Best Practices und Lessons Learned aus Wissensmanagement-Initiativen

    15. Februar 2007 von Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Robert Neumann, Mag. Mag. Waltraud Grillitsch, Mag. Mag. Alexandra Müller-Stingl

    Der Artikel geht auf den Nutzen und Leitlinien des Managements der Ressource Wissen ein und betrachtet Wissensmanagement-Initiativen aus einer kritisch reflexiven Perspektive. Lessons Learned aus bisherigen Wissensmanagementprojekten werden abgeleitet und Möglichkeiten zur Professionalisierung von Wissensmanagement-Initiativen aufgezeigt. Aus der Sicht der AutorInnen funktioniert wissensorientierte Unternehmensführung nach dem Prinzip des Managements für Wissen, welches sich auf die kontextuelle Gestaltung förderlicher organisationaler Rahmenbedingungen bezieht. Die erfolgreiche Durchführung von Wissensmanagement-Vorhaben ist die Voraussetzung für die produktive Nutzung von Methoden und Konzepten des Wissensmanagements zur Steigerung der eigenen organisationalen Kompetenz und Wettbewerbsfähigkeit. Ein Vorgehenskonzept für wissensorientierte Veränderungsvorhaben wird vorgestellt, welches die schrittweise Einführung von Wissensmanagement in Organisationen ermöglicht. Im Sinne der Kontextsteuerung des Managements für Wissen werden Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Wissensmanagementprojekte herausgearbeitet.

    1. Nutzen und Leitlinien eines Managements der Ressource Wissen

    Das effiziente und effektive Management von Wissen ist eine wesentliche Herausforderung im Umgang mit dynamisch-komplexen organisatorischen Umwelten und Aktionsräumen. Im Kern geht es immer wieder um den Wunsch, sich durch das Hervorbringen und Nutzen unternehmensspezifischen Wissens so von den Mitbewerbern zu differenzieren, dass daraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile entstehen. Wissen wird zum Rohstoff für die Generierung von Neuem, das in innovative und wirtschaftlich verwertbare Produkte und/oder Dienstleistungen zu transformieren ist. Obendrein bildet Wissen Anlass dafür, in Kooperationsbeziehungen zu treten, um Wissen als Ressource auszutauschen, wechselseitig zu nutzen bzw. gemeinsam ein Mehr an Wissen und Fähigkeiten zu entwickeln. Kernprozesse des Wissensmanagements werden benötigt, um das Wissenspotential von Unternehmungen auszubauen und zukunftsgerichtet zu entwickeln. Multidisziplinäres Wissen muss in geeigneter Weise übertragen, erörtert, verteilt und kombiniert werden, um neue, kreative und innovative Ideen, Produkte und Prozesse zu schaffen (siehe Abb. 1).

    Leitlinien und Aktivitäten des Wissensmanagements

    Abbildung1: Leitlinien und Aktivitäten des Wissensmanagements

     

    An eine effektive Nutzbarmachung von Wissen werden konkrete Erwartungen geknüpft, wie die Steigerung der Produktqualität, die Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit, die Verbesserung der Kundennähe und der Marktstellung, die gezieltere Nutzung von Ressourcen, die Verbesserung des Wissensstandes der Mitarbeiter, die Vermeidung von Fehlern und die schnelle Verbreitung neuen Wissens. Dies soll zur Verbesserung der unternehmerischen Reaktionsfähigkeit, und damit zu einer Steigerung der Ertragskraft sowie Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit führen.

    Mit dem Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz und hoch innovativen Produkten, deren Nachahmung wesentlich länger dauert, als bei reinen Produktionsprozessen, die auslagerbar bzw. zukaufbar sind, lassen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Denn viele Produkte können heute nahezu überall auf der Welt in ähnlicher Qualität und meist noch zu geringeren Kosten produziert werden. Das Wissen einer Organisation als Ausdruck institutioneller Weisheiten (institutionalized wisdoms), die Normcharakter besitzen und die "dominierende Stärke" eines Unternehmens charakterisieren, wird in diesem Umfeld zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor. Schwer nachahmbares Wissen bildet einen intangiblen Wettbewerbsvorteil, weil es einen höheren Imitationsschutz genießt als beispielsweise technisch-ökonomische Faktoren. Es ist Ausdruck der spezifischen Identität einer Organisation und unterliegt somit gewissen Prägungen und Historizitäten, weshalb es von Mitbewerbern kaum erkannt, nicht übertragen bzw. kopiert werden kann. Deshalb gehört das Wissen und die unternehmensspezifische Kompetenz zu den "organizational capabilities" (vgl. Neumann 2000), welche dabei helfen, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen zu erzielen. Dieser Typus der Organisation ist als "wissensbasiert", "knowledge-intensive" (Starbuck 1992) oder "intelligent" (Quinn 1996) zu beschreiben.

