Schritte zur Einführung des Wissensmanagements: Wissen erwerben und entwickeln

    19. April 2001 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Dieser Artikel ist der dritte Beitrag einer Reihe von Abhandlungen, in denen die einzelnen Schritte der Einführung des Wissensmanagements im Unternehmen behandelt werden. Im Mittelpunkt stehen die Möglichkeiten eines Unternehmens zur Entwicklung neuer Fähigkeiten, Produkte und effizienterer Ablaufprozesse durch den Erwerb externen Wissens, die Entwicklung internen Wissens und den Schutz vor Verlust des Wissens.

    Problemstellung

    Die in den letzten Jahrzehnten eingesetzte Wissensexplosion hat eine Spezialisierung und damit verbundene Fragmentierung des Wissens, das für die Produktentwicklung in all seinen Phasen notwendig ist, hervorgerufen. Neues Wissen ist die Voraussetzung für innovative Produkte und damit für eine wachsende Wertschöpfung. Dieses neue Wissen kann immer weniger in den Unternehmen selbst entwickelt werden, sondern muss in zunehmendem Maße auf externen sog. Wissensmärkten erworben werden, was gezielte Beschaffungsstrategien erfordert. Die organisationale Wissensbasis muss laufend gepflegt und aktualisiert werden. Die Entwicklung, Erhaltung und Weitergabe der Wissensbestände ist auf traditionellem Wege im Rahmen einer autarken Organisation kaum noch möglich. Es werden hier die Anstrengungen und Methoden beschrieben, mit denen noch nicht bestehende Fähigkeiten kreiert und in das unternehmerische "Gedächtnis" überführt werden.

    Auf der Basis der von Probst und Romhardt (siehe ([6]) oder [3]) vorgeschlagenen Konzeptualisierung von Aktivitäten des Wissensmanagements werden die Bausteine "Wissen erwerben", "Wissen entwickeln" und "Wissen bewahren" beschrieben, d.h. wie entsteht neues, kreatives Wissen im Unternehmen, wie kann es weiterentwickelt und - einmal vorhanden - vor Verlust bewahrt werden, mit dem Ziel, eine dauerhafte, strukturell verankerte Lernfähigkeit und Innovationskompetenz im Unternehmens zu etablieren. Wissensmanagement soll hier verhindern, dass Planungen unvollständig bleiben und helfen, einen Leitfaden für die kundengerechte Entwicklung und die Bereitstellung von Dienstleistungen zu geben.

    Kreativität und Wissensentstehung in Organisationen

    Organisationen lassen sich als verteilte wissensbasierte Systeme betrachten, in denen das Wissen der einzelnen Mitarbeiter, als auch das der gesamten Organisation enthalten ist. Da Wissen keine absolute konstante Größe ist, sondern sich sich in einem kontinuierlichen Wandel befindet, wird es stets durch einen inhaltlichen als auch zeitlichen Kontext relativiert. Die individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Erfahrungen der Mitarbeiter sind dabei genau so bedeutsam wie die allgemein verfügbaren Routinen, Normen, Regelsysteme, Standardverfahren, Leitlinien, Arbeitsprozessbeschreibungen, Traditionen oder Datenbanken.

    Eine Kollektivierung individueller Wissensbestände erfolgt immer durch eine gemeinsame Praxis. Handlungsabläufe schleifen sich ein und werden dann institutionalisiert. Die Umwandlung des individuellen in kollektives Wissen ist Voraussetzung für eine bessere Informationsversorgung und -bearbeitung und erlaubt so erst eine erfolgreiche Wertschöpfung.

    Bei der Frage der Wissensentstehung ist zwischen explizitem, formalisiertem Wissen und dem "stillen", nur schwer zu formalisierenden Wissen (tacit knowledge) zu unterscheiden (siehe [7]). Stilles Wissen basiert auf persönlichen Bindungen und Erfahrungen und lässt sich nur schwer in eine formale Sprache übertragen. Praktisches und organisatorisches Know-how wurzelt in solch stillem Wissen. Wissensschöpfung lässt sich in folgenden Prozessen beschreiben:

    • in der Kombination expliziten Wissens zu neuen Formen expliziten Wissens,
    • in der Internalisation expliziten Wissens durch die Organisationsmitglieder, das damit zu individuellem, stillen Wissen wird,
    • in der Kommunikation unter den Organisationsmitgliedern, die von stillem zu neuem stillen Wissen führt und
    • in der Externalisierung des stillen Wissens in Form von neu generiertem explizitem Wissen.

