Copyright und Wissensmanagement: Ein Widerspruch?

    17. Januar 2001 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Erfolgreiches Wissensmanagement basiert auf dem möglichst freien Austausch von Ideen und Wissen, dem Kapital der New Economy. Copyright und Patente behindern deren freien Austausch. Im vorliegenden Papier wird für die Abschaffung dieser Relikte der Old Economy plädiert und es werden (kontroverse) Thesen vorgebracht, Wissen im Unternehmen zu halten.

    Problemstellung

    Eine Ökonomie, deren wichtigstes Produkt leicht kopierbare Informationen sind, funktioniert nach anderen Regeln als eine Wirtschaft, in der unter Einsatz von Rohstoffen, Kapital und Arbeit materielle Güter hergestellt werden. Die ganze Palette der traditionellen Produktionsfaktoren verliert an Bedeutung und mit ihnen die meist aus dem 19. Jahrhundert stammenden ökonomischen Theorien, die sich darauf gründen. Humankapital - das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter - unterscheidet sich dadurch vom Sachkapital, dass sich an ihm kein Eigentum erwerben lässt. Mit der Verbreitung der Informationstechnologie und dem damit verbundenen Übergang zur Wissensgesellschaft bildet sich also eine neue Ökonomie heraus, die sich mehr auf die Produktion von Ideen als auf die Herstellung von Objekten gründet. Sie macht den Schritt vom Markt zum Netzwerk, vom Eigentum an einem Produkten zu deren Zugang.

    Copyright versus Wissensmanagement

    Wissen entsteht nicht nach Plan, sondern erfordert ein ganz anderes Klima als es die "grobstofflichen", hardwareorientierten Managementformen der Old Economy zu bieten vermögen. Die funktionellen Hierarchien und mit ihnen die Reglementierungen werden früher oder später zugunsten von Netzwerken verschwinden müssen, da sie die ökonomische Entwicklung schlicht behindern.

    Das weitverbreitete unautorisierte Kopieren von Software und neuerdings der Erfolg der Napster-Tauschbörse für Musik haben dazu geführt, dass eine immer intensivere Debatte über den Eigentumsbegriff an leicht kopierbaren Waren und Ideen geführt wird, die zeigt, wie weit die Veränderungen in unserem Wirtschaftssystem schon fortgeschritten sind. Vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen, neuer Nutzungs- und Entgeldmodelle wird diese Debatte unvermeidbar zu einem neuen Eigentumsbegriff führen oder wie es Michael Goldhaber ausdrückt, ist "das Urheberrecht der Kitt aus der Feudalzeit, der die jetzt bröckelnden alten Machtstrukturen der Konzerne noch zusammenhält".

    Ein Beleg für die Richtigkeit dieser Aussage findet sich in der Gültigkeitsdauer von Urheberrechten sowie Patenten und Nutzungsrechten, die in der Welt des angeblich freien Waren- und Ideenaustauschs vom Staat oder Staatengemeinschaft wie fürstliche Privilegien verliehen werden. Während Patente für 20 Jahre gewährt werden, gelten Urheberrechte 75 Jahre länger als die Lebenszeit des Autors. Geistiges Eigentum unterscheidet sich also vom Eigentum an dinglichen Objekten, dass grundsätzlich für ewig gültig ist.

    Es gibt jedoch nicht nur diese unterschiedlichen Zeitbeschränkungen im Eigentumsrecht. Während der Eigentümer von Dingen damit machen kann, was er will, verbietet das ausdrücklich das Urheberrecht. Die Seiten eines rechtmäßig erworbenen Buches oder die Musikstücke auf einer CD dürfen zwar kopiert werden, jedoch ist das Nutzungsrecht an diesen Kopien stark eingeschränkt. Der Staat hantiert also mit zwei grundsätzlich verschiedenen Eigentumsbegriffen. Im Gegensatz zum üblichen Eigentumsbegriff besteht geistiges Eigentum, das durch Urheberrechte und Patente geschützt werden soll, aus Ideen und Gedanken.

