Persönliche Strategien zum Aufbau einer angstfreien wertschätzenden Unternehmenskultur im Wissenszeitalter - Teil 1

    24. November 2004 von Alexandra Wirnshofer

    In seinem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Porwollig, dass "in Deutschland nach Gutsherrenart in den Unternehmen regiert wird." (FAZ, 15.02. 2004) Woher rührt diese allgemeine Angst und Unsicherheit? Welche Wege gibt es für Unternehmen, Vertrauen und Sicherheit wieder herzustellen? Welche Rolle spielt dabei Unternehmenskultur? Und was kann der Einzelne dafür tun? Diese Artikelserie möchte Wege aufzeigen, die jeder einzelne gehen und so seinen Beitrag zum Aufbau einer offenen ehrlichen Unternehmenskultur leisten kann. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass der ehrliche Umgang miteinander entscheidend für ein angstfreies Klima ist.

    Aufbruch in ein neues Zeitalter

     

    Unsicherheit unter Mitarbeitern herrscht, wenn ihnen in einer Email mitgeteilt wird, dass die Zuschüsse zur Betriebsrente von einem Tag auf den anderen gestrichen werden. Risiko und Unsicherheit für den Einzelnen nehmen trotz sozialer Einschnitte zu. Das Vertrauen in Unternehmen und Politik sinkt immer weiter: Nur auf eine Vertrauensquote von 18 % kommen Manager von Großunternehmen in Deutschland, ein ernüchternd geringer Prozentsatz, bei deutlich höheren Werten in unseren Nachbarnländern. Verderben wir Deutschen "vor lauter Skepsis und Ans-Morgen-Denken unsere Zukunft?"[1]

    Die allgemeine Angst, die allgegenwärtig scheint, könnte davon herrühren, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden[2]. Um zu einem besseren Verständnis zu kommen, was das bedeutet, kann der Blick auf vorausgegangene Epochen helfen. Unter einer Epoche versteht man eine Zeitperiode, die überwiegend, aber nicht ausschließlich, durch eine Aktivität geprägt war, wie zum Beispiel Jagen und Sammeln[3]. Das Agrarzeitalter war immer noch durch Jagen und Sammeln geprägt, aber andere Aktivitäten, wie Weizenanbau und andere Landarbeiten, waren in den Vordergrund gerückt. Jede Epoche hatte eigene Wege, um Wert herzustellen und Dinge zu organisieren[4]. Folgende Übersicht zeigt, wie in unterschiedlichen Epochen Wert generiert wurde.

    Historische Epochen

    SPÄT AGRIKULUR

    FRÜHINDUSTRIE

    SPÄT INDUSTRIE

    FRÜHES WISSENS- ZEITALTER

    Ressource, die Wert schafft

    Land

    Arbeit

    Kapital

    Wissen

    Art der Organisation

    Feudal

    Besitzstand

    Steile Hierarchien

    Wissens-Networking

    Zeit

    vor 1780

    1780

    1880

    1980

    Abbildung 1: Wertgenerierung in unterschiedlichen Epochen [5]

    Zwischen jedem Zeitalter traten Diskontinuitäten auf. Beim Übergang zwischen dem Agrar- und dem Industriezeitalter mussten die Menschen alte Handlungsweisen vergessen und neue Annahmen und Einstellungen lernen. Das alte Feudalsystem wurde durch ein neues Rollenverständnis und damit verbundene Verantwortungen ersetzt.

    Um besser zu verstehen, was heute wichtig ist, sollte man an dieser Stelle einen Augenblick überlegen, welche Einstellungen und Werte für das Industriezeitalter maßgeblich waren. Unternehmen konnten mit dem Eiffelturm verglichen werden[6]. Sie waren steil, liefen oben spitz zu und verbreiteten sich nach unten mit verteilten vordefinierten Rollen. Aufgaben wurden wichtiger als Menschen erachtet und wurden in einzelne Schritte herunter gebrochen, die wiederum von einer Person ausgeführt wurden. Der Vorgesetzte, weiter oben in der Hierarchie, überwachte die Ausführung. Effizienz, Planung, Management, Produktivität, Kontrolle, Wettbewerb und Verpflichtung waren Werte, die in dieser Epoche zählten. Die unterschwellige Annahme war, dass der Mensch faul ist, Verantwortung scheut und kontrolliert werden muss. So bezeichnete man Menschen, wie Geld oder Boden, auch als "Ressourcen", die ebenso wie Maschinen geplant werden können. Noch heute ist der Ausdruck Human Resources in Unternehmen weit verbreitet.

