise gezielter in die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter. Technologische und organisatorische Elemente wie Skill-Management-Systeme und Corporate-Networking-Plattformen wie Barcamps können hier helfen, Transparenz zu schaffen. In der Wirtschaftskrise ist wichtiger denn je: Wer heute in die Fähigkeiten und damit in das Wissen seiner Mitarbeiter effizient investiert, realisiert nach der Krise Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern. Die Methoden, die Transparenz über Fähigkeiten von Mitarbeitern und damit des Unternehmens ermöglichen, sind bereits vorhanden. Unternehmen müssen nun den nächsten Schritt gehen und die theoretischen Ansätze implementieren.

    Mitarbeitern Anreize zu geben, ihr Wissen zu teilen, bedarf neben technologischen, organisatorischen und fähigkeitsorientierten Elementen auch der Verankerung von Wissensmanagement in der Unternehmenskultur. Anreize zur Wissensteilung werden gerade durch dieses Element des EKM-Cycles in Unternehmen gefestigt. Der kulturelle Wandel von hierarchischen Strukturen hin zu einer Hierarchie im Einklang mit nicht-hierarchischer Vernetzung aller Mitarbeiter untereinander muss das Ziel eines jeden Unternehmens mit einem wissensintensiven Geschäftsmodell sein, das sich vor dem Verlust von Wissen schützen will. Dieser kulturelle Wandel muss durch das Management unterstützt werden.[2] Wenn das Management die Wissensteilung vorlebt, in dem es an selbst organisierten Barcamps von Mitarbeitern teilnimmt oder ebenfalls Workshops anbietet, wird den Mitarbeitern vermittelt, dass Wissensteilung im Unternehmen gewünscht ist. Sie werden dadurch motiviert auch ihr Wissen zu teilen und stärken damit den Schutz vor Wissensverlust. Insbesondere diese kulturellen Elemente sind aufgrund noch immer vorherrschender hierarchisch organisierter Strukturen in Unternehmen schwach ausgeprägt und bedürfen näherer Betrachtung und nachhaltiger Änderung durch das Management. Ansätze von Enterprise 2.0 können hier helfen, die Unternehmenskultur als Unterstützung für den Schutz vor Wissensverlust zu stärken.

    Das Zusammenspiel der vorgestellten Elemente ist für den Schutz vor Wissensverlust einer der wichtigsten kritischen Erfolgsfaktoren, wie die Praxiserfahrung zeigt: So ist es z.B. für das Element „Fähigkeit“ zwingend notwendig, dass eine technologische Basis die Fähigkeiten der Mitarbeiter transparent abbildet, so dass diese sich untereinander vernetzen können. Vernetzen sich Mitarbeiter unabhängig von Hierarchiestufen miteinander, unterstützt dies eine offene Unternehmenskultur in der Wissens geteilt und durch das Management unterstützt werden kann. Eine derart offene Kultur kann dem Management die Wichtigkeit des Wissensmanagements aufzeigen und so unterstützen, dass Rollen und Prozess in der Organisation verankert werden. Diese  Verankerung bedarf einer kontinuierlichen Unterstützung durch technologische Elemente, um das Wissen der Mitarbeiter zugänglich machen und sich so vor Wissensverlust zu schützen.

    Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass technologische, organisatorische, fähigkeitsorientierte und kulturelle Elemente des EKM-Cycles dazu beitragen, den Schutz vor Wissensverlust in Unternehmen zu stärken. Gerade hier ist das Risiko in der Wirtschaftskrise durch kapazitätsinduzierte Entlassungen und Outsourcing hoch. Unternehmen können sich an den vier Elementen des EKM-Cycles orientieren und sich so vor Wissensverlust schützen. Jedoch gilt es sich auch schon in der Krise die Frage zu stellen: Was kommt nach der Krise? Jene Unternehmen werden aus der Wirtschaftskrise stärker hervorgehen, die die Wissenslücke neuer Mitarbeiter schnell zu schließen wissen. Dazu müssen alle Elemente des EKM-Cycles in der Geschäftsstrategie berücksichtigt werden. Dies bleibt jedoch auf Grundlage des Status Quo für viele Unternehmen weiterhin eine große Herausforderung. Der EKM-Cycle kann dazu beitragen, diese Herausforderung zu strukturieren und Maßnahmen einzuleiten, die für das Überleben des Unternehmens in der Wirtschaftskrise von enormer Bedeutung sind.

    Quellenverzeichnis

    [1] [Severin, 2009], Schutz vor Wissensverlust in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, Know Tech Vortragsband „geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen”

    [2] [Buhse, 2009], Enterprise 2.0: Management by OpenSpaces, Know Tech Vortragsband „geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen”

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