Kommunikation aus buddhistischer Perspektive - Ansätze des Zen-Meisters Thich Nhât Hanh

    15. Juli 2004 von Dr. Kai Romhardt

    Das Thema "Kommunikation" ist ein weites Feld, in dem sich schon so mancher verloren hat. Zen-Meister Thich Nhât Hanh [1] bietet uns vielfältige Inspiration zu diesem Thema an und ist dabei herrlich konkret. In vielem fordert seine Lehre klassische Kommunikationstheorien und -modelle heraus. In der folgenden Darstellung werden ausgewählte Aspekte von Kommunikation kurz ausgeführt und mit Aussagen aktueller Dharmatalks [2] von Thich Nhât Hanh (kursiv gesetzt) garniert.

    1. Kommunikation mit mir selbst

    Die Basis für eine harmonische, friedliche und liebevolle Kommunikation mit anderen, legen wir in der Kommunikation mit uns selbst. Und anders herum. "Wenn du einer anderen Person nicht zuhören kannst, wie kannst du dann dir selbst zuhören?" Wir müssen uns nur ruhig hinsetzen und dem inneren Dialog lauschen. Welche "Namen" geben wir uns selber? Wie be- und verurteilen wir andere? Wie sehr sind wir in unserem inneren Dialog verstrickt? Tiefes Zuhören ermöglicht es, die Resonanz der Aussagen anderer in uns zu hören und zu verstehen. Kommunikation vertieft sich und die Grenzen zwischen mir und dem Anderen werden fließender.

    2. Kommunikation als Transmission

    Wie wird das Unkommunizierbare kommuniziert? Indem wir regelmäßig mit einer Person zusammen sind, werden wir mehr und mehr eins mit dieser Person. "Der Vater hat nichts weniger als sich selbst an seinen Sohn übertragen." Thich Nhât Hanh spricht immer wieder von der Leerheit der Transmission, in der Sendender, Empfangener und Objekt der Übertragung eins sind. Ähnlich ist das Prinzip der "Impregnierung" oder "Parfümierung" zu verstehen, das Thich Nhât Hanh während eines aktuellen Retreats [3] zum Grundprinzip der buddhistischen Pädagogik erhoben hat. Will man Lotustee herstellen, streut man gegen Abend grünen Tee in einen sich langsam schließenden Lotus. Über Nacht penetriert der Lotusgeruch den Tee. Buddhistische Lehrer behandeln ihre Schüler ähnlich, in dem sie ein günstiges Umfeld schaffen, in dem die Schüler permanent von heilsamen Einflüssen in Form von geteilter Praxis, Gesängen oder positiven Vorbildern umgeben sind. So wird sanft übertragen und nicht mühevoll gelernt.

    3. Kommunikation mit anderen

    Thich Nhât Hanh versucht uns immer wieder für unsere Kommunikationsgewohnheiten mit unserem Umfeld zu sensibilisieren. In jedem Kontakt empfiehlt er den folgenden Dreiklang als Leitlinie: (1) Liebevolles Schauen (Augen), (2) tiefes Zuhören (Ohren), (3) liebevolles Sprechen (Stimme). Einige weitere Aussagen:

    "Du möchtest den Menschen um dich herum kein Leid zufügen, aber weil du leidest, strahlst du dein Leiden durch deine Worte, die Art deiner Bewegungen und deiner Blicke in allen Richtungen aus."
    "Du hast das Recht wütend zu sein, aber (als Praktizierender) hast du nicht das Recht nicht zu praktizieren."
    "Schaust du mit mitfühlenden Augen? Stelle dir vor deine Tochter stirbt plötzlich, wie hast du sie zuletzt angeschaut? Mit Hass? Mit Verachtung? Das ist die totale Niederlage."
    "Auch eine Person im Koma nimmt noch mit dem Speicherbewußtsein wahr. Liebevolles Reden hat seine Wirkung. Das sollten wir wissen, wenn wir am Krankenbett eines geliebten Menschen stehen."