    Die neue Ressource

    Anfang der 1980er Jahre dämmerte wieder eine neue Epoche herauf, das Wissenszeitalter. Die neue wertsteigernde Ressource ist Wissen, aber nicht nur angehäufte Information, sondern "auch unsere menschliche Fähigkeit, neue Muster zu erkennen und sie mit den alten Erfahrungen, die wir in uns haben, zu verknüpfen."[7] Neue Ideen und Konzepte, Eindrücke und Intuitionen müssen sich herausbilden und dementsprechend alte Verhaltensweisen verlernt werden. Lernen, Verlernen, Interpretieren und Verknüpfen sind komplexe Prozesse, die entscheidend in der neuen Epoche sind.

    Zu einem besseren Verständnis sollten wir uns vor Augen führen, wie Wissen beschaffen ist. Wissen unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von tangiblen Gütern. Es ist verborgen und personengebunden. Nur wenn es gelingt, es Außenstehenden zugänglich zu machen, wird es sichtbar und kann von seinem Wissensträger gelöst werden. Aber Wissen ist wertlos ohne Kontext und erfordert die ganzheitlichen Fähigkeiten von Personen, die es interpretieren, in einem Kontext anwenden und in Handlungen umsetzen. Ohne zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Einfühlungs- und Zuhörungsvermögen, Gegenwärtigkeitssein und Teamfähigkeit wird man sich schwer tun, eine Atmosphäre herzustellen, die zum Wissensaustausch einlädt.

    Eine andere Besonderheit von Wissen ist, dass es veraltet, wenn man sich nicht austauscht. Das hat damit zu tun, dass die Halbwertzeit von Wissen immer weiter abnimmt. Wissen wird immer schneller generiert: Während es noch 300 Jahre brauchte, um alle Information nach der Erfindung des Buchdruckes zu verdoppeln, braucht es heute weniger als fünf Jahre[8]. Wissen ist, im Gegensatz zu natürlichen Ressourcen, nicht knapp. Es kann Leute immer wieder inspirieren, ohne etwas an Substanz zu verlieren. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Wissensgenerierung und Wissensmanagement, die beide sehr stark von Zusammenarbeit leben, die Weise, wie Dinge organisiert werden, verändern werden [9].

    Neue Herausforderungen

    Wir müssen also Werte und Verhaltensweisen lernen, die uns für das Wissenszeitalter vorbereiten. Da "wir immer noch unter Bann der Werte des Industriezeitalters sind."[10] Wir wurden im Industriezeitalter geboren und haben nun Angst vor der Zukunft. Dies würde unseren fehlenden Bezugpunkt erklären. Komplexität und Informationsfülle, ja sogar Informationsüberfluss, sind die Herausforderungen, vor die wir nun gestellt sind: Die Summe an Informationen hat in den letzten Jahren zugenommen. In den westlichen Industrienationen hat der Wert in Wissen in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen: Den Preis, den wir heute für ein Auto bezahlen, liegt weniger in dem verwendeten Metall oder den anderen Rohstoffen begründet, sondern in seinen IT Systemen.[11].

    Um diese Herausforderungen zu meistern, müssen wir interdisziplinär denken, unser lineares Denken in ein ganzheitliches führen. Es ist klar, dass alte Ansätze, Daten zu verarbeiten, heute nicht mehr aktuell sind. Es ist so einfach, sich ans Internet anzuschließen und von Informationen gerade zu überschwemmt zu werden. Aber die kritische Frage ist: wie kann man wertvolle Informationen herausfiltern? Man braucht also neue Fähigkeiten, um Muster im Überfluss von Informationen zu sehen und sie in einen großen Gesamtzusammenhang zu bringen. Nur Menschen haben diese Fähigkeiten und werden somit im Zentrum der Wissensökonomie sein. Wir brauchen ganz bestimmte Fähigkeiten, um vertrauensvolle langfristige Beziehungen aufzubauen. Dies ist der Rahmen, in dem Wissensaustausch wirklich stattfindet. Wenn man etwas wissen will, wendet man sich an eine Person, von der man meint, dass sie über dieses Know-how verfügt. Es findet also eine bewusste Selektion von Wissenskanälen statt, die sich wieder komplexitätsreduzierend auswirkt. Wie aber gehen unterschiedliche Kulturen mit Komplexität und Unsicherheit um?

