Das Zusammenspiel von Wissensarbeit und Wissensarchitektur in Beziehungsnetzen und räumlichen Strukturen

    07. April 2011 von Jun. Prof. Dr.-Ing. Jörg Rainer Noennig, Claudia Hentschel

    Organisationen sind vermehrt mit innerer und äußerer Vielfalt konfrontiert, z.B. in Form interdisziplinärer Teams und multinationaler Projekte. Fachliche und personelle Diversität fordert nicht nur verstärkte Integrationsleistungen, sondern stellt auch komplexe Anforderungen an räumlich-zeitliche Abstimmungs-, Kooperations- und Kommunikationsprozesse. Aktuelle Studien aus dem neuen Forschungsgebiet der Wissensarchitektur zeigen, wie innovationsorientierte Arbeits- und Teamprozesse durch adäquate räumliche Strukturen effektiv unterstützt werden können.

    Wissensgenerierung als Interaktionsprozesse diversifizierter Gruppen

    Immer weniger das Werk vereinzelter Arbeit, erweist sich die Erzeugung neuen Wissens zunehmend als kollektiver Prozess. Innovationen entstehen vor allem in Gruppen, die sich durch ihre Vielfalt der fachlichen Hintergründe und Sichtweisen als auch durch gemeinsame Ziele und Werte auszeichnen. Aus der Sicht von Planung und Management ist es daher entscheidend, Kommunikationsprozesse und Verhaltensweisen zu fördern, die eine effektive Wissensarbeit in diversifizierten Gruppen unterstützen, die ein produktives soziales Miteinander sowie die Transformation von implizitem und explizitem Wissen unterstützen. Vor allem im Spannungsfeld von gruppenorganisatorischen und psychologischen Faktoren einerseits und in der Gestaltung eines angemessenen räumlich-architektonischen Umfeldes andererseits eröffnen sich erhebliche Potentiale für ein erfolgreiches Wissensmanagement, das in soziale Strukturen eingebettet ist.

    Akzeptanz, Respekt und Vertrauen: interpersonell-psychologische Dimensionen der Wissensarchitektur

    Die Art und Weise, wie Unternehmen mit steigender Diversität umgehen, sagt viel über die Wertschätzung des Unternehmens gegenüber der Kompetenz und dem Potenzial der Mitarbeiter als Wissensträger, Wissensarbeiter oder Wissenschaftler aus. Im Wissensmanagement wird immer wieder die Bedeutung der weichen Faktoren für einen erfolgreichen Wissensaustausch hervorgehoben.
    Werden den Mitarbeitern Freiräume – räumlich, zeitlich, finanziell – für Ihre Zusammenarbeit und für selbstgesteuertes Arbeiten und Lernen zur Verfügung gestellt, eröffnet sich dem Unternehmen die Chance, die Kreativität und
    Innovativität, die in solcher Vielfalt angelegt ist, für die eigene Entwicklung nutzbar zu machen.

    Wissenskultur spiegelt sich auch in wertschätzenden Führungsprozessen wider

    Die organisationale Werteforschung zeigt, dass Respekt im Werteranking einen der wichtigsten Arbeitswerte von Mitarbeitern darstellt, jedoch in der Praxis selten erlebt wird. [1] Diese Diskrepanz scheint in den Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften besonders ausgeprägt und ist oft auch räumlich-architektonisch festgeschrieben. "Gerade in Zeiten der Veränderung stellen Mitarbeiter, die sich gegenüber dem Führungseinfluss ihrer Führungskräfte öffnen, eine der größten Ressourcen für das Unternehmen dar, denn nur wenn Mitarbeiter Veränderungen mittragen, findet sie auch tatsächlich statt, nur dann lassen sich entscheidende Steuerimpulse auch in der Organisation implementieren." [2] Insbesondere in Phasen des Wandels ist die Weitergabe von relevantem Wissen und eine Kultur des Vertrauens auf allen Ebenen für eine offene Kommunikation besonders wichtig.
    In der sozialpsychologischen Forschung wird der interpersonale Respekt als bedeutendes Phänomen zunehmend beachtet – vor allem aufgrund seiner positiven Wirkungen auf eine ganze Reihe von Aspekten wie: Gruppenidentifikation, gruppendienliches Verhalten, Bindung an die Organisation, gutes und produktives Miteinander oder Arbeitszufriedenheit.
    Was heißt respektvolles Verhalten? In der Respektforschung werden zwei Arten von Respekt unterschieden (www.respectresearchgroup.org): der horizontale Respekt entsteht auf der Grundlage wahrgenommener Gleichwertigkeit – der Andere wird als prinzipiell gleichwertiges Gegenüber behandelt; vertikaler Respekt entsteht auf der Grundlage wahrgenommener positiv bewerteter Differenz - dabei werden dem Anderen (besonderes oder größeres) Wissen, (besondere oder größere) Fähigkeiten, Eigenschaften oder Leistungen zugeschrieben. Vertikaler Respekt drückt sich darin aus, dass man einem Anderen in den Bereichen freiwillig und gerne folgt, in denen diese positive Differenz wahrgenommen wird.