    2. Lessons Learned aus bisherigen Wissensmanagement-Projekten

    In der Praxis der Unternehmensrealität stilisierte Wissensmanagement (Knowledge Management bzw. KM) in den letzten Jahren zur Nummer 1 der so genannten "Nice-to-have"-Projektvorhaben und dies insbesondere unter konjunkturellen Schönwetter-Perioden. Die Praxis der realisierten Wissensmanagement-Projekte zeigt, dass diese auch sofort wieder gestrichen werden, sobald Krisen in Sicht sind und Sparmaßnahmen ergriffen werden müssen. Dabei wird nicht nur auf reduktionistische Weise mit der zukünftigen Produktivkraft von Unternehmen umgegangen, sondern es entsteht auch die Gefahr, dass Wissensmanagement einem ähnlichem Schicksal wie bereits zahlreiche Managementmoden zuvor unterliegt, nämlich zu rasch von der Mode zum Mythos zu werden. Und dies nicht zuletzt deshalb, weil Wissensmanagement keine kurzfristigen und messbaren Erfolge auf- bzw. nachweisen kann, sondern langfristig angelegt werden muss.

    Hinzu kommt, dass die meisten Wissensmanagement-Vorhaben zunächst auf eine rein IT-orientierten Vorgehensweise konzentriert waren, die "technische Illusion" lässt sich als einer der größten Problemfelder von KM-Initiativen erkennen. Darunter verstehen wir den Fehler vieler Unternehmen sich auf KM mit Hilfe von schnellen IT-Lösungen zu stürzen und organisationale Begleitmaßnahmen zu vernachlässigen. Dadurch werden zwar leistungsfähige IT-Systeme generiert, aber die inhaltliche Füllung geschweige den Nutzung dieser Systeme wird auf grund der Vernachlässigung der organisatorischen Basis problembehaftet. Daraus resultieren: Hochentwickelte Systeme für ein unvorbereitetes Unternehmen! Auch Ghosal betont, dass Wissensmanagement vordergründig eine soziale und keine technologische Angelegenheit darstellt. Für effektives Wissensmanagement muss viel mehr Aufmerksamkeit auf die menschliche Seite ("human dimension") gelegt werden (Ghosal 2002).

    Die meisten wissenstechnokratischen Lösungen (I&K-Applikationen in Form von z.B. Intranet-Lösungen, Data-Warehousing, Groupware, Wissensdatenbanken usw.) dienen jedoch lediglich dazu, vorhandenes explizites Wissen verfügbar zu machen bzw. vom Einzelnen zu entkoppeln, um es einem Kollektiv zur Verfügung stellen zu können, anstatt Wissen neu zu schaffen. Obendrein wird dabei meist Wissen mit Information gleichgesetzt, was zu einem irrtumsbehafteten Versuch führt, Wissensprobleme eines Unternehmens mit Hilfe von Informationstechnologien lösen zu können. D.h. es wurde zunächst versucht, eine technisch unterstützte Wissensplattform zu installieren, um dann erkennen zu müssen, dass diese von der Bereitschaft der Mitarbeiter ihr aktuelles und verwertbares Wissen einzuspeisen und abzurufen, lebt. Und dafür fehlten meist nicht nur die notwendigen Anreizsysteme, sondern auch begünstigende auf Vertrauen basierende kulturelle Spielregeln.

