Persönliche Strategien zum Aufbau einer angstfreien wertschätzenden Unternehmenskultur im Wissenszeitalter - Teil 2

    28. Januar 2005 von Alexandra Wirnshofer

    In seinem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Porwollig, dass "in Deutschland nach Gutsherrenart in den Unternehmen regiert wird." (FAZ, 15.02. 2004) Woher rührt diese allgemeine Angst und Unsicherheit? Welche Wege gibt es für Unternehmen, Vertrauen und Sicherheit wieder herzustellen? Welche Rolle spielt dabei Unternehmenskultur? Und was kann der Einzelne dafür tun? Diese Artikelserie möchte Wege aufzeigen, die jeder einzelne gehen und so seinen Beitrag zum Aufbau einer offenen ehrlichen Unternehmenskultur leisten kann. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass der ehrliche Umgang miteinander entscheidend für ein angstfreies Klima ist.

    Das Phänomen Unternehmenskultur

    Wie wir gesehen haben, herrscht in vielen Unternehmen eine Kultur der Unsicherheit, ja sogar des Misstrauens vor. Also sollte es wünschenswert sein, die Kultur zu verändern, um für die Herausforderungen der Wissensökonomie besser gewappnet zu sein. Bevor wir der Frage nachgehen, ob und wie man eine Unternehmenskultur verändern kann, sollten wir kurz innehalten und überlegen, was Unternehmenskultur ist.

    Das Wort "Kultur" kommt von dem Lateinischen Verb "colere" und bedeutet bebauen, pflegen, ehren. Diese Bedeutung hat sich über den Lauf der Zeit verändert: Heute versteht man unter Kultur "das Üben und das Verfeinern des Geistes, der Umgangsformen und des Geschmackes." [1] Aber die Bedeutung von Kultur ist noch viel weit reichender. Killmann (1985) definiert Kultur als die geteilten Werte und Verhaltensweise, die eine Gemeinschaft zusammen halten. Kultur ist so etwas wie die Regeln in einem Spiel. Ein anderer Pionier auf diesem Gebiet ist Hofstede, der Kultur mit "der Software des Gehirns" vergleicht. Er arbeitete noch weiter an seiner Definition. "Kultur ist die gemeinschaftliche Programmierung des Gehirns, das die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von einer anderen unterscheidet." [2] Er vergleicht Kultur mit einer Zwiebel mit ihren verschieden Schichten und Schalen. Die innerste Schicht - die Werte - ist unsichtbar und manifestiert sich in Riten. Werte sind die unsichtbaren Komponenten von Kultur, ohne die Kultur nicht existieren würde.

    Abbildung 1: Das Zwiebel-Modell

    Abbildung 1: Das Zwiebel-Modell [3]

    Unternehmenskultur ist die Kultur in einer Organisation. Es gibt keine Standarddefinition von Unternehmenskultur. Unternehmen unterscheiden sich immer in ihrer Kultur. Es scheint so viele Definitionen zu geben, wie Autoren, die sich mit dem Thema beschäftigen. Das einzige, worauf sich die unterschiedlichen Autoren festlegen können, ist, dass es keine einheitliche Begriffsdefinition gibt. Sackmann (1991) schlägt vor, dass Unternehmenskultur als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Sichtweisen in Bezug auf das Thema dient.

    Eine Gedankenschule, vor allem repräsentiert durch Schein, vertritt die Meinung, dass Unternehmenskultur die gesamte Summe aus Glauben, Wissen, Einstellungen, Vorstellungen, Wertesystemen und Verhaltensmustern umfasst. Zur Veranschaulichung sei das an einem Eisberg illustriert. "Artifakte, Rituale, Logos und Marken sind sichtbar, aber Elemente wie Werte, Normen und Verhaltensmuster sind unsichtbar. Um die sichtbaren Dinge wirklich zu verstehen, muss man tiefer graben, um die Zusammenhänge zu erkennen. Unternehmenskultur kann ganzheitlich nur durch Beziehungsgeflechte wirklich verstanden werden." [4] Schein teilt Unternehmenskultur in drei Schichten ein: Artifakte, Verhaltensnormen und zentrale Werte, Core Values. Diese enthalten oft wertvolles Wissen, das auf die Unternehmensgründer zurückgeht, und gemeinsame Geschichten, die Aufschluss geben können, wie in der Vergangenheit Erfolge erzielt wurden. Kotter und Heskett (1992) raten, sich Unternehmenskultur in zwei Dimensionen vorzustellen, die sich in ihrer Sichtbarkeit und dem Widerstand Veränderungen gegenüber unterscheiden: Auf der tieferen, unsichtbareren Ebene bezieht sich Kultur auf Werte, die von einer Gruppe geteilt werden und über lange Zeit existieren, auch wenn sich die personelle Zusammensetzung ändert. Die Ebene, die weiter an der Oberfläche ist, manifestiert sich in Verhaltensweisen oder Führungsstil. Neue Kollegen möchten auch zu dieser Gemeinschaft gehören und imitieren in Folge dessen bestimmte vorgelebte Verhaltensweisen. Diese können sich relativ schnell ändern: unerwünschtes Verhalten wird sanktioniert [5].