    4. Kommunikation und Karma

    Wir kommunizieren nicht nur mit unserer Sprache. Auch unsere Gedanken und körperlichen Aktionen senden deutliche Signale an unser Umfeld. "In jedem Moment gehen unsere Ideen, Worte und Aktionen in zehn Richtungen. Sie gehen ihren Weg und schaffen Leiden oder Glück." Wer Wind sät wird Sturm ernten. Das Gesetz des Karma lehrt, das wir heute die Ursachen für alles Spätere legen. Die Frage lautet nicht, was nach meinem Tod geschieht, sondern: "Wo gehe ich jetzt im gegenwärtigen Moment gerade hin?" In welche Richtung führt mich dieser Satz, dieser Gesichtsausdruck, dieser Gedanke. Noch die kleinste Kommunikation hat eine unmittelbare Wirkung auf uns. Noch der kleinste feindliche Gedanke verspannt den Körper minimal und färbt unsere Stimme ein. Die drei Felder der Aktion sind nicht voneinander zu trennen. In unserem Kommunikationsverhalten können wir nicht das eine dem anderen unterordnen. "Der Zweck heiligt nicht die Mittel."

    5. Kommunikationspraktiken

    Thich Nhât Hanh lehrt vielfältige Wege unsere Kommunikation mit uns selbst und anderen zu verbessern. Die bekanntesten sind vielleicht Dharmadiskussion und "Beginning Anew". Genau betrachtet beinhaltet jede der Plum Village Praktiken vielfältige Kommunikationsaspekte. Hier einige Beispiele:

    • Verbeugen: Kommunikation von Respekt gegenüber mir und meinem Gegenüber
    • "Shining Light": Liebevolles Feedback der Sangha [4] für einen Einzelnen in Form eines Briefes der Stärken und Schwächen seiner Praxis auflistet
    • "Erdberührungen": Kommunikation/Kontaktaufnahme mit meinen spirituellen, familiären und landsmannschaftlichenWurzeln
    • Organisationsmeeting: Einübung eines auf Konsens zielenden Kommunikationsstils, der Aggressivität, Manipulation, Exklusion etc. vermeidet
    • Liebesbriefe an "schwierige Personen" in unserem Leben: (Wiederer)Öffnung der Kommunikation mit Menschen, mit denen wir Schwierigkeiten haben

    6. Kommunikationsstrategie

    In vielen Dharmatalks zeigt uns Thich Nhât Hanh, wie geschickt der Buddha kommunizieren konnte. Aus dem tiefen Verständnis des Leidens und der Interessen seiner Zuhörerschaft, leitete sich seine Botschaft, sein Kommunikationsstil ab. Diese Flexibilität im Lehren, diese Offenheit für sein Umfeld erhöhte die Wirkungskraft seiner Lehrreden enorm. Was für die eine Gruppe richtig war, war für eine andere nicht stimmig. Thich Nhât Hanh fordert uns auf, ähnlich vorzugehen. "Verschrecke deine Freunde nicht mit deiner Praxis [5] . Praktiziere Nicht-Praxis." Das Widerkäuen von Dharmawissen ist nicht ausreichend. Es geht darum, den Buddhismus der vorherrschenden Kultur anzupassen ohne seine Substanz zu opfern. Eine Sprache, die buddhistische Ideen und Fachwörter vermeidet, mag in vielen Situationen, in denen wir mit anderen kommunizieren, die angemessene sein.