    Komplexität, Unsicherheit und die Rolle von Kultur

    Vorwiegend ist es kulturell bedingt, wie wir mit Unsicherheit umgehen. Unsicherheit wurde eine von Hofstedes Kulturdimensionen. Uncertainty Avoidance ist definiert als die Unerträglichkeit von zwiespältigen Situationen und drückt sich in Unternehmen durch Regeln und Rollenverteilung, Planung und Kontrolle aus. "Regeln sind die Art und Weise wie Unternehmen mit interner Unsicherheit, die durch die Unberechenbarkeit des Verhaltens der Mitglieder und Stakeholder, herrührt umgehen."[12] Infolgedessen führen enge Regeln oft zu Bürokratie und Hierarchie. Die meisten westlichen Kulturen fühlen sich mit Unsicherheit nicht wohl. Zweifellos hat diese kulturelle Eigenheit dazu geführt, dass wir verlernt haben, intelligente Fragen zu stellen. Wie könnte ein Lehrer zugeben, dass er die Antwort auf eine Frage nicht weiß und seine Unsicherheit verrät. Diese ehrliche Antwort könnte eine Schwäche sein und Angriffsflächen bieten. Vor seinen Schülern verliert er so an Ansehen. In vielen Familien lernen Kinder von ihren Eltern, dass es unhöflich ist, zu viele Fragen zu stellen.

    Viele Leute glauben, je mehr sie wissen, desto mehr Macht haben sie und umso wertvoller sind sie für das Unternehmen. Diese Einstellung geht auf unser Schulsystem zurück, das dafür ausgelegt ist, Heranwachsende für Aufgaben und Jobs des Industriealters auszubilden. Die PISA-Studie kritisiert ebenfalls, dass Deutschland nur nach Bedarf ausbildet und Fachkompetenzen vermittelt, anstatt Zukunftsqualifikationen zu fördern. Schüler lernen in der Schule, Informationen unter Zeitdruck zu reproduzieren, Transferleistung ist weder gefragt noch gewünscht ebenso wenig wie eigenständiges Denken und Teamarbeit. Gerade diese Fähigkeiten sind in der Wissensökonomie entscheidend.

    Hofstede stellte in seinen Kultur-Forschungstudien fest, dass Kinder aus westlichen Industrienationen schon in ihrer Kindheit gelernt haben, "Ich" zu sagen und sich sehr stark über ihre individuelle Leistung definieren[13]. Im Klassenzimmer werden sie für ihre individuellen Leistungen belohnt. Dieser Wettbewerb wird am Arbeitsplatz fortgesetzt und mündet schließlich in ein Misstrauensklima. Zudem verstärken fehlende Anreize, Wissen zu teilen, das Horten von Wissen. Es liegt auf der Hand, dass es zu Kommunikationsproblemen zwischen Nordeuropäern und Leuten aus Südeuropa oder Lateinamerika kommt. Sie sehen in ihren Unternehmen eine Art Großfamilie; das Wohl der Gemeinschaft prägt ihr Handeln. Kommunikationsprobleme zwischen den Parteien verstärken die Schwierigkeiten beim Wissensaustausch. Dazu tut die schwierige Lage am Arbeitsmarkt ein Übriges, dass man versucht, sich durch Wissen unentbehrlich zu machen und seinen Arbeitsplatz zu sichern. Man vermeidet also, Unsicherheit zuzugeben. So entsteht in vielen Unternehmen ein Misstrauensklima, was die Zusammenarbeit in internationalen Teams, die in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird, noch schwieriger machen wird und das Management sowie Mitarbeiter vor neuen Herausforderungen stellen wird.

    Dabei ist ein Zeichen der Stärke, Unsicherheit zugeben zu können und sich Rat bei anderen zu holen. Wenn Führungskräfte über diese Fähigkeit verfügen, bringen sie Kommunikation zwischen Gleichen voran. Das Bild, dass man auf alle Fragen eine Antwort hat, ist kulturell bedingt. Im Gegenteil, Unsicherheit kann sehr bereichernd sein, weil sie die Kreativität von anderen anregt. Was der eine nicht weiß, kann für den anderen sein Spezialgebiet sein. So kann einer sein Talent üben und dem anderen helfen, seine Unsicherheit abzubauen. Ja, er wird sogar das tiefe Bedürfnis haben, den anderen mit seinem Wissen zu helfen und Ängste abzubauen und somit beizutragen zu einer Atmosphäre, die von Vertrauen geprägt ist, beide Gesprächpartner gleichwertig sind und das Wissen der Führungskraft nicht höher bewertet wird. Außerdem ist es wichtig, dass wir unterschiedliche Perspektiven einnehmen können. Dies ermöglicht erst einen Sachverhalt aus einer anderen Perspektive zu sehen und größere Zusammenhänge besser erkennen zu können. Teammitglieder können sich gegenseitig helfen, die komplexe Realität zu verstehen. Teamarbeit ist in dieser Hinsicht vor allem erfolgreich, wenn sich Teams selbst organisieren. Jeder nimmt die Aufgabe wahr, die am besten seinen Talenten entspricht [14]. Jeder hat andere Fähigkeiten, die sich gegenseitig ergänzen.