    Im Rahmen unseres Industriestiftungsinstituts Business Technologies an der Universität Klagenfurt sind wir in der letzten Zeit insbesondere bei mittelständischen Unternehmen mit Wissensmanagement-Projekten unterschiedlicher Art beauftragt worden. So ging es beispielsweise um die Einführung und Institutionalisierung von wissensorientierten Projekt-Reviews zur Identifikation und Dokumentation von Lessons Learned im Consulting-Bereich eines IT-Dienstleistungsunternehmens, um die Einführung eines elektronischen Schichtprotokolls für den Schichtwechsel in der Produktion eines Papiererzeugers, um die Etablierung eines Competence-Centers, um die Entwicklung von Wissenslandkarten und wissensorientierten Anreizsystemen usw. In diesen zahlreichen Projektprozessen mussten wir dabei immer wieder auf folgende Faktoren treffen, die sich als Hindernisse bei der Realisierung von Wissensmanagement herausstellten, wie:

    • Mangelnde Unterstützung von Seiten der Führungskräfte
    • Fehlende Akzeptanz und Einbindung der Mitarbeiter
    • Vergangenheitsgeprägte Denk- und Handlungsmuster
    • Verharren in "bewährten" (Macht-)Strukturen und Routinen
    • Kultur des Misstrauens und der Fehlervertuschung (statt -vermeidung)
    • Hohes Maß an Sicherheitsdenken und Angst vor Neuem
    • Diffuse Zielsetzungen und unrealistische Zeithorizonte
    • Kommunikationsblockaden und verwirrende Informationspolitik
    • Zu starke Technologieorientierung
    • Mangelnder Austausch mit KM-erfahrenen Unternehmen

    Aufgrund dieser gemachten Erfahrungen im Sinne von Lessons Learned und auch der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine sogenannte "organisationale Ordnung des Wissens" verändert, gestaltet und entwickelt werden muss, um eine wissensorientierte Unternehmensführung konstruktiv zu unterstützen, lassen sich im weiteren einige konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Sie basieren auch auf Untersuchungen von jenen Unternehmen, die bereits erfolgreiche Wissensmanagement-Projekte realisiert haben und können somit als Best Practice Vorgehensweisen verstanden werden.

    3. Best-Practices einer wissensorientierten Unternehmensführung

    Da sich ein Management von Wissen lediglich auf das externalisierbare Wissen konzentrieren kann, das aber den geringsten Wissens-Teil in Organisationen ausmacht, ist auch die Wirksamkeit und tatsächliche Praktikabilität von Wissensmanagementansätzen dieser Denkweise als eher oberflächlich einzuschätzen. Im Gegensatz dazu bildet eine kontextuelle Gestaltung von fördernden organisationalen Rahmenbedingungen die Voraussetzung dafür, dass Wissen generiert, ausgetauscht, aktualisiert und genutzt werden kann, was somit einem Prinzip des Managements für Wissen entspricht.

    Das Prinzip des Managements für Wissen folgt der system- und strukturationstheoretischen Basisannahme, dass eine in der Tiefenstruktur der Organisation laufend durch Beobachtung, Deutung, Kombination, Sinngebung und Handlung (re-)produzierte, selbst erzeugte Ordnung den Umgang mit Wissen unsichtbar steuert (ausführlich dazu siehe Neumann, R. 2000). Die organisationale Wissensordnung übernimmt gewissermaßen die Hauptfunktion eines prädispositiven Leitsystems, da sie bestimmt, welche Daten zu Informationen werden, welches Wissen akquiriert, integriert, verteilt, genutzt oder abgelehnt wird und wonach im Inneren der Organisation das wissensbasierte Handeln ausgerichtet werden soll. Diese Ordnung basiert auf Wissen, das z. B. in den Strukturen, Routinen, Kompetenzen, Technologien einer Organisation eingebettet ist und auf das im Handeln der Mitarbeiter und Führungskräfte laufend implizit Bezug genommen wird. (siehe Abb. 2)

    Abbildung 2: Die Ordnung des Wissens einer Organisation

    Abbildung 2: Die Ordnung des Wissens einer Organisation

    Organisationen orientieren sich sozusagen ausschließlich an ihren eigenen Kriterien und entwickeln damit ihr eigenes Wissen zur Lösung von Problemen. Sie entwickeln auch eigene Codierungen und Sprachen, kurz Eigensinnigkeiten einer inneren Logik nach welcher sie ihr Handeln ausrichten. Diese innere Logik der Organisation bestimmt, welche wissenserzeugenden Fragen an die eigene Organisation und an die Umwelt gerichtet werden, d.h. welchen inneren und externen Ereignissen Bedeutungen zukommen und welchen nicht: Weiters bestimmt diese innere Ordnung, welches Wissen systemintern wirksam und zu Können transformiert werden kann, indem es in bestehende Strukturen integriert und mit vorhandenen Ressourcen kombiniert wird. Die organisationale Wissensordnung ordnet bzw. steuert den Umgang mit Wissen und die Fähigkeit lern- und wissensintensive Prozesse zu organisieren. Ausdruck findet diese Form der Organisation von Wissen im konkreten Handeln, Entscheiden und Kommunizieren der Organisation. In der Oberflächenstruktur zeigt sich das Resultat der Wissensbasierung einer Organisation und kommt durch die Wissens-Performance, also der Möglichkeit zur Verwertung organisationsspezifischen Wissens in Form von intelligenten und innovativen Produkten und/oder Dienstleistungen zum Ausdruck.