    Jede in einem organisatorischen Zusammenhang ablaufende Kommunikation beruht also darauf, dass Menschen ihr stilles Wissen miteinander teilen. Geschichten erleichtern es Leuten, das in Hintergrundinformationen steckende stille Wissen besser zu verstehen. Das in der Literatur sogenannte "Storytelling" erlaubt es, zusätzliche Teile des Gehirns zu aktivieren, wodurch die Aufmerksamkeit gefördert wird, was wiederum dazu führt, sich an detailreiche Hintergrundinformationen leichter zu erinnern. Informationen sind weiterhin wichtig, aber sie führen nicht zwangsläufig zu mehr Wissen, geschweige denn Können. Und letztendlich sind Geschichten sehr viel interessanter zu lesen als Abhandlungen oder Manuale.

    Neues Wissen dagegen, wie in der Wissenschaft oder Produktentwicklung, entsteht eher durch eine Kombination von verschiedenen expliziten Wissensbeständen. In diesem Zusammenhang lässt sich die Aufgabe des Wissensmanagements folgendermassen definieren: im Unternehmen verteiltes Wissen integrieren und implizites in explizites Wissen überführen.

    Wissen an sich ist kein Erfolgsfaktor und hat für die Innovationskompetenz des Unternehmens noch keinen Wert, solange es nicht das Können, insbesondere die Problemlösungskapazität erhöht. Hierzu muss die individuelle Wissensentwicklung mit Kreativität zusammenspielen, wobei der Begriff der Kreativität nicht auf rein individuelle Fähigkeiten zu begrenzen ist. Vielmehr setzt Kreativität ein geeignetes System oder eine Unternehmenskultur voraus. Komponenten sind etwa ein von einem Experten getragenes Feld, ein bestimmtes Wissensgebiet, ein anerkanntes wissenschaftliches Paradigma oder ein System technischer Problemlösungen. Erst in solchen Zusammenhängen werden bestimmte Leistungen als kreativ empfunden. Stets muss - der Bedeutung des Wortes folgend - Kreativität das vorhandene System sprengen oder zumindest modifizieren oder auch ein neues etablieren. Es handelt sich dabei also um eine Transformation einer definierten Struktur, die modifiziert und dann letztendlich in eine neue Struktur übergeführt wird. Kreativität setzt also die Bereitschaft zum Wandel voraus. Ist diese nicht vorhanden, wird es das Unternehmen schwer haben, die kreativen Ideen seiner Mitarbeiter umzusetzen.

    Kreativität lässt sich nicht erzwingen. Überall dämpfen Strukturen wie die Informationsflut oder sozialisierte Verhaltensweisen die Entwicklung kreativer Ansätze. Der empfindliche kreative Prozess, der neue Ideen oder Problemlösungen produzieren soll, setzt oft die Verkettung zahlreicher Teilprozesse (Analyse, Vorbereitung, Inkubationszeit, Erkenntnis, Verifizierung etc.) voraus. Hinzu kommen folgende Eigenschaften wie:

    • offene Assoziationen,
    • differenzierende als auch integrierende Leistungen,
    • Fähigkeit zur Umdefinition und Transformation von Ausgangsproblemen
    • und spezifischen Rituale,

    die durch eine Reihe von Methoden und Werkzeugen unterstützt werden können. Dazu zählen vernetzte Informationen in Hypertextform oder die Möglichkeit des online Brainstorming und dessen Auswertung, Newsgroups und Foren oder eigene virtuelle Arbeitsräume (sog. eRooms).