    Um Urheberrechte künftig überhaupt noch durchsetzen zu können, wird schon in den technologischen Entwicklungen viel Aufwand darauf gelegt - oder verschwendet - um die wesentlichen geistigen Schöpfungen und Erfahrungen, die einem Produkt zugrunde liegen, erfolgreich schützen zu können. Gerade bei den "soften", "feinstofflichen" Produkten wie Musik, Büchern oder Software ist der Geist des Konsumenten, des Benutzers kaum noch von dem Produkt zu trennen. Es verliert ohne ihn seinen Wert. Oder um es überspitzt auszudrücken, der Staat bemüht sich mit der Durchsetzung der entsprechenden Gesetze um eine Art von Gedankenkontrolle!

    Urheberrechte verhindern letztendlich die Verbreitung von Wissen und erschweren damit Innovation und technischen Fortschritt im allgemeinen und Forschung und Entwicklung im besonderen. Da manche Controllingmethoden im Wissensmanagement die Anzahl veröffentlichter Patente in die Bewertung mit einfließen lassen, wird sogar ein wesentlicher Baustein des Wissensmanagement - nämlich die Verteilung von Wissen - konterkariert.

    Software ist eine spezielle Form von Wissen und der Sourcecode ihre Sprache, das besonders von marktbeherrschenden Firmen mit großem Aufwand geschützt und damit an ihrer Verteilung gehindert wird. Neue Entwicklungen versuchen dieser innovationshemmenden Methode entgegenzusteuern. Das Betriebssystem Linux oder der jederzeit frei kopierbare Code von Websites sind neue Ansätze, den freien Fluß von Information und Wissen wieder herzustellen.

    Alternative Modelle

    Gerade das Beispiel Linux straft die Verfechter des Copyrights Lügen, nämlich dass Lizenzgebühren für die technische Weiterentwicklung eines Produktes notwendig sind. Im Umfeld der Linux-Entwickler entstand und entsteht wohl immer noch ein heilsamer Geist von Konkurrenz, in dem das innovativste Betriebssystem geschaffen wurde. Gerade in der Wissensgesellschaft erweisen sich Urheberrechte als ein überholter und unzeitgemäßer Mechanismus. Mehr Phantasie und Experimentierfreude sollte eher dafür aufgewandt werden, alternative Modelle zu evaluieren, als ein archaisches Rechtsmodell in eine neue Zeit hinüber zu retten.

    Zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil einer Organisation wird ihre Fähigkeit, aus vorhandenem Wissen neues zu erzeugen. Fortschrittliche Firmen vertreten den Standpunkt, dass vorhandenes und bereits genutztes Wissen in einem kreativen Prozess wieder "zerstört" wird. Kreativ deshalb, weil diese Unternehmen nicht warten, bis der technische Vorsprung durch entsprechende Entwicklungen der Konkurrenz obsolet geworden ist, sondern weil sie eine Kultur schaffen, in der implizites Wissen direkt zu neuen Produkten oder Dienstleistungen wird und damit der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sind.

    Je abstrakter, expliziter Wissen ist, desto leichter verteilt es sich auch außerhalb des Unternehmens. Hingegen ist es das implizite, in den Köpfen der Mitarbeitern steckende Wissen, das den Vorsprung sichert und damit solange wie die Mitarbeiter selbst innerhalb der Firma verbleibt. Darüber hinaus fördert implizites Wissen den Lernprozess viel stärker als explizites und stärkt damit zusätzlich die Innovationsfähigkeit.

    Wissensorientierte Firmen - Netscape oder RealNetworks sind solche Beispiele - kümmern sich nicht darum, Barrieren etwa in Form von Copyrights zu errichten, um den Fluss von Wissen bzw. Software nach außerhalb des Unternehmens zu behindern. Vielmehr schützen sie ihr Know-how durch das Anheuern und Ausbilden einer hervorragenden und loyalen Belegschaft und sorgen für eine Kultur von Austausch und Zusammenarbeit.

    Links

    www.cba.neu.edu/~mzack/articles/kstrat/kstrat.htm
    www.telepolis.de/deutsch/kolumnen/gol/8828/1.html
    www.telepolis.de/english/inhalt/te/4459/1.html
    www.community-of-knowledge.de/cp/cp_portale.htm

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