    Unter Berücksichtigung und Akzeptanz dieser selbstreferentiellen Eigenschaft einer Ordnung des Wissens von Organisationen lassen sich somit bestenfalls situations- und organisationsspezifische Interventionen im Sinne einer Kontextsteuerung vornehmen, dabei werden Widersprüchlichkeiten hinterfragt, erkannt und Handlungsalternativen integrativ entwickelt. Es werden somit indirekte Steuerungsformen in Form von Zielen, Regeln, Routinen, Standards und Systemen definiert, die sich auf Information, Kommunikation, die Kreation von Anreizen und die Etablierung von Planung und Kontrolle beziehen. Im Detail lassen sich daher aus dem soeben beschriebenen Prinzip eines Managements für Wissen folgende Leitlinien bzw. erfolgsrelevante Faktoren ableiten, welche in Abbildung 3 im Überblick dargestellt sind.

    Abbildung 3: Leitlinien eines Managements für Wissen

    Abbildung 3: Leitlinien eines Managements für Wissen

    Prozesse der Wissensvertiefung, -erweiterung, -revision und -erneuerung erfordern nicht nur ein hohes Maß an Organisationsbewusstsein, sondern auch die Diagnose und ein Rearrangement einer organisationalen Wissensordnung als Kernaufgabe einer wissensorientierten strategischen Unternehmensführung. Denn die Anwendung impliziter Wissensressourcen erfordert fördernde Kontextbedingungen, die in der Regel nur dann wirksam werden, wenn auch Veränderungen sowohl der Oberflächen- wie auch Tiefenstrukturen von Unternehmen organisiert werden. Wissensmanagement-Initiativen sind dann erfolgreich, wenn sie im Sinne wissensorientierter Veränderungsvorhaben geplant, organisiert und umgesetzt werden, darauf wird im nächsten Kapitel im Detail eingegangen.

    4. Projektierungsvorschläge für Wissensmanagement-Vorhaben

    Aus den bisherigen Überlegungen betreffend einerseits die Erfahrungen bisheriger Wissensmanagement-Aktivitäten und andererseits sowohl theoretische Basisannahmen wie auch Best-Practice-Learnings aus erfolgreich gelaufenen Projekten, lässt sich nun ein konkreter Prozessablauf für die Realisierung von Wissensmanagement-Vorhaben ableiten, das wie folgt konzipiert ist (siehe Abb. 4):

    Abbildung 4: Vorgehenskonzept bei wissensorientierten Veränderungsvorhaben

    Abbildung 4: Vorgehenskonzept bei wissensorientierten Veränderungsvorhaben

    Im Folgenden werden die einzelnen Schritte bei wissensorientierten Veränderungsvorhaben genauer beleuchtet und reflektiert.