    7. Kommunikation und Konflikt

    "Jeder Schritt ist Frieden." Jedes Wort ist Frieden. Jeder Gedanke auch. Wenn unsere Worte dies ausstrahlen werden wir viele Konflikte vermeiden oder mildern können. "Es braucht zwei Hände, um einen Stift zu zerbrechen. Es braucht zwei Personen für einen Streit." Dualistisches Denken und Kommunizieren tragen den Keim der Konfrontation in sich. Viele Gesprächssituationen im Alltag haben diese Natur. Wir werden aufgefordert uns für A oder B zu entscheiden und unsere Argumente für die dementsprechende Position vorzubringen. Dies gilt es zu vermeiden. "Ich streite nie, mein Leben gibt die Antwort." In den "Frage und Antwort-Stunden", die Thich Nhât Hanh in unregelmäßigen Abständen offeriert, kann man viel über diese Form der Kommunikation lernen. Statt direkt auf eine Ja/Nein-Frage zu antworten, geht Thich Nhât Hanh häufig auf das zugrundeliegende Leiden des Fragenden zurück und bringt eine neue Dimension ins Spiel. Auch Nationen, Organisationen oder Unternehmen sollten im Konfliktfall anders kommunizieren. "Friedensverhandlungen sollten als Retreats abgehalten werden." Das Verbindende sollte (durch gemeinsame Praxis) betont und genährt werden. So ergeben sich harmonischere Konfliktlösungswege und die Wurzeln der Disharmonie werden sichtbar und können leichter angesprochen und verstanden werden.

    8. Qualität von Kommunikation

    Kommunikation ist niemals neutral. Jede Kommunikation kann in ihrer Qualität eingeschätzt werden. Wir können uns fragen, ob unsere Äußerungen heilsame oder unheilsame Geistesformationen in mir und meinem Gesprächspartner wässern. Sind meine Worte inspirierend und aufbauend? Helfen sie mir und meinem Gegenüber zu tieferer Einsicht zu gelangen? Nähren wir mit unseren Worten Frieden oder Krieg? "Wir wissen nicht, dass wir die meisten gefährlichen Situationen in uns selbst produzieren." Unsere Zunge ist ein scharfes Schwert.

    9. Non-verbale Kommunikation

    In vielen Rhetorik-Seminaren und Büchern wird auf die Bedeutung non-verbaler Kommunikation hingewiesen. Thich Nhât Hanh betont immer wieder die Bedeutung von Kommunikation jenseits der Sprache. Unser Sein, unsere Beziehung zu anderen und unser Geisteszustand kann sich wortlos in unserem Lächeln, unserem entspannten Körper, sanften Bewegungen und unserer inneren Stille ausdrücken.

    Achtsame Kommunikation in allen Lebenslagen wünscht:

    Dr. Kai Romhardt

    Seminarangebote zum Thema Kommunikation, Achtsamkeit , Meditation und bewusster Umgang mit Wissen finden sich unter: www.romhardt.com.

    Fußnoten und weiterführende Literatur

    Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Zeitschrift Intersein (Heft 21/2003) unter der Überschrift: "Kommunikationsperlen".

    • [1] Der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhât Hanh gehört seit vielen Jahren zu den bekanntesten und einflussreichsten buddhistischen Lehrern. Als führender Vertreter eines engagierten Buddhismus genießt er weltweit, auch über buddhistische Kreise hinaus, hohes Ansehen. Er lebt seit vielen Jahren im Exil in Frankreich in der von ihm gegründeten Gemeinschaft Plum Village und ist Autor zahlreicher Bücher. Dr. Kai Romhardt ist Mitglied seines international agierenden Zen-Ordens Tiep Hien (Orden Intersein) und hat bisher insgesamt zwei Jahre in Plum Village gelebt und praktiziert.
    • [2] Dharma = buddhistische Lehre; Dharmatalk = Lehrrede eines Meditationslehrers, welche das Dharma darlegt und durch den Vortrag selbst verkörpert.
    • [3] Retreat = Meditationsseminar. Diese finden in Plum Village regelmäßig statt. Mehr Information unter www.plumvillage .org.
    • [4] Sangha = buddhistische Gemeinschaft.
    • [5] Praxis = die regelmäßige Übung der Achtsamkeit durch verschiedene Meditationsmethoden.


    Weiterführende Literatur

    Thich Nhat Hanh: Aus Angst wird Mut - Grundlagen buddhistischer Philosophie, Theseus, 2003

    Kai Romhardt: Wissen ist machbar - 50 Basics für einen klaren Kopf, Econ, 2001

    Marshall Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann, 2001

    [Standard] Namensnennung 3.0 Deutschland - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland
    Lizenziert unter einer Creative-Commmons Lizenz

Kommentare

Das Kommentarsystem ist zurzeit deaktiviert.