    Abbildung 2: Eisberg-Modell

    Abbildung 2: Eisberg-Modell [6]

    Unternehmenskultur besteht nicht nur aus den individuellen Einstellungen und Verhaltensmustern der Mitarbeiter, sondern auch aus Normen und Regeln, aus denen Ziele abgeleitet werden. In dieser Hinsicht wirkt Unternehmenskultur komplexitätsreduzierend. [7] Kasper (1997) geht sogar noch einen Schritt weiter und unterstreicht die Wichtigkeit von Unternehmenskultur für effiziente und klare Kommunikation, der Reduktion von Unsicherheit und der Unterstützung von Managemententscheiden. Sie hält die einzelnen Teile zusammen und ein vermittelt Zusammengehörigkeitsgefühl [8]. Diese Faktoren sind von Unternehmen zu Unternehmen verschieden und, aus diesem Grunde, sind Unternehmenskulturen nie identisch.

    Kann man überhaupt von der Kultur in einem Unternehmen sprechen? Oder bestehen Organisationen aus Subkulturen, die sich aus bestimmten Arbeitsgruppen herausgebildet haben? Kann eine einheitliche Unternehmenskultur auf verschiedene Unterkulturen heruntergebrochen werden? Heskett und Kotter greifen den Gedanken auf, dass es sogar rivalisierende Subkulturen gibt [9]. Gibt es also eine Verbindung zwischen individueller mentaler Struktur und der Unternehmenskultur? Hier soll auf einen anderen wichtigen Zusammenhang hingewiesen werden: "Einblick in die Rolle von Einzelnen ist deshalb wichtig, um die Anwesenheit und Stärke von Subkulturen abzuschätzen und ihren Einfluss auf die Unternehmenskultur zu messen." [10] Unternehmenskultur wird nämlich durch den Einzelnen zum Leben erweckt. Mitarbeiter in verschiedenen Unternehmen bestätigen, dass es in der Tat verschiedene Subkulturen in einem Unternehmen gibt wie es oft der Fall in Entwicklungs- und Marketing-Abteilungen ist. Der Artikel folgt der Auffassung, dass es mehrere Subkulturen in einem Unternehmen gibt. Das ist gemeint, wenn im Folgenden von Unternehmenskultur die Rede ist.

    Möglichkeiten und Grenzen Unternehmenskultur zu verändern

    Kann Unternehmenskultur überhaupt verändert werden und wenn ja, in welchem Ausmaß? Was ist die Rolle von Führungskräften, die Unternehmenskultur zu verändern? Und was können Führungskräfte tun, um eine wertschätzende Unternehmenskultur aufzubauen?

    In der Literatur gibt es wiederum verschiedene Ansätze. Autoren wie Deal & Kennedy (1982) und Peters & Waterman (1982) sehen Unternehmenskultur als Eigenschaften der Organisation - etwas, das Unternehmen haben. Deshalb kann Unternehmenskultur ihrer Meinung nach sehr leicht verändert werden. Dieser eher optimistischen Sichtweise schlossen sich Unternehmensberater an. Es gibt auch eine gegensätzliche Perspektive, die Unternehmen so behandelt als wären sie Kulturen. Schein (1986) argumentiert, dass Kultur nur auf der tiefsten Ebene der Werte existiert. Und da es sehr schwierig ist, Kultur auf der tiefsten Ebene zu steuern, steht er Kulturmanagement und Veränderung ziemlich pessimistisch gegenüber. Für ihn steht weniger die Veränderung im Vordergrund, sondern er konzentriert sich mehr darauf, die Handlungen zu verstehen, die im Unternehmensumfeld stattfinden. Killmann (1985) & Schein heben beide den dauerhaften stabilen Charakter von Kultur hervor; als eine Konsequenz ereignet sich Veränderung nur langsam.