    4.1 Initialisierung - die Zukunft entwerfen

    Am Beginn von Wissensmanagement-Vorhaben ist zu definieren, wo die Reise des Unternehmens aus der Wissensperspektive hingehen soll. D.h. aus Organisationszweck-Überlegungen heraus wird ein strategischer Kontext festlegt in welchen wissensbasierte Prozesse und Handlungen stattfinden sollen. Neben Qualitäts-, Kunden-, Mitarbeiter- und Finanz-Zielen müssen somit auch Wissensziele strategisch verankert werden, da sie aus systemtheoretischer Sicht, ähnlich wie Regeln, eine hohe Asymetrierungsfunktion haben und das Verhalten indirekt in eine bestimmte Richtung lenken. Auch Hamel/Prahalad gehen davon aus, dass zum Zweck der Kompetenzbildung eine so genannte "strategische Architektur" (Hamel/Prahalad 1995) entwickelt werden muss, die festlegt, wie die jeweiligen Unternehmen zukünftig den Wettbewerb bewältigen wollen. Dieser konzeptionelle Schirm enthält gemeinsame Vorstellungen über die Zukunft der jeweiligen Unternehmen, ausgedrückt in universellen Metaphern, Analogien, Symbolen und Modellen, welche die Schlüsselkonzepte des Unternehmens repräsentieren und das Selbstverständnis bezeichnen und verdeutlichen. Eine "strategische Architektur" soll helfen, die jeweiligen Hauptfähigkeiten und Wissenspotenziale zu identifizieren, um diese zu erweitern, zu vertiefen, zu pflegen und zu nutzen, sodass aus dem zukünftigen Geschäft intelligent geschöpft werden kann. Eine strategische Struktur entwickeln heißt gewissermaßen ein Bauen von wissensbezogenen Grundstrukturen, die breiten Zugang zu Möglichkeiten eröffnen und danach trachten, "new rules of the game" zu definieren. Das macht den Unterschied zu bekannten Formen der strategischen Planung aus, die sich stärker auf Produkt-Markt-Kombinationen, Branchengrenzen und weniger auf innovative Optionen beziehen. Für den Entwurf dieser Strategien wird Wissen benötigt, das innerhalb der jeweiligen Organisation verteilt ist, und sich auf interne Fähigkeiten der Unternehmen wie auch externe Marktanforderungen bezieht. Dieses Wissen wird aus Wahrnehmungen und Analysen gewonnen, oder es manifestiert sich in der so genannten "dominanten Logik" (Bettis/Prahalad 1995, Handlbauer 1996), den herrschenden Auffassungen des Geschäftes, gemeinsam geteilten mentalen Modellen sowie erfahrungs- und phantasiebasierten Vorstellungen und artikulierten Meinungen verantwortlicher Entscheidungsträger (Zahn 1998).

    4.2 Diagnose der organisationalen Wissensordnung und Erarbeitung einer Roadmap

    Eine zentrale Rolle in diesem Konzept spielt die Diagnose der Unternehmung hinsichtlich verhindernder und fördernder Faktoren für eine konstruktive Nutzung des jeweils verteilten individuellen wie auch organisationalen Wissens. Denn die Ergebnisse aus dieser Phase bilden die Grundlage für die zu planenden notwendigen Veränderungsmaßnahmen im Sinne eines Change Managements um jene Kontextfaktoren zu entwickeln und institutionalisieren zu können, die notwendig sind, um eine wissensorientierte Organisation schrittweise entwickeln zu können. Dabei kommen unterschiedliche Instrumente zum Einsatz wie z.B. ein Wissensintensitätsportfolio oder Kompetenzdiagnostiken (siehe Abb. 5).

    Abbildung 5: Modell zur Diagnose der organisationalen Wissensordnung

    Abbildung 5: Modell zur Diagnose der organisationalen Wissensordnungn

    Die Diagnosephase dient dazu, einen guten Überblick über die Organisation, ihre sozialen und strukturellen Zusammenhänge, Prozesse und Rahmenbedingungen sowie Stärken und Schwächen zu gewinnen. Wissensorientierte Veränderungsvorhaben sind aufgrund dieser vorausgehenden Diagnose zu planen (Roadmap), um sinn- und wirkungsvolle Projekte und Umsetzungsmaßnahmen generieren zu können. Somit sollen die Promotoren und Verantwortlichen für das Projekt befähigt werden, wesentliche Anliegen der Organisation mit den richtigen Methoden zu lösen, anstatt scheinbare Notwendigkeiten mit falschen Methoden anzupacken.

    Nach der Konkretisierung eines Projekt-Fahrplans im Sinne einer konkreten Roadmap werden erste Pilotprojekte des Wissensmanagements gestartet und parallel dazu notwendige Anpassungsänderungen der organisationalen Wissensordnung z.B. entlang einer wissensorientierte Change-Scorecard (siehe Abb. 6) vorgenommen, die im Überblick verdeutlicht, auf welche Faktoren aus welchen Perspektiven geachtet werden muss. Die Erarbeitung einer Roadmap entlang dieser Perspektiven trägt dazu bei, Überblick über die Projektlandschaft zu behalten sowie Risiken und mögliche Stolpersteine rechtzeitig zu bedenken.