    Des Weiteren hat die Zunahme an Information dazu geführt, dass man die Realität nur bruchstückhaft wahrnimmt. Unternehmen haben auch nur lückenhafte Vorstellungen über ihre Zukunft, was sich beispielsweise in kurzfristigen Strategien äußert. Aber Menschen suchen einen Sinn, indem was sie tun, und möchten den Gesamtzusammenhang verstehen. Dementsprechend haben sich auch die Erwartungen von Kunden an das Unternehmen verändert: sie wünschen sich, dass Unternehmen die Marktkomplexität reduzieren und einen Überblick über die erhältlichen Produkte und Services geben. Außerdem möchten Kunden von Unternehmen etwas lernen und ihre Fähigkeiten verfeinern[15].

    Es wird nicht mehr damit getan sein, sich nur auf Zufriedenheit zu konzentrieren. Führungsstil und Unternehmenskultur werden eine ganz neue Bedeutung zukommen, Menschen zu helfen, das große Ganze zu sehen und Mitarbeiter wirklich Wert zu schätzen. Wir werden auf Unternehmenskultur im nächsten Teil eingehen.

    Fußnoten

    [1]Wübenhorst, K. (2004), in FAS, 24.10.2004, S.37
    [2]Savage, C. (1996); Logan, R. & Stokes, L. (2004), Drucker, P: (1990), etc.
    [3]Logan, R.& Stokes, L. (2004), S. 57
    [4]Savage, C. (1996), S. 119
    [5] Savage, C. (1996), S. 119
    [6] Trompenaars, F. & Hamden-Turner, C. (1997), SS. 166 ff
    [7] Savage, C. (1996), S. 120
    [8] Probst, G. et al (1998), S. 21
    [9] Logan, R. & Stokes, L. (2004), S. 57
    [10] Savage, C. (1996), S. 119
    [11] Allee, V. (1997), S. 3
    [12] Hofstede, G. (2001), S. 147
    [13] Hofstede, G. (2001), S. 234 f.
    [14] Ranft, C. (2004), S. 51
    [15] Saint-Onge, H. & Wallace, D. (2003), S. 8

    Literatur

    Allee, V. (1997), The knowledge evolution - expanding organization intelligence, Butterworth-Heinemann, Newton.
    Hofstede, G. (2001), Culture’s consequences - comparing values, behaviours, institutions and organizations across nations, Sage Publications, London.
    Logan, R.K. & Stokes, L. W. (2004), Collaborate to compete: driving profitability in the knowledge era, Wiley, Canada.
    Porwollig, U. (2002), Wie wichtig ist Humankapital? Motivation ist derzeit in Deutschland nicht en vogue, in Welt am Sonntag, 15. Februar 2004.
    Probst, G., Raub S. & Romhardt, K. (1998), Wissen managen: wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen, Frankfurter Allg., Frankfurt a. Main; Gabler, Wiesbaden.
    Ranft, C. (2004), Wir gestalten Zukunft - Die Unternehmenskultur von Baker Hughes. Baker Huges, Celle.
    Saint-Onge, H. & Wallace, D. (2003), Leveraging communities of practice for strategic advantage, Butterworth-Heinemann, Burlington.
    Trompenaars, F. & Hamden-Turner, C. (1997), Riding the waves of culture: understanding cultural diversity in business, Nicholas Brealey Publishing, London.
    Savage, C. M. (1996), Fifth generation management: co-creating through virtual enterprising, dynamic teaming and knowledge networking, Butterworth-Heinemann, Woburn.
    Wübbenhorst, K. (2004), Ein Arbeitsloser macht 150 Leuten Angst, in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24. Oktober 2004, Nr. 43, S. 37

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