    Für Meek ist die Unmöglichkeit, Kultur zu verändern offensichtlich, weil Kulturen das Ergebnis von sozialen Beziehungen über eine lange Zeit sind [11]. Sie sieht Führungskräfte als Teil dieses Prozesses und nicht etwa als Gestalter von Kulturen. Im Gegenteil, Führungskräfte als Teil der hochkomplexen Beziehungen in einem Unternehmen spiegeln die Kultur wieder, in der sie arbeiten. Insgesamt gesehen, wird nach Meek der Einfluss den Manager darauf haben, die Kultur zu gestalten, allgemein überbewertet

    Unternehmensberater unterschätzen möglicherweise die komplexe Realität von Kultur und menschlichen Beziehungen. Der Artikel folgt einer gemäßigten Sicht, die in der Mitte liegt: Unternehmenskultur verändert sich in gewissen Maßen; Führungskräfte können diesen Prozess unterstützen: Führungsstil scheint einen großen Einfluss auf die Veränderung der Unternehmenskultur zu haben. Eine Veränderung der Unternehmensspitze hat enorme Auswirkungen darauf, wie sich das Unternehmen selbst sieht. Werte und Verhaltensweisen verändern sich schnell, wenn ein neuer CEO an Bord kommt. Allerdings lässt sich auch beobachten, dass insbesondere die Unternehmensgründer oft lang anhaltende unbewusste Werte schufen. Sie haben einen großen Einfluss auf die Vision, Geschäftsstrategie und Philosophie [12].

    Allerdings sollte man nicht außer Acht lassen, welchen Einfluss Einzelne und vor allem die hochkomplexen Beziehungen, die sie eingehen, auf die Unternehmenskultur haben. In anderen Worten: die mentale Struktur in den Köpfen der Mitarbeiter spiegelt sich auch in der Unternehmenskultur wieder: Werte, Einstellungen, persönliche Erfahrungen und Wissen beeinflussen menschliches Verhalten und damit auch die Beziehungen, die entstehen. Mitarbeiter haben die Unternehmenskultur als Teil ihrer eigenen inneren Kultur aufgenommen [13] und werden dementsprechend von ihr beeinflusst. Gerade wegen dieser Komplexität kann Kultur-Management problematisch sein.

    Um auf die Frage nach der Veränderbarkeit der Unternehmenskultur zurückzukommen, hängt die Antwort in erster Linie von der Definition und dem Ansatz für Unternehmenskultur ab, den man wählt. Je nach Auffassung bezüglich dieses Themas ergeben sich also unterschiedliche Sichtweisen für die Veränderbarkeit von Kulturen.

    Kulturen können sehr stabil über die Zeit sein, aber sie sind niemals statisch. Krisen zwingen Kulturen manchmal, einige ihrer Werte und Riten zu überdenken. Neue Herausforderungen können dazu führen, dass Dinge anders als zuvor getan werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Siemens AG. Über Jahrzehnte hinweg konnte das Unternehmen mit einer Behörde konkurrieren. Aber die Entwicklungen in den 90er Jahren zwangen das Unternehmen zu einem radikalen Umdenken. Profit Center Denken beispielsweise ist nur ein Beweis für neues Denken und damit für eine veränderte Unternehmenskultur.

    Personalfluktuation von Managementnachwuchs, die Integration neuer Kollegen, die Diversifikation in neue Geschäftsbereiche und geographische Ausbreitung sind Faktoren, die Unternehmenskultur schwächen oder verändern können [14]. Dauerhafte Führung, stabile Gruppenzusammengehörigkeit, kleine Gruppengröße und Unternehmenserfolg tragen dazu bei, dass sich starke Unternehmenskulturen herausbilden. Ob starke Unternehmenskulturen per se positiv oder negativ zu sehen sind, würde über das Thema des Artikels hinausgehen.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es einige Schichten von Kultur gibt, die sich managen und verändern lassen, aber dies sehr zeitintensiv ist. Die Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor und lässt sich nur schwer abschätzen. Es ist sogar möglich, Kultur auf der tiefsten Ebene zu verändern, auf der Ebene der Werte. Aber man muss Werte mehr im Zusammenhang mit Menschen sehen, die die Möglichkeit haben, sie zu reflektieren und zu verändern. Wenn die Mitglieder einer Organisation ihre Werte zusammen reflektieren und verändern, kann sich eine Unternehmenskultur nachhaltig ändern. Vielleicht ist es sogar die Hauptaufgabe des Managements, Mitarbeiter und Kollegen in diesem Veränderungsprozess zu unterstützen. Ogbanna bemerkt, dass Führungskräfte oft die Bedeutung von Kommunikation im Veränderungsprozess unterschätzen und vergessen, die neuen Werte vorzuleben [15]. Für einen wichtigen Schritt, die Kultur in eine wertschätzende Kultur zu verändern, können Führungskräfte persönlichen Werten und Einstellungen eine höhere Priorität im Auswahlprozess von neuen Mitarbeitern zukommen lassen. Das trägt dazu bei, den Fokus mehr auf Menschen zu richten. Dies ist eine große Verantwortung, denn Führungskräfte werden die Wichtigkeit von menschlichen Werten wie Respekt, Verständnis und Mitgefühl in der Wissensökonomie erkennen. Letztendlich kann sich ein Unternehmen nur in dem Maße verändern, wie seine Mitglieder dazu bereit sind. Dies setzt Selbstreflexion voraus, auf die ich im nächsten Abschnitt eingehe.