    Abbildung 6: Wissensorientierte Change-Scorecard

    Abbildung 6: Wissensorientierte Change-Scorecard

    Bei der Umsetzung der erarbeiteten Roadmap mit den einzelnen Projektschritten und -maßnahmen, ist der aktive Einsatz und das Committment der Führungskräfte der Unternehmensspitze und des Middle Managements erfolgsentscheidend. Durch persönlichen Einsatz und die Bereitschaft KM tatenreich umzusetzen, können vielfach vorhandene Einzelaktivitäten des KM erst zu einer breiten Bewegung werden (Palass/Servatius 2001). Die Hauptaufgabe der Führungskräfte liegt im Schaffen einer Arbeitsumgebung, in der viele Menschen über fundiertes Wissen verfügen und danach handeln. Die Führungskräfte wirken durch ihre Handlungen als Vorbild und geben Maßstäbe vor, indem sie den gewünschten offenen Umgang und den Austausch von Wissen vorleben und einfordern, sich zum Führsprecher von Wissensmanagementprojekten machen und ein Management für Wissen als wichtigen strategischen Erfolgsfaktor für das Unternehmen bewerten. Daher sind sie rechtzeitig in die Planung der Wissensmanagement-Vorhaben einzubeziehen, um diese auch mittragen zu wollen und überzeugend nach außen vertreten zu können.

    4.3 Implementierung von Wissensmanagement

    Die Wichtigkeit der Implementierung und des Ausbaus von Wissensmanagement als strategischer Erfolgsfaktor muss kommuniziert und unterstützt werden. Persönliche Unterstützung erfolgt durch das Vorleben einer wissensorientierten Unternehmenskultur und diesbezüglicher Normen, die finanzielle Unterstützung über eine adäquate Budgetierung. Unterstützung äußert sich auch durch die Bereitstellung von zeitlichen Ressourcen, z. B. durch die Widmung eines Teiles der Arbeitszeit der Mitarbeiter für definierte KM-Prozesse.

    Begünstigende Rahmenbedingungen in Form von so genannten "Designelementen" müssen in ihrer Verwobenheit und Wechselwirkung erarbeitet, implementiert und laufend beobachtet bzw. aktualisiert werden (siehe Abb. 7). Eine intelligente Wissens-Architektur zeichnet sich daher durch eine stimmige Gesamt-Komposition dieser Designelemente aus. Für die Gestaltung der Rahmenbedingungen hat aus unserer Erfahrung die 80:20 Regel zu gelten. 20 % des Erfolges hängen von einer funktionierenden und funktionalen IT-Infrastruktur ab, 80 % des Projekterfolges ergibt sich aus gezielt ausgewählten und aufeinander abgestimmten organisatorischen Begleitmaßnahmen.

    Abbildung 7: Designelemente einer Wissensarchitektur

    Abbildung 7: Designelemente einer Wissensarchitektur

    Es wird an dieser Stelle empfohlen, mit Wissensmanagement zunächst auf die "einfachste" Art und Weise zu beginnen, indem man laufende bzw. beendete Projekte vor dem Hintergrund des gewonnenen Wissens konstruktiv-kritisch im Sinne eines Projektreviews beginnt zu hinterfragen. Die gängige Projektpraxis in den Unternehmen zeigt immer wieder, dass Projekt meist unhinterfragt bleiben, was vor allem mit der herrschenden Projektkultur in einem Unternehmen in unmittelbaren Zusammenhang steht. D.h. man begibt sich von Projekt zu Projekt ohne nach jenen Faktoren zu fragen, die für den Erfolg bzw. Misserfolg von Projektschritten relevant waren. Und wenn danach gefragt wird, dann meist nach dem Sündenbocksyndrom, d.h. es wird nach Verantwortlichen für Fehler gefragt ohne zu überlegen, dass dieses Verhalten zu einem Vorwurf-Rechtfertigungsspiel führt, ohne jedoch tatsächliche Ursachen und Faktoren für Erfolg bzw. Misserfolg zu finden. Und dabei wäre es so einfach, Projekte und die daraus gewonnenen "lessons learned" bzw. "best practices" im Sinne eines Wissensmanagements für eventuelle zukünftig ähnliche Projekte zu nutzen, wenn diese dann auch noch dokumentiert werden.

    Dazu brauchen bei jeder Projektsitzung bzw. bei einem abschließenden Projektreview nur einige zentrale Fragen offen gestellt und ehrlich beantwortet werden: Was lief in dem Projekt gut, was lief weniger gut, und was würden wir anders machen, könnten wir mit dem Projekt noch einmal von vorne beginnen? Was haben wir aus dem Projekt insgesamt gelernt, was wissen wir nun mehr als vorher? Damit bekommen Projektsitzungen eine neue Struktur, die natürlich auch eine Veränderung bedeutet, aber im Sinne einer wissensorientierten Handhabung von Projekten, die immer auch ein Spiegelbild der Organisation und der Organisationskultur sind.

