Strategien für ein Lernen und Wissen von morgen: Werkzeuge des Lern- und Wissensmanagements strategisch verankern

    29. März 2010 von Dr. Stefan Brall

    Dynamische Umfeldbedingungen erfordern von Organisationen und ihren Mitarbeitern eine kontinuierliche Entwicklung. Wie aber kann individuelle und organisationale Entwicklung strategisch verankert werden um nicht allein auf veränderte Umfeldbedingungen zu reagieren, sondern aktiv die zukünftigen Handlungsoptionen zu nutzen? Werkzeuge des Lern- und Wissensmanagements spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Aber nur durch eine intentionale Verankerung in die strategische Entwicklung können arbeitsintegrierte Einzelmaßnahmen Lernen und Entwicklung auf allen Handlungsebenen befördern. Dies demonstrieren auch Fallbeispiele. Sie zeigen, dass die bestehenden Maßnahmen systematisiert und ergänzt werden können. Sie machen jedoch auch deutlich, dass die absichtsvolle Implementierung kein leichtes Unterfangen ist und selbst Verantwortliche ihren Wert für die Unternehmung erst erkennen müssen.

    Dieser Beitrag wurde im Open Journal of Knowledge Management, Ausgabe I/2010, veröffentlicht und wurde mit dem 2. Platz ausgezeichnet.


    Handeln in Unsicherheit gestalten

    Handeln von Individuen, Gruppen, Organisationen und Netzwerken ist mehr denn je gekennzeichnet von unsicheren Umfeldbedingungen. Kaum jemand kann heute schon sagen, was morgen kommen wird. Wie aber soll man unter solchen Bedingungen die Zukunft aktiv gestalten? Bleibt nicht allein die Möglichkeit eines schnellen Reagierens wenn sich die Rahmenbedingungen verändern oder kann die Zukunft trotz Unsicherheit aktiv gestaltet werden? Lernen und Wissen spielen bei der Gestaltung der Zukunft eine zentrale Rolle. Wissen ist hierbei nicht statisch, sondern es muss beständig aktualisiert, revidiert und mit Anderen abgeglichen werden. Hierfür steht eine Vielzahl von Hilfsmitteln zur Verfügung. Das klassische Präsenztraining, multimedial aufbereiteter eLearning Content, Web2.0-Applikationen oder neuere Formate wie Barcamps. Alle Werkzeuge haben ihre Berechtigung und können Wissenstransfer und Lernen befördern. Betrachtet man individuelles Lernen und organisationale Entwicklung jedoch als strategisches Entwicklungspotenzial, dann reichen singuläre Einzelmaßnahmen nicht aus. Ohne ein strategisch integriertes Gesamtkonzept eines Lern- und Wissensmanagements, welches zugleich alle Handlungsebenen der Organisation betrachtet, werden alle diese Maßnahmen nur das individuelle Lernen befördern. Dabei wohnt ihnen ein viel größeres Potenzial inne. Die Verknüpfung der Einzelmaßnahmen unter einer strategischen Perspektive ist Zukunftsaufgabe für all diejenigen, die trotz Unsicherheit aktiv gestalten wollen.

    Von der Reaktion zur Aktion

    Betrachtet man individuelles Lernen und die Entwicklung der Organisation aus einer strategischen Perspektive, so ist es naheliegend die Arbeitsprozesse als Ausgangspunkt der Betrachtung zu nehmen. Als ein Modell der Transformation von Erfahrung in neue Handlungsweisen wird zumeist auf das erfahrungsorientierte Lernen verwiesen, welches maßgeblich von David Kolb (vgl. Kolb & Kolb 2009) als auch von Peter Jarvis (vgl. Jarvis 2004) entwickelt und vertreten wurde. Ihre Modelle unterscheiden drei Wesentliche konzeptionalisierende Elemente. Ausgangspunkt ist jeweils die Erfahrung, welche durch Beobachtung und Reflexion in abstrakte Konzepte überführt wird. Die entwickelten Konzepte werden in neuen Situationen bewusst zur Anwendung gebracht, was gleichzeitig wieder neue Erfahrungen generiert. Die Darstellung von Lernen als Zyklus betont dabei die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung von Wissen und Können. Sollen Lernprozesse jedoch strategisch genutzt werden, so reichen die erfahrungsbasierten Modelle jedoch nicht aus. Sie beschreiben vor allem anpassende Lernprozesse, welche sich aus den Erfahrungen ergeben. Sie müssen ergänzt werden durch aktives und planvolles Handeln, was sich von den Erfahrungen löst und Zukunft lernend gestaltet.