    Die Herausforderung, sich auf individueller und auf Unternehmensebene zu verändern und die Rolle von Selbstreflexion

    Reflexion erscheint als notwendige Voraussetzung für innere Veränderung. "Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir Phasen des Zweifelns haben, Momente des Innehaltens. Die Zweifel sind notwendig und gut, denn sie führen uns zur Selbstreflexion über unsere Handlungen und ermöglichen somit Richtungskorrekturen, Fehlervermeidungen oder neue Positionierungen." [16] Für viele Leute kommen Veränderungen zu plötzlich und machen ihnen Angst. Das kommt aber daher, dass sie sich damit vorher nicht auseinander gesetzt und dies durchdacht haben. Bereitschaft sich zu verändern setzt eine gewisse neugierige Einstellung voraus und den Willen, Neues zu lernen. Veränderung tritt dabei nicht abrupt ein, sondern ereignet sich kontinuierlich. Man wägt ständig ab und trifft Entscheidungen; man macht viele Erfahrungen und erweitert seinen Horizont. Dies bedeutet aber nichts anderes als kontinuierliches Lernen. Es ist anzunehmen, dass ein Unternehmen, das mehr Mitglieder hat, die Veränderungen aufgeschlossen gegenüber stehen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber einem anderen Unternehmen errringt, bei dem dies weniger der Fall ist. So entwickelt sich ein Unternehmen zu einem lernenden Unternehmen; die Absicht, sich dorthin zu entwickeln, treibt organisationale Veränderung.

    Lernen bedeutet in erster Linie auch, neugierig zu sein und sein Gegenüber zu achten. Am besten lernt man von einander. Dafür müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jeder muss die Verantwortung annehmen - für einige ist es sogar eine Herausforderung - kontinuierlich an den Rahmenbedingungen für ein lernendes Unternehmen zu arbeiten: "Die Fähigkeit, schneller zu lernen als die anderen stellt einen Wert dar und wird vielleicht der einzig nachhaltige Wettbewerbsvorteil sein." [17] In diesem Zusammenhang spricht man von einer Lernkultur, die eine gewisse Reife der Kultur voraussetzt, die von der persönlichen Bereitschaft und Einstellung zu lernen und sich zu verändern, abhängt. Wie weiter oben schon angedeutet, kann das Management sicherlich den Veränderungsprozess unterstützen. Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Lernen dürfen sich nicht nur auf eine Ebene oder Abteilung beschränken, sondern müssen auf allen Ebenen des Unternehmens stattfinden. Der letzte Teil des Artikel geht auf konkrete Strategien ein, die jeder einzelne anwenden kann, um seinen Beitrag zum Aufbau einer wertschätzenden Wissensökonomie im Wissenszeitalter zu leisten.

    Fußnoten

    [1]Websters new Twentieth Century Dictionary in Hofstede, G. (2001), P. 10
    [2]Hofstede, G. (2001), S. 9
    [3]Hostede G., S. 11
    [4]Schein, E. (1986), S. 4
    [5]Kotter, J. & Heskett, J. (1992), S. 4
    [6]eigene Darstellung
    [7]Beyer, H. et al (1995), S. 9ff.
    [8]Kasper, H. (1997), S. 14
    [9]Kotter, J. & Heskett, J. (1992), S. 6
    [10]Hendriks, P. (2004), S. 14
    [11]Meek, V.L. (1982), S. 192
    [12]Kotter, J. & Heskett, J. (1992), S. 6
    [13]Saint-Onge, H. & Wallace, D. (2003), S. 5
    [14]Heskett, P. & Heskett, J. (1992), S. 7
    [15]Ogbanna, E. (1992), S. 74
    [16]Ranft, C. (2004), S. 42
    [17]De Geuss (1998), in Skerlavaj, M. (2004), S. 1

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