    4.4 Integration von KM in die Unternehmensrealtität (Verankerung und Abschluss)

    Eine offene und kommunikative Unternehmensatmosphäre ist unabdingbar für den zielgerichteten und unternehmensübergreifenden Wissensaustausch zwischen den Mitarbeitern und Führungskräften. Die Firmenkultur muss gestaltet, akzeptiert und gelebt werden, um das Unternehmen lernbereit und anpassungsfähig zu machen (Pfeiffer/Sutton 2001). Eine lern- und entwicklungsfördernde Unternehmenskultur muss sich an bestimmten Grundsätzen ausrichten, um im Hinblick auf Wissensmanagement erfolgreich zu sein. Lernen und Entwicklung sind als zentrale Ziele zu definieren; die kritische Meinungsäußerung, Selbstverantwortung und Eigeninitiative sowie eine Vielfalt an Kommunikations- und Informationswegen sind zu fördern. Wenn sich die Organisationskultur blockierend auf Wissensmanagement-Initiativen auswirkt, wird ein Kulturwandel mit neuen Regeln, Werten, Normen und Riten nötig, der mittelfristig geplant und umgesetzt werden muss und mit dessen Hilfe sich das Verhalten und die Denkweise der Mitarbeiter auf eine "Lernkultur" ausrichtet. Lernen ist die Grundlage Wissensmanagement und bildet das Fundament für eine breite, unternehmensinterne Wissensbasis, die sich neuen Gegebenheiten anpasst und up-to-date Maßnahmen für neue Probleme bieten kann.

    Aus strukturationstheoretischer Sicht erfolgt eine Integration und somit Nutzung von Wissen erst dann, wenn kompetente Akteure ihre, um neues Wissen angereicherten Handlungen reproduzieren und sich in ihren Interaktionen auf veränderte Strukturen, Sets von Regeln und Ressourcen beziehen können. Durch das spontane, gewissermaßen selbstorganisierte Herausbilden von Regeln, kann das vor Ort vorhandene Wissen der Akteure am besten genutzt werden. Denn in Regeln, die über Lern- und Selektionsprozesse entstehen, fließt das Wissen und die Erfahrungen der einzelnen Wissensträger ein und wird dort gespeichert. Erst durch das sich darauf Beziehen-Können wird Wissen im alltäglichen praktischen Handeln als so genannte "accurate or valid awareness" (Giddens 1984) wirksam. Durch dieses Handeln erzeugen die Akteure Eigenschaften und Merkmale ihres Handlungsfeldes, die zur Nachahmung und Integration bzw. Speicherung bei anderen Akteuren führen. Das neu erworbene Wissen wird so als unintendierte Folge des Handelns weitergegeben und dabei (re)produziert (Sydow/Van Well 1996).

    Praktisch betrachtet müssen Mitarbeiter und Führungskräfte über Zeit verfügen, in der sie sich gemachte Erfahrungen bewusst machen und in das Unternehmenssystem einbringen können. Die bereitgestellten Zeitressourcen sollen zweckgebunden sein, diese sind für die Einarbeitung in Wissensmanagement-Systeme und die Pflege der Wissensbasis zu nutzen (Wildemann 2001). Weiters müssen die Wissensträger die Möglichkeit bekommen, sich miteinander zu vernetzen und sich persönlich auszutauschen. In diesen kollektiven Handlungen wird das Problemlösungspotenzial durch den Rekurs auf das zur Verfügung stehende und laufend durch Erfahrung erweiterte Handlungswissen aktiviert. Und dieses kollektive Handeln wirkt in einem selbstreferentiellen Zirkel auf die Akteure zurück und wird zum Ausgangspunkt für weitere Handlungen, die letztlich die Identität eines Systems prägen und dessen laufende Weiterentwicklung ermöglichen.