    Dies zeigt, dass die Intentionalität, also die Absicht hinter dem Lernprozess ein entscheidender Faktor für die Zukunftsgerichtetheit des Lernens ist. Dies verweist auf Modelle der kontinuierlichen Verbesserung, wie sie beispielsweise im PDSA-Zyklus (Deming 2000) oder auch der Zyklus expansiven Lernens (Engeström 2005) dargelegt werden. Beide Modelle zeigen, dass eine intendierte Veränderung auf der Gruppen- bzw. der organisationalen Ebene, aber auch auf der individuellen Ebene, wie die Lernzyklen von Kolb und Jarvis gezeigt haben, neben der bewussten Analyse und der Anwendung im Probehandeln auch eine Überprüfung und Validierung der einmal erzielten Resultate bedarf. Nachhaltiges Lernen kann demnach nur erfolgen, wenn die Aufmerksamkeit für einen bestimmten Zeitraum auf einen Lerngegenstand fokussiert wird.

    Zukunftsgestaltendes Lernen

    Brall (2010) definiert für das Lernen im Prozess der Arbeit einen doppelten Lernzyklus, der erfahrungsreflektierendes und handlungsgenerierendes Lernen gegenüber stellt. Die beiden Zyklen werden mit jeweils drei Elementen konzeptionalisiert. Ein in der Tätigkeit erfahrener oder in der bewussten Handlung erlebter Bruch zwischen Wissen und Können dient als Ausgangspunkt für einen mehr oder minder bewussten oder auch unbewussten erfahrungsreflektierenden Lernprozess. Durch intuitive Wahrnehmung oder Beobachtung dieser episodischen Erfahrung (E) und darauf bezogene Reflexion (R) wird Erfahrung transformiert in ein erfahrungsbasiertes Modell der Wirklichkeit (EM). Wird ein solches Modell in einem handlungsgenerierenden Lernprozess als bewusste Handlung zur Anwendung gebracht (H) und die hierdurch entstehenden Erfahrungen erneut zum Gegenstand der bewussten Reflexion, so entstehen über die Zeit relativ stabile generalisierte Handlungsmodelle (GM, Abbildung 1). Eine intendierte und nachhaltige Entwicklung ist damit nur möglich, wenn Lernen nicht allein reaktiv auf der Basis von Erfahrungen erfolgt, sondern bewusst weitere Zyklen des Handelns und Verbesserns durchlaufen werden.

    Abbildung 1: Der Zyklus arbeitsbegleitenden Lernens

    Die Bedeutung der Bewusstheit von Lernprozessen verdeutlicht anschaulich eine Studie über das Verhalten von Projektmanagern in komplexen Situationen: Die Untersuchungen von Sengupta und Kollegen (2008) haben gezeigt, dass ein implizites Lernen aus Erfahrungen nur bedingt in komplexen Situationen erfolgt. Aufgrund der in komplexen Situationen eineindeutigen und in der Regel zeitlich weit auseinander liegenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen, kann Lernen nicht ohne genaue Analysen, also einer Prozessunterbrechung erfolgen. Daher greifen die untersuchten Manager der Studie immer wieder auf ihre auf relativ einfachen Erfahrungen beruhenden mentalen Modelle zurück. Trotz der Vielfalt der gemachten Erfahrungen schaffen sie es deshalb nicht grundlegend, diese handlungsleitenden Modelle zielgerichtet zur Bewältigung zukünftiger komplexer Situationen zu verändern (Sengupta et al. 2008: 92).

    Ziel einer nachhaltigen Kompetenzentwicklung muss es also sein, elementares erfahrungsreflektierendes Lernen zu überführen in bewusste Lernprozesse, die neben der aktiven Beobachtung sowie Reflektion vergangener Erfahrungen und der daraus abgeleiteten zukünftigen Handlungsmodelle auch ein „nach vorn blicken“ ermöglichen und dabei Handlungsspielräume schöpferisch neu gestalten.