    Sozialer Interaktionsraum ermöglicht ein Ineinandergreifen von Prozessen der Wissensarbeit

    Für die Betrachtung von Gruppenarbeit ist hier weiterhin die Unterscheidung in Toleranz, Akzeptanz und Respekt (im Sinne von "Wertschätzung") sinnvoll. Diese Haltungen beruhen auf einer mehr oder weniger bewussten Entscheidung bzw. Einstellung des Subjekts und zeigen sich in einer entsprechenden Reaktion. Toleranz ist eine mögliche Reaktion auf die Anwesenheit eines "Objekts", Akzeptanz zeigt sich in Bezug auf die Mitgliedschaft eines "Objekts" und der bewertende Respekt äußert sich als Reaktion auf die Einflussnahme eines "Objekts". [3] Die unterschiedlichen Werthaltungen zeigen sich insbesondere im Prozess der Interaktion.
    Werte sind ein wichtiger Faktor für kooperatives Verhalten wie Wissensaustausch und Wissensgenerierung. Freiwilliges kooperatives Verhalten dem Kollegen gegenüber sowie im organisatorischen Rahmen steht in einem positiven Zusammenhang mit erwarteter Kooperationsbereitschaft der Kollegen (Reziprozitätserwartung), gegenseitigem Vertrauen, Arbeitszufriedenheit und Gerechtigkeit als persönlichem Wert. [4]

    Umgebung, Bewegung und Begegnung: räumlich-architektonische Dimensionen der Wissensarchitektur  

    Der innere oder zwischenmenschliche Akzeptanz-, Respekt- und Kulturraum beeinflusst Kommunikations- und Kooperationsprozesse ebenso wie die unmittelbare äußere Umgebung. Vertrauen wird durch persönliche Begegnungen, Face-to-Face-Kommunikation und Zusammenarbeit aufgebaut – das erfordert eine entsprechende Raumorganisation, Arbeitsplatzgestaltung und bauliche Infrastruktur. Wenn zudem eine erfolgreiche Kooperation auf gemeinsamen Werten und gegenseitigem Verständnis beruht, kann das unmittelbare Arbeitsumfeld durch seine Gestaltung solche "Grundverständnisse" darstellen und vermitteln. So haben die o.g. Formen vertikalen und horizontalen Respekts direkte räumliche Implikationen, indem sie konkrete Bedingungen wie Offenheit, Sichtbarkeit, Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit implizieren.

    Analyse von Kommunikations- und Beziehungsmustern als Mittel des Workplace Design  

    Der Raum arbeitet stets mit – auf psychologischer wie auch auf organisatorischer Ebene. Das ist insbesondere der Fall, wenn es um Orte intensiver Wissensarbeit geht, z.B. in Lern-, Forschungs- und Entwicklungsgebäuden. Um
    diese Zusammenhänge zu erklären und planbar zu machen, werden am TU Dresden Center of Knowledge Architecture Entwurfsprozesse und –werkzeuge entwickelt, mit denen auf der Grundlage von Bewegungs- und Interaktionsanalysen innovationsfördernde Architekturkonzepte entwickelt werden. Dabei kommen zum Beispiel visuelle Kommunikationslandkarten zum Einsatz, in denen Face-to-Face-Gespräche, E-Mail-Traffic, Telefonate etc. in visuelle Muster übersetzt und interpretiert werden. Kommunikationsströme zwischen den beteiligten Akteuren können auf diese Weise in Netzwerkgraphen nach Häufigkeit, Themen, Abteilungen oder anderen Kriterien sortiert und evaluiert werden. Die erhobenen Daten machen in ihrer grafischen Darstellung die "heißen" Topics der Kreativitäts- und Ideenprozesse sichtbar, die räumlich-architektonisch zu unterstützen sind. Die entsprechenden Gruppen-, Arbeits- oder Büroräume können dann nach Art und Intensität der innerbetrieblichen Interaktionen gezielt als Workplace der Wissensgenerierung konzipiert und gestaltet werden. 