    5. Abschließende Bemerkungen

     

    Die kognitive Einsicht in die Notwendigkeit einer effektiveren Nutzbarmachung von Wissen in der Unternehmenspraxis nimmt aufgrund der steigenden Bedeutung der Ressource Wissen zwar ständig zu, doch erst der Leidens- und Veränderungsdruck von Unternehmen im zunehmenden Wissenswettbewerb wird zunehmend dafür sorgen, dass ernsthafte Umsetzungsschritte passieren. Und für diesen Fall müssen nicht nur fundierte theoretische Modelle, sondern auch realisierbare Umsetzungswege generiert werden, sodass Wissensmanagement nicht vorschnell von einer Mode zum Mythos wird. Aber auch Wissensmanagement ist nur eine Realitätskonstruktion unter vielen und liefert keine allgemeingültigen Regeln für die Entwicklung von Unternehmen, wohl aber können erprobte Leitlinien, Begleitmaßnahmen und Umsetzungsschritte empfohlen werden, welche den Erfolg von Wissensmanagement-Initiativen unterstützen.

    Ein wesentlicher Ausgangspunkt dafür, ist das Bewusstsein für die Machbarkeit von Wissensmanagement als "Management für Wissen" im Sinne einer Steuerung kontextueller Rahmenbedingungen anstatt eines "Management von Wissen", welches für die spezifischen Charakteristika der Ressource Wissen nicht nachhaltig betrieben werden kann. Weiters sind die systemischen Eigenheiten, internen Logiken, Ressourcen und Strukturen zu berücksichtigen - die Ordnung des Wissens einer Organisation wirkt sich prägend auf alle Wissensmanagement-Initiativen aus. Die Ausrichtung von Wissensmanagement-Vorhaben entlang eines strukturierten Vorgehenskonzepts ermöglicht eine gezielte, unternehmens-orientierte Projektierung, unter der Berücksichtigung realistischer Zeithorizonte und gezielter Umsetzungsschritte und trägt damit wesentlich zum Erfolg von KM-Initiativen bei.

    6. Literatur

    • Bettis, R. A./Prahalad, C. K. (1995): The Dominant Logic, Retrospective and Extension, in: Strategic Management Journal, 16 (1995), S. 5-14
    • Giddens, A. (1984): Interpretative Soziologie. Eine kritische Einführung, Frankfurt/M. 1984.
    • Goshal, S. (2002): Knowledge Miner in Business Minds, Brown, T. & Crainer, S. & Deralove, D. & Rodrigues, J.N., Prentice Hall, S. 54-61
    • Hamel, G. / Prahalad, C. K. (1995): Wettlauf um die Zukunft. wie Sie mit bahnbrechenden Strategien die Kontrolle über Ihre Branche gewinnen und die Märkte von morgen schaffen. Wien 1995
    • Handlbauer, G. (1996): Competing on Cognition? Möglichkeiten und Grenzen einer konstruktivistischen Orientierung der strategischen Unternehmensführung. In: Hinterhuber, H. H. et. al. (Hrsg.): Das Neue Strategische Management. Wiesbaden 1996, S. 61 ff.
    • Neumann, R. (2000): Die Organisation als Ordnung des Wissens. Wissensmanagement im Spannungsfeld von Anspruch und Realisierbarkeit, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2000
    • Palass, B. / Servatius, H.-G. (2001): WissensWert: Mit Knowledge-Management erfolgreich im E-Business. Stuttgart 2001, S. 68 - 75
    • Pfeiffer, J. / Sutton, R. I. (2001): Wie aus Wissen Daten werden - So schließen die besten Unternehmen die Umsetzungslücke. Frankfurt/New York 2001, S. 258 - 277
    • Quinn, J. B. et. al. (1996): Leveraging intellect, in: The Academy of Management Executive, 10 (1996) 3, S. 7-27
    • Starbuck, W. H. (1992): Learning by Knowledge-Intensive Firms, in: Journal of Management Studies 29 (1992), S. 713-740
    • Sydow, J./Van Well, B. (1996): "Wissensintensiv durch Netzwerkorganisation - Strukturations-theoretische Analyse eines wissensintensiven Netzwerkes" in Managementforschung 6, Schreyögg, G./Conrad, P. (Eds.), Berlin 1996, S. 191 - 234
    • Wildemann, H. (2001): Wissensmanagement und Unternehmenserfolg: Erfolgspotentiale, Einführungsstrategien und Organisation des Wissensmanagements. In: Haasis, Hans-Dietrich / Kriwald, Thorsten (Hrsg.) Wissensmanagement in Produktion und Umweltschutz, Berlin/Heidelberg 2001, S. 25 - 42
    • Zahn, E. (1998), (Hrsg.): Innovation, Wachstum, Ertragskraft - Wege zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Stuttgart 1998

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