    Strategisches Lern- und Wissensmanagement

    Will man als Unternehmung zu einer nachhaltigen strategischen Entwicklung gelangen reicht die doppelte Perspektive des arbeitsbegleitenden Lernzyklus noch nicht aus. Sie muss von einer rein individuellen Sicht auf das Lernen erweitert werden hin zu einer Sicht, welche alle Handlungsebenen einer Organisation umfasst. Dies eröffnet einen Blick auf die Unterschiedlichkeit der Lernformen auf der Ebene des Individuums, der Gruppe, der Organisation und des Netzwerk. Ohne diese perspektivische Erweiterung bleiben Kompetenz- und Organisationsentwicklung getrennt und eine strategische Verknüpfung dieser beiden Ebenen unterbleibt. Jede zuständige Organisationseinheit entwickelt dann entsprechende Maßnahmen für ihren Teilbereich, aber die Maßnahmen bleiben leblose Hüllen. Unter der Perspektive einer strategischen Entwicklung müssen die Teilbereiche zusammen betrachtet werden, denn ein Mehrwert aller noch so absichtsvoll implementierten Entwicklungsmaßnahmen entsteht erst in ihrem planvollen Zusammenspiel. Wissensmanagement kann hier eine entscheidende Rolle spielen. Der Transfer zwischen den Lernprozessen auf den verschiedenen Handlungsebenen spielt eine genauso bedeutende Rolle wie die Lernprozesse selbst. Es stellt sich dabei vor allem die Frage wie z.B. das Wissen, welches stellvertretend für die Gesamtorganisation von einzelnen Mitgliedern kollektiv erworben wurde, in die Organisation distribuiert und als aktives Wissen handlungsleitend werden kann.

    Strategisches Lern- und Wissensmanagement aktiv gestalten

    In Untersuchungen an der RWTH Aachen wurden die Bedingungsfaktoren für ein strategisch verankertes Lern- und Wissensmanagement genauer untersucht (Brall 2010). Die Universität ist mit ihren weit verzweigten teilautonomen Lehrstühlen gut geeignet, um die notwendigen Veränderungen zu demonstrieren. Betrachten wir zunächst ein klassisches Maschinenbauinstitut. Insgesamt arbeiten dort rund 60 Personen. Es gibt neben dem Professor 3 Oberingenieure und insgesamt 45 promovierende wissenschaftliche Mitarbeiter. Die Analyse der Handlungsebenen zeigt zum einen die individuelle Ebene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Forschungsgruppen und Abteilungen, das Gesamtinstitut, andere Universitäten und die Industrie. Die erste Bestandsaufnahme der Analyse von eingesetzten Lernformen bestätigte die Annahme, dass durch die eingesetzten Maßnahmen zumeist das individuelle Lernen befördert wird. Auf der kollektiven Ebene wurde dies nur ergänzt durch Team- und Arbeitsbesprechungen, die vorrangig auf das operative Tagesgeschäft gerichtet waren. Schon die schlichte Visualisierung der Zuordnung des Ist-Zustands machte den Handlungsbedarf deutlich. Das im Beratungsprozess überarbeitete Modell zeigt ein ganz anderes Bild. Gezielt wurden hier neue Elemente platziert, die das kollektive Lernen befördern sollen (Abbildung 2).

    Abbildung 2: Gestaltungselemente eines Hochschulinstituts

    Für jedes Element muss dabei genau beschrieben sein was es bedeutet und welche Intentionalität hinter der Maßnahme steckt. Die alleinige Benennung der Methode reicht nicht aus. So kann die Methode „externe Seminare und Workshops“ auf der Netzwerkebene z.B. für die Distribution von Wissen als auch für die gemeinsame Wissensproduktion im Netzwerk zwischen der Industrie und der Hochschule genutzt werden. Ohne die Benennung und klaren Beschreibung der Zielrichtung der Maßnahmen kann eine strategische Verankerung nicht gelingen.