    Kreativität ist im Grunde ein chaotischer Prozess. Kreativitätsfördernde Maßnahmen müssen also diesen Prozess unterstützen, d.h. die vorhandenen Strukturen und Abläufe überwinden helfen. In manchen Unternehmen werden diese Ansätze bewußt gefördert. So hat beispielsweise die gebeutelte Xerox Corp. endlich den Schritt gewagt, dem hoch gerühmten firmeneigenen Think Tank - Xerox PARC - mehr organisatorische Unabhängigkeit zu gewähren und die Auswertung der Produktideen kleinen, kreativen Tochterunternehmen zu überlassen. Eine weitere Möglichkeit besteht im sog. "Diversity Recruiting". Hierbei werden Mitarbeiter aus unterschiedlichem fachlichen und kulturellen Hintergrund eingestellt mit dem Ziel, neue Erfahrungen und Problemlösungsansätze ins Unternehmen zu holen. Dieses importierte Konfliktpotential soll gewachsene Abläufe und Routinen sichtbar und angeblich Bewährtes in Frage stellen. Eine Idee übrigens, die auch hinter der GreenCard - Regelung der Bundesregierung steht.

    Wissen erwerben

    Durch Abgleichen der operativen mit den strategischen Unternehmenszielen lassen sich die für die Umsetzung dieser Strategie notwendigen Wissensziele definieren (siehe ([5]). Dieser Prozess legt die notwendigen und die vorhandenen Fähigkeiten des Unternehmens offen. Zum Erreichen der strategischen Unternehmensziele müssen dann die fehlenden Fähigkeiten entweder selbst in einem internen Prozess entwickelt werden (siehe Abschnitt 4), oder das Unternehmen kann das Wissen aus externen Quellen erwerben. Nur wenige Wissensbestände werden heute jedoch noch innerhalb eines Unternehmens entwickelt. Viel häufiger werden dagegen Kompetenzen und Wissen auf den sog. externen Wissensmärkten erworben, auf denen das Wissen

    • externer Berater,
    • anderer Firmen,
    • von Kunden oder anderer im Umfeld des Unternehmens verbundener Gruppen wie Lieferanten, Medien, Großaktionären etc. ("stakeholder knowledge") sowie
    • von Produkt-, Prozess- oder Sozialinnovationen

    "absorbiert" werden kann.

    Die Berater werden für begrenzte Zeit in das Unternehmen geholt. So steht dem Unternehmen das Wissen nicht nur der einzelnen Berater, sondern auch das kollektive Wissen des Beratungsunternehmens zur Verfügung. Gerade die zeitweise Nutzung externer Spezialisten, ohne die Nachteile einer festen Anstellung, kann die geeignete Form der Wissensgenerierung sein. Durch die wechselnde Tätigkeit der Berater in verschiedenen Unternehmen, wird ihr Wissen permanent erweitert und aktualisiert. Zudem kommen sie häufig aus einem anderen Umfeld als das sie beauftragende Unternehmen und bieten damit die zumindest zeitweise Möglichkeit des oben schon erwähnten Diversity Recruiting.

    Beim Wissenserwerb durch externe Berater ergeben sich aber auch Grenzen, denn es ist stets zu berücksichtigen, ob die ausgelagerte Expertise nicht den strategischen Wissenszielen entgegen läuft. Darüber hinaus muss dafür Sorge getragen werden, dass insbesondere das organisationale Wissen des Beraters auch zum Unternehmen passt und es von den Mitarbeitern akzeptiert und letztlich dann auch genutzt wird.

    Wie wichtig die Wissensabsorption über externe Berater für Unternehmen geworden ist und wie erfolgreich diese Art der Beratung ist, zeigt das Wachstum der Beraterbranche.

    Das Übernehmen des  Wissens anderer Firmen kann durch Unternehmensübernahmen oder strategische Allianzen mit innovativen Unternehmen in der eigenen Branche geschehen. Denn Wissenslücken lassen sich durch Übernahmen, Fusionen, Minderheitenbeteiligungen bis zu fallweisen Kooperationen füllen. So hat sich als bewährte Strategie von Großunternehmen in den letzten Jahren die Übernahme kleiner, innovativer Firmen herauskristallisiert. Die Bayer AG beispielsweise ist damit zum weltweit größten Biotechnologie "Start-up" geworden. Bei Übernahmen oder Fusionen ist allerdings darauf zu achten, dass durch die Integration weder die Kreativität verloren geht - denn das einfache Aufkaufen einer kleinen innovativen Firma durch einen Großkonzern führt nicht selten zum Abwandern der fähigsten Mitarbeiter - noch das neu erworbene Innovationspotenzial im Gesamtunternehmen gehemmt wird.