    Stätten und Städte des Wissens als Strukturen sozialer Interaktion

    Prozesse der Bewegung, Interaktion und Kommunikation sind über die Gebäudeplanung hinaus wichtige Gestaltungsfaktoren auch in der Stadtentwicklung. Hier hat in den letzten Jahren eine Neuausrichtung hin zu wissensorientierten Konzepten stattgefunden. Die Etablierung von Wissens- und Wissenschaftsstädten, von Forschungsparks und Innovationsclustern erweist sich im globalen Wettbewerb als zunehmend wichtiger Erfolgsfaktor.[5] Mit dem Ziel einer nachhaltigen Wissensarbeit erhalten auch im urbanen Maßstab die Wissensflüsse und -transformationen sowie die Diversität von Kontexten und Sozialgruppen einen besonderen Stellenwert. Vor diesem Hintergrund untersucht das TU Dresden Center of Knowledge Architecture die räumlichen Korrespondenzen von Unternehmen, Universitäten und Startups wie auch den Einfluss städtischer Kontexte auf die Bewegungsflüsse und Migration von Wissensarbeitern. Das Center hat dazu u.a. eine Methode entwickelt, um das Bewegungsverhalten von Menschen im Stadtraum sichtbar zu machen. Mit GPS-Empfängern werden z.B. die Wege von Passanten aufgezeichnet, indem ein Empfänger in festgelegten Zeitintervallen ihre Positionen speichert. Aus der Verbindung dieser Punkte ergeben sich deutliche Bewegungsspuren, die Auskunft geben über Momentangeschwindigkeit, Verweildauer und Bewegungsrichtung. Die Aggregation der Datensätze wiederum ermöglicht eine Darstellung kollektiven Bewegungsverhaltens und damit eine Potentialanalyse ihrer Interaktionen.

    Center of Knowledge Architecture

    Wissensarchitektur schafft und unterstützt räumlich-organisatorische Strukturen, die kollektive Prozesse der Wissensgenerierung vorantreiben. Das Ineinandergreifen von Informations- und Produktionsprozessen in der Wissensarbeit auf Mikro- und Makroebene zu untersuchen und von dieser Grundlage aus innovationsfördernde Architekturkonzepte zu formulieren, ist das Ziel des TU Dresden Center of Knowledge Architecture. Das Center (www.wissensarchitektur.net) wurde als Spin-Off der Professur Industrie- und Gewerbebauten der Fakultät Architektur (Prof. Gunter Henn) an der TU Dresden 2007 gegründet. An der interdisziplinär ausgerichteten Forschungsinstitution arbeiten neben Architekten und Ingenieuren auch Computerwissenschaftler, Philosophen und Soziologen an Projekten der Grundlagenforschung wie auch der industriellen Anwendung.

    Quellen

    1 Vgl. T. Eckloff, N. van Quaquebeke und E.H. Witte, Respektvolle Führung und ihre
    Bedeutung für die Gestaltung von Veränderungen in Organisationen, in: R. Fisch, A.
    Müller, D. Beck (Hrsg.), Veränderungen in Organisationen - Stand und Perspektiven, vol 1, Wiesbaden 2008, S. 250.

    2 Ebd. S. 249.

    3 Vgl. N. van Quaquebeke, D.C. Henrich, T. Eckloff, It´s not tolerance I´m asking for, it´s respect! - A conceptual framework to differentiate between tolerance, acceptance and (two types of) respect, in: Gruppendynamik und Organisationsberatung, 38 (2), 2007, S. 188.

    4 Vgl. H. Ittner, Voluntary Cooperation at the Workplace – A Matter of Fairness, Self-Interest or What my Colleagues might do?, Institute of Psychology, University Magdeburg, IACM Paper June 2006.

    5 Vgl. G. Henn, J.R. Noennig, S. Richter: The Structure of a Knowledge Creating City, 2nd Knowledge Cities Summit in Shenzhen/China Nov. 2009.

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