    Die Bedeutung der Intentionalität wird aber noch besser an einem anderen Beispiel deutlich. Im Exzellenzclusters Produktion an der RWTH Aachen wurde im Antrag ein ganzes Maßnahmenbündel von Lernformen und Wissensmanagementwerkzeugen, die sogenannten Cross Sectional Processes, beschrieben. Diese werden von einer eigenen Gruppe im Projekt betreut, welche das Clustermanagement in diesen fachübergreifenden Fragestellungen unterstützt. Im Verlauf des Projekts wurde jedoch deutlich, dass auf allen Ebenen, auch beim Management, erhebliche Vorbehalte gegen eine Umsetzung der Maßnahmen bestanden. Diese kosten Zeit, die zunächst nicht „geopfert“ werden sollte. Erst mit zunehmender Komplexität des Projekts wurde den Verantwortlichen der Sinn der Maßnahmen deutlich und es konnten langsam einige Widerstände abgebaut werden. An dieser Stelle war es hilfreich, dass von Anfang an ein starkes Management der Querschnittsaufgaben implementiert und mit entsprechenden Mittel ausgestattet wurde. Hierdurch wurde das verantwortliche Management des Clusters immer wieder mit den Anforderungen an ein funktionierenden Lern- und Wissensmanagement konfrontiert. Insbesondere der Einsatz einer Balance Score Card konnte dabei die Umsetzung sichtbar machen und zeigen, an welchen Stellen mit welcher Zielrichtung weitere Maßnahmen zu platzieren waren. Dieses Beispiel zeigt, dass es zum Teil erheblicher Ausdauer und Hartnäckigkeit von Prozessbegleitern bedarf, um die Umsetzung tatsächlich voran zu treiben und die Intentionalität auch beim Management zu wecken (Abbildung 3).

     

    Abbildung 3: Gestaltungselemente im Exzellenzcluster Produktion

    Fazit

    Ohne eine intentionale Verankerung von Werkzeugen des Lern- und Wissensmanagement in eine strategische Entwicklung bleiben die Maßnahmen Insellösungen deren Wert sich den Beteiligten nicht zwingend erschließt. Erst die bewusste Verknüpfung mit den Strategien erweckt die isolierten Instrumente zum leben. Es ist die Aufgabe von Führungskräften und Managern die bewusste intentionale Verbindung herbei zu führen, um mit Lern- und Wissensmanagement aktiv die Zukunft ihrer Unternehmung zu gestalten. Die Herausforderungen eines Lern- und Wissensmanagements der Zukunft liegt somit in der Einbindungen der verschiedenen Werkzeuge in die strategische Entwicklung der Gesamtorganisation. Zu oft sind in der Vergangenheit die Instrumente unabhängig hiervon entwickelt und eingesetzt worden, so dass sie zwar für sich betrachtet sinnvoll und sicherlich auch in Teilbereichen nützlich waren. Dies reicht jedoch nicht aus. Organisationen müssen sich selbst und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter permanent weiter entwickeln. Dies geht nur indem die bereits eingesetzten Instrumente systematisiert und hinsichtlich ihrer Ziele überprüft werden. Ausgehend von der strategischen Entwicklungsperspektive können dann die Arbeitsprozesse unter die Lupe genommen werden um weitere Elemente zielgerichtet und möglichst nah an der täglichen Arbeit zu platzieren. Erst das planvolle Zusammenwirken aller Elemente kann eine Kultur des Lernens und der kontinuierlichen Entwicklung nachhaltig befördern.

    Literatur

    Brall, Stefan. 2010. Arbeitsbegleitende Kompetenzentwicklung als universitäres Strategieelement. Norderstedt: BoD.

    Deming, William Edwards. 2000. The new economics: for industry, government, education. 2. Aufl. Cambridge [u.a.]: MIT Press.

    Engeström, Yrjö. 2005. Developmental work research: Expanding activity theory in practice. Berlin: Lehmanns Media.

    Jarvis, Peter. 2004. Adult education and lifelong learning. theory and practice. 3. Aufl. London [u.a.]: RoutledgeFalmer.

    Kirchhöfer, Dieter. 2004. Lernkultur Kompetenzentwicklung: Begriffliche Grundlagen. Berlin.

    Kolb, Alice Y., und David A. Kolb. 2009. “Experiential Learning Theory: A Dynamic, Holistic Approach to Management Learning, Education and Development.” 42-68 in, Stephen J Armstrong und Cynthia V. Fukami. London [u.a.]: Sage.

    Sengupta, Kishore, Tarek K.Abdel-Hamid, und Luk N. Van Wassenhove. 2008. “Die Erfahrungsfalle.” Harvard Businessmanager 91-101.

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