    Bei strategischen Allianzen oder Kooperationen dient der Wissenserwerb meist enger begrenzten Wissenslücken. Dies geschieht etwa durch die Förderung wissenschaftlicher Institute, Forschungskooperationen oder den gegenseitigen Austausch von Mitarbeitern (sog. "knowledge links"), bei denen gegenseitiges Lernen im Vordergrund steht. Allianzen können sich auch auf den Austausch von Produkten beziehen, mit denen Lücken im eigenen Portfolio geschlossen werden. Solche sog. "product links" dienen der Kostenreduktion, der Risikostreuung oder der Verbesserung des time-to-market.

    Zur externen Wissensakquisition werden häufig Schlüsselkunden in den Entwicklungsprozess mit einbezogen. Dabei spielt nicht nur die Marktforschung eine wesentliche Rolle, die Wissen über Kunden aufbereitet, sondern in zunehmendem Maße auch das spezifische Wissen des Kunden. Dazu ist es notwendig, sog. Importkanäle für das Kunden- oder Lieferantenwissen zu etablieren, um es etwa durch Befragungen oder Konferenzen ins eigene Unternehmen einfließen zu lassen. Das sog. Stakeholderwissen gehört inzwischen zu den am meisten genutzten Innovationsquellen für Unternehmen.

    Als letzte Möglichkeit der externen Wissensakquisition bietet sich der Einkauf von Wissensprodukten an. Neben den berühmten Blaupausen oder Designstudien gehören dazu z.B. Patente, Lizenzen, Software oder etwa das durch reverse engineering "aufgetaute" Wissen, das in Produkten "eingefroren" ist. Neben solch materiellen Wissensprodukten sind auch Prozess- und Sozialinnovationen beim Wissenserwerb zu berücksichtigen. Zu letzteren zählen z.B. innovative, die Leistung der Mitarbeiter fördernde Entlohnungssysteme, während zu den Prozessinnovationen etwa effektivere Herstellungsmethoden im Produktionsprozess gehören.

    Wissen entwickeln

    Die zweite Möglichkeit Wissen zu generieren, besteht für Unternehmen in der internen Entwicklung von Wissen. Zwischen Wissenserwerb und - entwicklung besteht ein enger Zusammenhang, je nachdem ob die Organisation am Wissensmarkt als Anbieter oder Kunde auftritt. Die Wissensentwicklung stellt somit den komplementären Baustein zum Wissenserwerb dar.

    Die eigene Entwicklung von Wissen kann für das Unternehmen notwendig bzw. vorteilhaft sein, wenn es beim Stakeholder z.T. vorhanden, oder der Erwerb aus externen Quellen finanziell aufwendiger als eine interne Entwicklung ist, die sich jedoch nur sehr schwer planen und steuern lässt. Denn kein Mitarbeiter kann dazu gezwungen werden, einen kreativen Einfall zu haben, noch kann er sich selbst dazu  zwingen.

    Man unterscheidet individuelle von kollektiver Wissensentwicklung. Dabei laufen diese Prozesse nicht nur in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ab, sondern auch bei der täglichen Arbeit an jeder beliebigen Stelle innerhalb der Organisation.

    Individuelle Wissensentwicklung kann in zwei Formen geschehen. Wissen kann durch einen kreativen, nicht planbaren Schöpfungsakt entstehen oder durch plan- und steuerbares, systematisches Problemlösen entwickelt werden. Da individuelle Wissensentwicklung die Ausbildung von einzelnen Personen betrifft und man auf die kreativen Ideen der Mitarbeiter keinen direkten Einfluss hat, bietet es sich an, zumindest ein Umfeld zu schaffen, in dem das Entstehen und die Ausbreitung neuer Ideen geschützt und gefördert werden. Dazu gehört im wesentlichen die Zuordnung von Mitarbeitern zu Projekten ihres eigenen Interessengebietes und eine "fehlertolerante" Unternehmenskultur, in der Ideen umgesetzt werden, ohne dass der Mitarbeiter befürchten muss, dass sich mögliche Fehler negativ auf die Karriere auswirken.

    Eine Fehlervermeidungskultur erstickt neue Ideen und ist damit innovationsfeindlich. Ist nun neues, individuelles Wissen entwickelt worden, so muss stets dafür gesorgt werden, dass dieses Wissen expliziert wird, denn nur dann kann es verteilt und an anderer Stelle wieder verwendet werden. Diese Explizierung macht aus individuellem kollektives oder organisationales Wissen.

    Schlüsselgrößen für die kollektive Wissensentwicklung sind Kommunikation und Transparenz. Die Keimzelle kollektiven Wissens in modernen Unternehmen liegt in den Teams, also etwa Think Tanks, Lernarenen oder Kompetenzzentren. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtigen Wissensgemeinschaften und die Bedeutung einer Wissensökologie werden im nächsten Abschnitt separat behandelt.

    Teams sind durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Persönlichkeiten und Fähigkeiten in der Lage, Leistungen zu erbringen, die einem Einzelnen nicht möglich wären. Voraussetzung dafür ist eine offene Atmosphäre und das Verständnis für die Fähigkeiten anderer Teammitglieder. Am Ende des Projektes steht schließlich eine abschließende Reflexion der eigenen Arbeit zur Sammlung der wesentlichen Erfahrungen im Projektverlauf. Die Bearbeitung solcher "Lessons-learnt" als integrierter Bestandteil des Projektzyklus bildet die Essenz der Erfahrungen, welche in einem Projekt gemacht wurden und sind somit Resultat des teambasierten Lernprozesses.

    Wissensgemeinschaften

    Mitte der achtziger Jahre hatte der Luft- und Raumfahrtkonzern MBB - Vorgänger der DaimlerChrysler Aerospace und heute Teil der europäischen EADS - ein Team aus allen Bereichen des Unternehmens zusammengezogen, das sich in das damals hoch gehandelte Wissensgebiet der Künstlichen Intelligenz einarbeiten sollte, um anschließend das so entstandene Wissen in den einzelnen Unternehmensbereichen zu verteilen. Dieses Team war eine selbstorganisierte, im wesentlichen hierarchiefreie Gruppe, in der die verschiedenen Bereichskulturen und -interessen garantiert waren und ausreichend Zeit zur Verfügung stand zu lernen, externe Kontakte zu knüpfen und zu fördern und die thematische Reflexion mit all ihren persönlichen Eigenheiten anzuerkennen.

    Heute würde man ein solches Team als Wissensgemeinschaft ("community of practice") bezeichnen. Sie ist eine über einen längeren Zeitraum (½ Jahr und mehr) bestehende Gruppe, in der neues Wissen im Dialog mit allen Beteiligten entstehen soll und die ein Interesse an einem gemeinsamen Thema haben. Die Teilnahme ist freiwillig und erfordert sowohl fachlichen als auch persönlichen Einsatz der Gruppenmitglieder. Die informelle, fehlertolerante Struktur einer solchen Wissensgemeinschaft ist kreativ, lernfördernd und dient der Verbreitung des Wissens im Unternehmen. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg dabei ist, dass sich die Mitglieder nicht nur zur gemeinsamen Wissensentwicklung, sondern auch zu einer Anwendung und Umsetzung dieses Wissens in Produkten, Projekten oder Abläufen verpflichten. Diese Verpflichtungen beziehen sich dabei weniger auf das unbedingte Erreichen zuvor gesteckter Ziele (was einer fehlertoleranten Atmosphäre widersprechen würde), als vielmehr auf die gegenseitige Unterstützung beim Erwerben und Umsetzen von Wissen. Folgende Faktoren sind beim Aufbau von Wissensgemeinschaften relevant:

    • ähnliche Probleme in verschiedenen Unternehmensbereichen,
    • die Intransparenz von Wissen,
    • mögliche Synergien durch die Zusammenarbeit und
    • die Nutzung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Kommunikation.

    Das oben erwähnte Beispiel bei MBB folgte allen vier dieser Faktoren und war besonders erfolgreich darin, die Wissenstransparenz im Unternehmen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz zu verbessern, so dass diese neue Technologie bald überall im Konzern zur Anwendung kam.

    Die spezifischen Inhalte, um die sich eine Wissensgemeinschaft gruppiert, können vielfältiger Natur sein, wie z.B. im Unternehmen bisher nicht verwendete Technologien, Methoden oder Ablaufprozesse, die Durchführung bereichsübergreifender Projekte bis hin zur individuellen Ausbildung von Mitarbeitern. Als konkrete Ziele, die mit der Etablierung von Wissensgemeinschaften erreicht werden sollen, lassen sich folgende Punkte nennen:

    • Durch den permanenten persönlichen Kontakt der Mitglieder untereinander wird implizites Wissen verteilt und kann im Unternehmen weiter verbreitet - also explizit - werden.
    • Durch die Unabhängigkeit vom Tagesgeschäft kann die Wissensgemeinschaft schneller auf neueste Entwicklungen reagieren, bzw. sie absorbieren. Dadurch entsteht das Gefühl, an "vorderster Front" dabei zu sein, was zusätzlich die Mitarbeiter motiviert.
    • Wissensgemeinschaften stiften Identität, die auch deren Lebenszeit überdauert und deren Mitglieder weiterhin in Kontakt bleiben lässt.
    • Durch das gemeinsam erworbene Verständnis des Leitthemas, die gemeinsame Präsentation der Ergebnisse und durch die anschließende Reflexion lernen die Mitglieder, was und wie am besten präsentiert wird. Dadurch sind sie besonders geeignet, das neu erworbene Wissen zu verbreiten.

    In obigen Punkten steckt natürlich auch Konfliktpotenzial. So ist darauf zu achten, dass die Mitglieder einer Wissensgemeinschaft sich nicht elitär abkapseln oder umgekehrt vom Rest des Unternehmens als "Spinner" abgetan werden. Auch beim unvermeidlichen Kampf um die Ressourcen müssen sich beide Seiten um einen fairen Austausch bemühen. Die Ergebnisse müssen nicht nur bewusst angenommen werden, sondern die Mitglieder müssen sich ihrerseits ebenso darum bemühen, sie so zu kommunizieren, so dass messbare Ergebnisse sichtbar werden.

    Wissensverlust

    Einmal erworbenes Wissen steht nicht automatisch für die Zukunft zur Verfügung, es bedarf vielmehr gezielter Anstrengungen sowohl einer individuellen, als auch der kollektiven Amnesie entgegen zu steuern. Wissen geht verloren durch:

    • das Ausscheiden von Mitarbeitern
    • Outsourcing
    • interne Umbesetzung
    • Innovationsbarrieren, da in der Auseinandersetzung mit Neuem alte Normen und Erkenntnisse aufgegeben werden müssen.
    • mangelnde Möglichkeiten des Erfahrungsaustauschs
    • fehlende Dokumentation
    • Komplexität des Wissens

    Die Herausforderung bei der Wissensbewahrung liegt in der Identifikation von bewahrungswürdigen Wissensbestandteilen. Nicht jeder Projektbericht, jede Präsentation oder jedes Protokoll lohnt sich zu bewahren. Allerdings sind die Kernbereiche der individuellen und kollektiven Wissensbasis sorgfältig zu selektieren und zu dokumentieren, wobei nach der Regel zu verfahren ist, nur auszuwählen, was für Aussenstehende nutzbar sein könnte. Zu solcher Art der Konservierung von Know-how werden in letzter Zeit immer häufiger Expertensysteme eingesetzt, in denen als Wissensbasis individuelles als auch kollektives Wissen gespeichert ist ("expert assistance").

    Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass sich dafür nur explizites Wissen eignet. Implizites Wissen bedarf eher informeller Netzwerke (von der Kaffeeecke bis zu etablierten, themenbezogenen Arbeitsgruppen), in denen das wertvolle Erfahrungswissen geteilt werden kann. Mit dem Begriff Wissensökologie werden solche und ähnliche Rahmenbedingungen im Unternehmen bezeichnet, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und Offenheit für Wandel durch kooperations- und wissensförderliche Anreizsysteme schaffen.

    Links

    [1]          www.hernstein.at/herns/archiv/3-99/thema/nage.htm
    [2]          v.hbi-stuttgart.de/iim/wissensmanagement/weinhold/
    [3]          www.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/Bausteine/
    [4]          www.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/
    [5]          www.cba.neu.edu/~mzack/articles/kstrat/kstrat.htm
    [6]          www.c-o-k.de/cp/cp_wissensziele1.htm
    [7]          www.c-o-k.de/cp/cp_portale.htm

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